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Hans-Dieter Kübler: Medienfreiheit verkehrt

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Zur Person

Längst verklungen sind die Schalmeien über das demokratische Potenzial des Internets: Zwar kann jede bzw. jeder mit jeder bzw. jedem noch direkt – ungehindert von den professionellen Gate Keepern – kommunizieren und seine Meinungen frei vertreten, aber das ermöglichen mächtige Provider und Plattformen, die alle Daten nebenbei verhökern und mit solch werbeträchtigen Filterblasen enorm verdienen. Durchkommerzialisiert und von den IT-Giganten dominiert hat das Internet längst seine emanzipatorischen Verheißungen verloren. In der öffentlichen Wahrnehmung wird es – womöglich zu einseitig – verstärkt als unkontrolliertes Forum für Hasstiraden, Diffamierungen, Promiskuität und Fake News wahrgenommen. Der Rechtspopulismus nutzt es für seine Propaganda, in seinen dunklen Ecken vernetzen sich sexuelle Abnormitäten, Terrorismus und organisierte Kriminalität. Da dürfte es auf breite Zustimmung stoßen, wenn sich nun auch die EU-Kommission auf Drängen des EU-Parlaments aufmacht, um die wachsende Desinformation, wie sie Fake News übersetzt, einzudämmen. Wie schon 2016 beim Thema Hassrede, ließ sie den Verhaltenskodex Code of Practice on Online Desinformation ausarbeiten, der Mitte Oktober von Betreibern führender Onlineplattformen sowie Sozialer Netzwerke und über 50 weiteren Firmen unterzeichnet wurde. Das umfangreiche Memorandum umfasst fünf Kompetenzbereiche: Werbeeinnahmen von Unternehmen, die falsche Informationen verbreiten, sollen gestoppt, gefälschte Accounts und Bots unterbunden, politische Werbekampagnen transparenter, Meldungen von Fake News-Fällen für Userinnen und User vereinfacht und die Verbreitung von Desinformationen strukturell besser überwacht werden. Schon Ende des Jahres will die Kommission einen ersten Rechenschaftsbericht abliefern. Viel Aufmerksamkeit hat diese Maßnahme in der deutschen Öffentlichkeit nicht gefunden, obwohl sie recht gravierend werden könnte: Zwar kritisierten Medien- und Plattformvertreter, dass der Kodex keinen gemeinsamen Ansatz, keine sinnvollen Verpflichtungen, keine messbaren Ziele und Durchsetzungsinstrumente und damit keine Möglichkeit zur Überwachung des Umsetzungsprozesses enthalte. Aber die viel grundsätzlichere Frage, wie das Internet die überkommene Meinungs- und Pressefreiheit notwendig oder arbiträr verändert, wird kaum diskutiert. Dem feudalen Staat vom Bürgertum seit 1848 abgerungen, in der Weimarer Verfassung erstmals anerkannt, vom Nazi-Regime sogleich kassiert, in der BRD von den Besatzungsmächten zugestanden und im Grundgesetz als Grundrecht verankert, in der DDR nur deklamiert, derzeit in anderen europäischen Staaten von „illiberalen“ und rechtspopulistischen Autokraten bedroht, überträgt die EU den Schutz und die Einhaltung der digitalen Medienfreiheit nun mächtigen Online-Giganten in Form einer Selbstverpflichtung. Abgesehen davon, dass es wohl nie konsensfähige Definitionen für Fake News in einem derart ideologisch zerstrittenen Europa geben wird, zeigt diese unverbindliche Bitte, wie ohnmächtig inzwischen (quasi) staatliche Instanzen gegenüber dem globalen, vermachteten Internet geworden sind.

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