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Jana Schröpfer: Flucht und Asyl filmisch inszeniert

  • Film

Zur Person

Medienprojekt Wuppertal (2016). HIN und WEG 1. Filmreihe bestehend aus acht Kurzfilmen. www.medienprojekt-wuppertal.de, kostenfrei.

Können Filme die Gesellschaft verändern? Und was können sie zu Zeiten von Krieg, Flucht, Asyl und Integration leisten? Das Jugendvideoprojekt HIN und WEG 1, das vom Medienprojekt Wuppertal ins Leben gerufen wurde, hat die Bearbeitung dieser Fragen in die Hände von jungen Menschen gelegt. Herausgekommen ist eine eindrucksvolle Filmreihe mit Kurzfilmen unterschiedlichster Art, die Jugendliche mit und ohne Migrations- bzw. Fluchthintergrund entwickelt und produziert haben. Das von der Bundeszentrale für politische Bildung geförderte Modellprojekt besteht derzeit aus acht Beiträgen, die das gesellschaftliche Phänomen ‚Flucht‘ in dessen Facetten beleuchten.

In dem knapp vierminütigen Animationsfilm Vom Untergang des Schlaraffenlandes wird der vielprognostizierte Untergang des Abendlandes mit einer gehörigen Portion dunklem Humor eruiert. Dazu werden deutsche Werte und Tugenden vorgestellt: „Das Schlaraffenvolk feierte ein ewig währendes Oktoberfest, Bier floss in Strömen und Schweinshachsen wuchsen an den Bäumen. Umhüllt von christlich abendlichen Werten lebte und konsumierte das Volk glücklich, zufrieden und cool.“ Gezeigt werden derweil eine fesche Blondine mit Einkaufstüten, die fleißig Selfies knipst, Oktoberfest-Riesenräder und Bierkrüge, der WM-Pokal, Gartenzwerge sowie – zu allem Überdruss – rollende Panzer im Hintergrund. Ein überspitzes, aber dennoch treffend-trauriges Bild der deutschen Nation. Doch wie geht es weiter im Schlaraffenland? ‚Fremdlinge‘ wollen in das gelobte Land, die ‚Gutmenschen‘ locken sie herein und bald darauf bricht das Chaos aus: Grasende Kühe verwandeln sich in Kamele, palastartige Moscheen werden hochgezogen, Kulturgüter zerstört und Schlagzeilen zum Diebstahl von Arbeitsplätzen und entführten Kindern – „um sie zu verspeisen“, natürlich – machen die Runde. Doch die ‚Schlaraffen‘ begehren auf: Sie rotten sich zu einer wütenden Meute zusammen und setzen die Moschee-Paläste in Brand. Riesige Grenzzäune entstehen vor der Schlaraffenpforte, bewacht von einer schwerbewaffneten Vertreterin bzw. einem Vertreter: Frauke Petry und Horst Seehofer. Doch die Apokalypse im Land ist nicht mehr aufzuhalten und die Schlaraffen verwandeln sich. Die Botschaft des Kurzfilms ist klar: „Und die Moral von der Geschicht', zum Affen werden sollst du nicht“. Eine filmische Mischung aus hyperbelhafter Gesellschaftskritik, gar nicht so weit hergeholter Nachskizzierung aktueller Ereignisse und einer deutlichen Warnung, das eigene Paradies nicht durch animalisches Verhalten zu zerstören.

In der Kurzdokumentation Eine etwas andere Kindheit erzählen zwei 13-jährige Jungen, Faramoz Nasimi und Sayed Musa Abasy, von ihrer Flucht aus Afghanistan. An das „gute mittelständische Leben“, das ihre Familien einst führten, reihen sich unsägliche Erzählungen über Entführungen durch die Taliban, Angriffe durch bewaffnete Diebesbanden auf der Flucht, geldgierige Schlepper oder die Zustände im bulgarischen Gefängnis. Die enormen organisatorischen Probleme, die die Jungen auf der Flucht bewältigen mussten, oder die gewaltigen Geldsummen, die ihre Eltern im Heimatland an immer wieder neue Schlepper bezahlen mussten – „Man wird von Hand zu Hand weiterverkauft“ –, wirken dagegen fast nichtig. Der Titel der Doku macht bereits klar: Gemessen an ihren Erfahrungen handelt es sich bei Faramoz und Sayed nicht mehr um Kinder bzw. Jugendliche. Deshalb mutet es fast seltsam an, wenn man die beiden auf einem Fußballplatz in Deutschland beim Kicken beobachtet. Der Kurzfilm ist sehr sachlich gehalten und verzichtet auf jegliche Art der Emotionalisierung. Es ist ein Gespräch mit zwei sehr sympathischen Jungen, die in einem Wohnzimmer sitzend von ihren Erfahrungen berichten. Dennoch überkommen die Zuschauenden rührende Gefühle, wenn die Jungen von ihrem ‚Happy End‘ in Deutschland berichten. Über die Diakonie Wülfrath, in der sie nun untergebracht sind, hält Sayed fest: „Man wünscht sich, dass ich glücklich bin. Ich merke, dass ich den Menschen wirklich was bedeute.“ Am Ende des Films wünscht man sich, dass die erlebten Gefühle der Empathie und des Stolzes auf die deutschen Helferinnen und Helfer auch auf andere Teile der Bevölkerung überschwappen würden.

Eine etwas andere emotionale Wertigkeit trägt der Kurzfilm Eine Familie, in dem der 17-jährige Syrer Hussam, der nun seit mehreren Monaten in einer Wuppertaler Wohngruppe für Jugendliche lebt, von seiner beschwerlichen Flucht erzählt und davon, was es bedeutet, als ‚Flüchtling‘ erkannt und abgestempelt zu werden. Er berichtet von Abzocke und Ausbeutung sowie von Gefahren, die ihn wegen seines ungewollten Status zu Teil wurden (und werden). Auch er gehörte zu den ‚Glücklichen‘, die noch vergleichsweise problemlos in Deutschland einreisen durften, hier willkommen geheißen und aufgenommen wurden. Er hat in den anderen Jugendlichen der Wohngruppe eine Familie gefunden, dennoch erzählt er, dass es darüber hinaus schwer ist, Freundschaften zu schließen. Außerdem hat er im Gegensatz zu seinem Leben in Syrien – in dem er immer viel unterwegs war – in Deutschland nichts zu tun. Er kam, um zu studieren, langweilt sich stattdessen nun und verbringt gezwungenermaßen viel Zeit in seinem Zimmer und im Internet. Der Kurzfilm gibt keine Wertung vor. Wie viele andere Beiträge des Filmprojekts portraitiert er lediglich. Doch man bekommt das eindringliche Gefühl: Hussam wartet darauf, integriert zu werden.

Auch die anderen Kurzfilme der achtteiligen Reihe HIN und WEG 1 lassen Flüchtlinge zu Wort kommen und beleuchten verschiedene Aspekte ihres (Leidens-)Weges – so zum Beispiel in Abd Al & Malaz, Der einzige Weg oder Tomaten im Regen. In Füreinander da sein geht es ferner um ein selbstorganisiertes, beidseitig gewinnbringendes Familienpaten-Projekt, während Im Dschungel der Flüchtlinge von illegalen Flüchtlingscamps handelt.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Filmreihe der Komplexität des Themas ‚Flucht‘ gerecht wird und die derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet – sei es die überspitze und fast schmerzhafte Selbstkritik in Vom Untergang des Schlaraffenlandes, das Empathie-auslösende Gespräch in Eine etwas andere Kindheit oder die problemzentrierte Darstellung in Eine Familie. Es bleibt zu hoffen, dass durch die diversen Blickwinkel und Positionen noch so manch meinungsverhärtete Filterblasen zum Platzen gebracht werden können. Die Filmreihe richtet sich an alle, die einen tiefen Einblick in die Themenlage erhalten und zur Reflexion angeregt werden wollen. Vor allem aber ist sie zur Vorführung geeignet, gerade auch in Schulklassen. Auf dem YouTube-Kanal des Medienprojekt Wuppertal sind alle Filme abrufbar, bald sind sie auch als DVD erhältlich.

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