Stephan Dreyer: Medienpädagogik und Medienrecht
Zur Person
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Interdisziplinärer Diskurs
Medien vor 60 Jahren – Medien heute. Da ist vieles gleich geblieben und doch irgendwie alles ganz anders. Wir sind vernetzt, online und mobil, Medien sind immer und überall – und aus keinem Lebensbereich und keiner (humanwissenschaftlichen) Disziplin wegzudenken. merz, seit 60 Jahren Forum der Medienpädagogik, nimmt ihren Geburtstag zum Anlass, um dies im interdisziplinären Horizont zu erörtern. Wir fragten Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Disziplinen: Was macht den Mehrwert medienpädagogischer Forschung und Praxis in der zunehmend mediatisierten Gesellschaft aus?
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Die traditionelle Sicht auf das Verhältnis von Medienrecht und Medienpädagogik ist dichotom. Medienrecht bietet im besten Fall vollziehbare Normen für professionelle Regelungsadressatinnen und -adressaten, Medienpädagogik bereitet die vermeintlich uninformierten Rezipierenden auf den Umgang mit eben jenen Medien vor. Die Veränderungen der letzten Zeit aber führen zu einer notwendigen Neubestimmung dieses Verhältnisses. Wo Rezipierende zu ‚Produtzerinnen und Produtzern‘ werden und die Zahl und Vielfalt der Anbieter und Angebote sich vermillionenfacht, wird aus einer One-to-Many-Medienindustrie eine Many-to-Many-Gesellschaft. Das hat Konsequenzen für die medienpädagogisch-medienjuristische Beziehung.Klassischerweise bestehen bleibt nach wie vor die Erkenntnis, dass Recht ein (Teil-)Bezugssystem der Medienpädagogik ist. Neben sozialen Normen und den immer relevanter aufscheinenden Fragen nach der normativen Kraft von Softwarecode prägen medienrechtliche Vorgaben immer noch Teile des Vermittlungsinhalts der Medienpädagogik.Aus Regulierendensicht aber sind Betrachtungen neu, die in die entgegengesetzte Richtung gehen: Die medienpädagogische Praxis ist Spiegel und Gradmesser für die Praxistauglichkeit und Akzeptanz medienrechtlicher Vorgaben. Die medienpädagogischen Erfahrungen und Rückmeldungen bei der Vermittlung des – teils vormodernen – Ordnungsrahmens, die praktischen Hürden beim Einsatz mediendidaktischer Tools und der ungeschönte Blick auf die wirkliche Nutzungspraxis der Bevölkerung sind ein wichtiger Teil des regulatorischen Entscheidungswissens. Die ‚regulatory choice‘, die Medienregulierende treffen müssen, ist auf derartiges Praxiswissen angewiesen, wenn Medienregulierung alltagstauglich sein soll. Medienpädagogische Erkenntnisse bilden eine wichtige Grundlage für Medienregulierung!
Die skizzierten Veränderungen zeigen traditioneller Medienregulierung in vielen Bereichen ihre Grenzen auf. In der digitalen Gesellschaft sind Medienregulierung und Medienpädagogik zwangsweise verschränkt, sei es im Datenschutz (Datenschutznormen einerseits, Selbstdatenschutz als soziale Praxis und Kompetenz andererseits), im Jugendmedienschutz (Jugendmedienschutzvorgaben hier und Ermöglichung des Selbstschutzes und Copings mit ungeeigneten Inhalten da) oder im Urheberrecht (Urheberrechtsgesetze jenseits und der reflektierte Umgang mit eigenen und fremden Werken diesseits des Medienalltags). Dort, wo bisherige Regulierungsansätze ihre ‚Waffen‘ strecken müssen oder implizite Regelungsadressaten (Eltern!) nicht weiter belasten kann, bietet Medienpädagogik nicht nur – wie bisher – mögliche Präventionsmaßnahmen, sondern kann an sich einen alternativen Steuerungsansatz darstellen, der beobachtbare Regelungsdefizite klassischer Medienpolitik kompensieren kann. Medienpädagogik ist so ein wichtiger Teil der Mediengovernance. Medienregulierung braucht Medienpädagogik!Folge dieser Erkenntnis muss sein: Beide Bereiche, Medienrecht und Medienpädagogik, dürfen nicht mehr als Alternativen gegeneinander ausgespielt werden, sondern sie müssen als ineinandergreifende Komplexe begriffen und als solche (besser) genutzt werden. Dafür bedarf es eines systematischen Austauschs beider Perspektiven. Dass merz hier seit 60 Jahren Ansichten, Erkenntnisse und Ansätze vermitteln hilft, ist an Wichtigkeit nicht zu überschätzen. Moderne Medienregulierung bedankt sich!
Stephan Dreyer ist wissenschaftlicher Referent am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung. Sein Forschungsinteresse gilt dem Recht der neuen Medien, insbesondere rechtlichen Fragestellungen im Schnittbereich von Jugendschutz, Datenschutz und Verbraucherschutz angesichts neuer Technologien.