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Stefan Piasecki: Unterhaltung, Kunst und Jugendschutz

    Zur Person

    Kino und Film im Iran

     

    Von der nachrevolutionären Zeit über den Krieg zwischen Irak und Iran, die Golfkriege der 1990er- und frühen 2000er-Jahre bis zur damit eingetretenen Destabilisierung der gesamten regionalen Nachbarschaft – der moderne Iran war in den letzten Jahrzenten unterschiedlichsten Phasen und Ereignissen ausgesetzt. Eine bewegte Zeit, die sich auch in den filmisch produzierten Inhalten erspüren lässt. Das Kinomagazin Film überspannt all das in seiner Berichterstattung. Es existiert seit 1982, kurz nach der Islamischen Revolution 1979. Auch politischer Wandel, Reformen sowie UN-Sanktionen fließen in das Magazin ein.

     

    Der iranische Filmmarkt – Ein Spiegel des 20. Jahrhunderts

    Die iranische Filmindustrie gehört zu den jüngsten der Welt. Erst ab 1930 wurden im Iran kommerzielle Filme produziert, als erster iranischer Spielfilm gilt der Stummfilm Abi & Rabi. Von einer Filmindustrie lässt sich erst ab Mitte der 1950er-Jahre sprechen, als jährlich etwa zwölf Filme produziert wurden. Ihre Narrative und Perspektiven gründen in der jahrtausendealten Tradition persischer Dichtkunst und Erzähltradition. Wie alle anderen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wurde auch die Kulturproduktion von der Islamischen Revolution umgewälzt, die den Schah 1979 ins Exil trieb und Ayatollah Khomeini den Iran zu einer Islamischen Republik umgestalten ließ. Die iranische Filmindustrie wurde aus zweierlei Richtungen von diesen Ereignissen berührt. Einerseits sollten nun entschieden unmoralische und unislamische Inhalte aus dem öffentlichen Leben verbannt werden, andererseits richtete sich die Revolution nicht zuletzt gegen den amerikanischen Einfluss auf die iranische Innenpolitik – somit waren gerade ausländische Filmproduktionen Ziel von Behinderungen und Verboten. Viele Kinos im Iran wurden noch während der revolutionären Unruhen zerstört, weitere in den Jahren danach. Der Film als Medium der Unterhaltung wie auch der Information war jedoch zu wichtig, als dass er dauerhaft aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen gewesen wäre. Ab 1983 förderte der damalige Kulturminister Mohammed Khatami die Filmproduktion mit dem Ziel, sie auch international als kulturelle Stimme des Iran zu etablieren. Im Westen ist der Iran als Produktionsland von Filmen wenig bekannt, trotzdem werden etwa 100 Filme im Jahr produziert, die sich vielfach an ein jüngeres Publikum unter 25 Jahren wenden. Als erfolgreich gelten im Iran insbesondere Komödien, Beziehungs- und Sozialdramen sowie Actionfilme. Im Westen sind diese, anders als das indische Bollywood-Kino oder chinesische Actionstreifen, vornehmlich Cineastinnen und Cineasten bekannt. Gerade für sie gelten die Werke von Abbas Kiarostami, Ashgar Farhadi oder Jafar Panahi als cineastische Spezialitäten der besonderen Art. Nader & Simin (Seperation)oder Taxi Teheran ( Taxi) konnten auch in Deutschland größeres Interesse hervorrufen. Letzteres Werk gewann beispielsweise den Goldenen Bären der Berlinale 2015 und Ashgar Farhanis The Salesman die Goldene Palme 2016 für das beste Drehbuch. Abbas Yari berichtet, dass das Publikum in Cannes die Vorführung von The Salesman über zehn Minuten beklatscht habe. Im Gegensatz dazu gibt es eine ganze Reihe von iranischstämmigen Filmemachenden, die im Westen erfolgreich, im Iran selbst aber teilweise weniger bekannt sind. Zu ihnen gehört zum Beispiel der in Schweden aufgewachsene Babak Najafi (London Has Fallen, 2016).

    Anders als in anderen islamischen Ländern haben weibliche Regisseurinnen wie Tahmineh Milani, Marziyeh Boromand oder Rakhan Banietemad einen festen Platz unter den Größen des iranischen Films. Science-Fiction oder Fantasy-Filme aus iranischer Produktion gibt es so gut wie gar nicht. Die Produktion sei zu teuer und die Konkurrenz durch ausländische Produktionen – die nicht selten als billige Raubkopien erhältlich sind – zu groß. Zu den wenigen Ausnahmen gehört die im Juli 2016 in iranischen Kinos angelaufene Komödie Dracula ( Deracula) von Reza Attaran.

     

    Im Kino dominieren inländische Produktionen

    Die Dominanz der inländischen Produktionen im Kino liegt jedoch, so Abbas Yari, nicht etwa daran, dass Iranerinnen und Iraner keine ausländischen Filme mögen. Vielmehr sei der Raubkopie-Markt so stark, dass so gut wie alle internationalen Filme ab dem Zeitpunkt der Ausstrahlung oder schon früher auf gebrannten DVDs oder per Download erhältlich seien. Kämen sie dennoch ins Kino, wären sie oft um unmoralische oder stark gewalthaltige Szenen verkürzt – so wie auch in Deutschland Filme hinsichtlich ihrer Jugendgefährdungspotenziale untersucht und erst mit Schnittauflagen für bestimmte Altersstufen freigegeben werden. Der Begriff der ‚sozialethischen Desorientierung‘ spielt vorwiegend in Deutschland eine Rolle, im Iran werden vor allem Szenen entsprechend geschnitten, die gegen gängige moralisch-religiöse Auffassungen verstoßen. Iranische Kinogängerinnen und -gänger stünden so vor der Entscheidung, für wenig Geld eine ungeschnittene ausländische Grau- Fassung zu erstehen oder mehr für den Besuch eines aufbereiteten und freigegebenen Kinofilms zu bezahlen. Geschnitten und gekürzt wird gerade auch für das Fernsehen aus eben jenen religiösen oder moralischen Gründen. Die jahrelange politische Eiszeit aufgrund des internationalen Konflikts um das iranische Atomprogramm endete am 16. Januar 2016 mit der Aufhebung der UN-Sanktionen. Mit einer zu beobachtenden Öffnung des Landes und seines Kultur- und Medienmarktes wird sich hier möglicherweise größeres Interesse einstellen.

    Jugendmedienschutz: Deutschland und der Iran im Vergleich

    Die neue Offenheit und der Wandel in internationalen Geschäftsbeziehungen wird viele Bereiche des öffentlichen Lebens vor große Herausforderungen stellen. Fragen des Urheberrechts und des Jugendschutzes konnten in der Vergangenheit beispielsweise weitgehend unberücksichtigt bleiben. Schon bald könnten internationale Anbieter und Anwaltskanzleien Druck aufbauen und versuchen, auf den iranischen Markt mit immerhin 81 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zu gelangen. Umso wichtiger erscheint es, dass rechtzeitig wichtige Fragen des Jugendschutzes sowie moralischer und kultureller Besonderheiten aufgeworfen und geklärt werden. Nur über sie lassen sich eine Steuerung der Importe und der Schutz bestimmter Altersgruppen erreichen. Inhaltlich ist der Jugendschutz im Iran gänzlich anders geregelt als in Deutschland. In der Bundesrepublik Deutschland obliegt die Altersfreigabe von Filmen den Obersten Landesjugendbehörden. Ihnen unterstehen:

    - die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) für Trägermedien (Kinofilme und DVDs),

    - die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) für ausgestrahlte Inhalte (TV) sowie

    - die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle für Computerspiele (USK).

    Der Jugendmedienschutz in Deutschland beruht zudem auf den Grundlagen des Jugendschutzgesetzes (JuSchG). Alle im Kino ausgestrahlten oder auf DVD erhältlichen Filme werden durch unabhängige Kommissionen und mittels transparenter Verfahren geprüft. Im Rahmen der Sichtprüfung werden die Bild- und Tonebene wie auch Einzeldarstellungen geprüft. Entscheidend ist jeweils der Gesamtzusammenhang. Während Filme nach dem Jugendschutzgesetz beurteilt werden, greift bei gesendeten Medien, also TV-Filmen, der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Filme, die nicht verboten sind – wie etwa im Falle von Gewaltverherrlichung, Pornografie – werden über Sendezeitbeschränkungen Kindern und Jugendlichen unzugänglich gemacht. Während in Deutschland also grundsätzlich alle Filme in ihren unterschiedlichen Distributionsformen hinsichtlich der Tauglichkeit für verschiedene Altersgruppen bewertet werden, existiert eine institutionalisierte Altersfreigabe in der Islamischen Republik Iran bislang nicht. Dies liegt an der Produktionsweise iranischer Filme. Skripte sind vor Produktionsbeginn beim Ministerium für Kultur und islamische Führung einzureichen. Eine Kommission prüft das jeweilige Drehbuch und später in möglicherweise anderer Besetzung die fertige Produktion. Die Mitglieder dieser Kommission sind Regisseurinnen und Regisseure, aber auch Angestellte des Religionsministeriums und der Islamischen Universität in Ghom. Die Drehbücher werden auf mögliche Verstöße gegen Moral, Sitten und auf politische Korrektheit hin überprüft.

    Bereits hier fallen anstößige oder gewalttätige Szenen auf und werden angepasst oder entfernt, bevor das Skript freigegeben wird. Während der Dreharbeiten gibt es zunächst keine weiteren Kontrollen. Erst nach der Prüfung des fertigen Films werden möglicherweise erneut Schnittauflagen erteilt – eine abermalige Altersfreigabe erscheint somit nicht nötig, da eine Produktion bereits mehrfach begutachtet wurde. Wie viele Produktionen von Änderungsauflagen betroffen sind, ist auch Abbas Yari nicht bekannt. Interessanterweise unterliegen Filme für Kinder weniger starken Reglementierungen; Produktionen für diese Altersgruppe werden von den Prüf- und Begutachtungsbehörden nicht so ernst genommen wie Filme für Erwachsene, was auch dazu führt, dass viele iranische Regisseurinnen und Regisseure zunächst mit Kinderfilmen in den Beruf einsteigen. Altersfreigaben werden also selten ausgesprochen, sind aber dennoch möglich. Jedoch gibt es bislang nicht einmal ein dutzend Filme, die im Nachhinein für eine bestimmte Altersgruppe beschränkt wurden, weil man den Grad an Gewaltdarstellungen oder die Menge gezeigten Blutes Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren nicht zumuten wollte.

     

    Fernsehen und Print

    Das Fernsehen spielt im Iran nach Ansicht von Yari eine wichtige Rolle. Der durchschnittliche Familienhaushalt verfüge über zwei bis drei Fernsehgeräte oder Computer und der Fernseher laufe im Hintergrund ständig mit. Im Fernsehen, etwa im zweiten iranischen Programm, das sich vornehmlich an jüngere Zuschauerinnen und Zuschauerwendet, gibt es nur einige wenige Regelungen hinsichtlich der Alterstauglichkeit von Produktionen. Diese sind jedoch in ihrer Ausgestaltung nicht präzise gefasst und die Bewertungsergebnisse werden auch nicht veröffentlicht wie jene von FSK und FSF. Vorgenommen wird die Einschätzung von der Akquisitionsabteilung des Senders, der bei der Sichtung des zur Verfügung stehenden Materials entsprechend gewichten kann. Für ausländische Produktionen gibt es keine Vorlagepflicht, die sich auf die Tauglichkeit für bestimmte Altersgruppen bezieht. Sie werden für die Ausstrahlung im Fernsehen jedoch ebenfalls regelmäßig bearbeitet. Zuletzt stellt sich die Frage, ob auch gedruckte Erzeugnisse einer Kontrolle unterliegen. Film ist nach wie vor die auflagenstärkte Kinopublikation des Iran. Nachdem sie in der Spitze Auflagen von bis zu 100.000 verkauften Exemplaren erzielen konnte, hat sie, wie viele andere Zeitschriften weltweit, aufgrund des Internets und des dortigen Alternativangebots an Berichten und Rezensionen etwa 75 Prozent der Auflage eingebüßt, genießt unter iranischen Filmfans aber nach wie vor Kultcharakter und kann monatlich etwa 25.000 Exemplare verkaufen. An den monatlich erscheinenden Ausgaben arbeiten 25 feste und einige freie Redakteurinnen und Redakteure. Die Redaktion des Magazins Film unterliegt dabei keiner Zensur, bekräftigt Abbas Yari. Aufgrund der langjährigen Erfahrung auf dem Zeitschriftenmarkt wüsste das Teams bereits im Voraus um Inhalte, die anstößig sein könnten. Dabei ginge es nicht einmal um staatliche Kontrolle. Ihre Kundinnen und Kunden selbst würden unter Umständen negativ reagieren, wenn freizügige Bilder oder explizite Gewaltdarstellungen veröffentlicht würden. Für derlei Darstellungen gäbe es keine Tradition im Iran, die Menschen seien daran nicht gewöhnt. Auch würde man nicht über Filme berichten, die im Iran ohnehin keine realistische Chance auf Vorführung hätten, eben weil sie den Erwartungen und Gepflogenheiten widersprächen.

     

    Fazit

    Der iranische Medienmarkt ist vielfältig, aber gänzlich anders strukturiert als etwa der deutsche. Das iranische Kino ist ‚Erzählkino‘ in bester Tradition auch europäischer Autorenkinos. Im Fernsehen werden – anders als im Kino – eine Vielzahl internationaler, auch deutscher Produktionen und Serien gezeigt. Urheberrechtlichen Schutz gibt es kaum, insbesondere ausländische Produktionen werden offen als professionell aufbereitete Raubkopien verkauft. Einen Jugendschutz, der mit dem deutschen Modell vergleichbar wäre, gibt es nicht. Dennoch werden iranische Produktionen im Vorfeld und im Verlauf der Produktion hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den Grundsätzen einer islamischen Gesellschaft überprüft. Abzuwarten wird sein, inwieweit die Öffnung des Landes zu einer Ausweitung der Märkte führen und welche Rolle die internationale Film- und Vertriebsindustrie spielen wird. Als Land mit 80 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, die im mittleren Osten im Vergleich gut ausgebildet und wirtschaftlich unabhängig sind, könnte der Iran ein bevorzugtes Ziel für die Expansion von internationalen Vertrieben werden.

    Dr. Stefan Piasecki ist Professor für Soziale Arbeit an der CVJM-Hochschule in Kassel. Er habilitierte in Religionspädagogik mit einer explorativen Studie zur Religion in Computer- und Videospielen. Seine Schwerpunkte sind Handlungsfelder der Sozialen Arbeit und Medienpädagogik.

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