Kerstin Heinemann
Beiträge in merz
Kerstin Heinemann: Leitfaden für Kinder- und Jugendkonferenzen
Auf ACT ON!-Kinder- und Jugendkonferenzen setzen sich Heranwachsende mit ihren Sichtweisen auf die Online- Welt auseinander: Sie diskutieren Umgangsweisen, tauschen sich über Strategien im Umgang mit Risiken aus, formulieren Schutzbedürfnisse und verdeutlichen ihre Vorstellungen in Bezug auf effektive Unterstützung. In Vorbereitungsgruppen erstellen sie Medienprodukte, mit denen sie ihre Perspektive in die Konferenzen einbringen. Diese Projektanlage, Erfahrungen aus der Praxis und hilfreiche Tipps und Tricks zum Nachmachen sind nun in einem Leitfaden veröffentlicht worden. Das Projekt ACT ON! aktiv + selbstbestimmt online arbeitet im Themenfeld des Aufwachsens zwischen Selbstbestimmung und Schutzbedarf.
Ziel war es, Kindern und Jugendlichen Diskurs- und Aktionsräume zu eröffnen und so das Zusammenspiel von Medienkompetenzförderung und Auseinandersetzung mit dem Themenfeld Jugendmedienschutz voranzubringen. Heranwachsende thematisieren von sich aus vielfältige Schutz-, Informations- und Hilfebedürfnisse. Ihre zentralen Punkte beziehen sich dabei vor allem auf ihre Rolle als aktiv Handelnde im Internet, wenn sie beispielsweise Inhalte produzieren und veröffentlichen oder mit anderen kommunizieren und interagieren. Bei den ACT ON!-Kinder- und Jugendkonferenzen griff das JFF – Institut für Medienpädagogik auf Erfahrungen in der Umsetzung von Jugendkonferenzen, Social Labs und Bar Camps zurück, die nun themenbezogen und für die Altersgruppe der Zehn- bis 14-Jährigen präzisiert wurden. Dabei wurden unterschiedliche modellhafte Veranstaltungen gemeinsam mit Heranwachsenden umgesetzt und Kinder und Jugendliche mit Akteurinnen und Akteuren aus Jugendmedienschutz und Medienkompetenzförderung ins Gespräch gebracht.
Finanziert wurde das Projekt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.Auf der Webseite finden sich neben dem Leitfaden auch Einblicke in die Konferenzen sowie die Ergebnisse aus der begleitenden Monitoring- Studie.
Kerstin Heinemann: re:publica
Eigentlich setzt die Pubertät erst so mit zwölf Jahren ein. Und eigentlich ist die Pubertät auch nur der Beginn und nicht das Ende des Prozesses erwachsen zu werden. Aber in Zeiten der Digitalisierung ist wohl alles schneller. Und so ist es kein Wunder, dass die größte Digitalkonferenz Europas 2016 nicht nur ihren zehnten Geburtstag feiern konnte, sondern nun auch endgültig bewiesen hat, dass sie erwachsen geworden ist. Aus den 700 nerdigen Bloggerinnen und Bloggern der ersten re:publica sind dieses Jahr über 8.000 Teilnehmende geworden. Auf 17 Stages wurden 500 Sessions mit 770 Sprecherinnen und Sprechern aus 60 Ländern angeboten – fast die Hälfte davon Frauen, fast die Hälfte in englischer Sprache. Diskutiert wurde die Breite der gesellschaftspolitischen Themen unter den Bedingungen der Digitalisierung: Überwachung, Big Data, Verschlüsselung, Netzneutralität, Coding, digitale Bildung, Integrations- und Migrationsfragen, HealthApps und ihre Risiken, die Frage nach digitalen Vermarktungsstrategien, digital Storytelling und neuen Medienformaten, Arbeit 4.0 und natürlich Snapchat.
Das Nischenthema Internet ist zum Querschnittsthema geworden und was jetzt in der Übersicht vielleicht als Buzzword-Bingo daher kommt, wurde zumeist mit großer Expertise und auch manchem Augenzwinkern referiert und diskutiert. Ein Großer war dieses Jahr nach einjähriger Pause wieder dabei: Sascha Lobo. Sein schon traditioneller Rant trug den Titel „TROTZDEM“. Lobo peitschte sein Publikum durch all die Missstände des Digitalen der letzten Jahre, verschonte es nicht mit den Versäumnissen und musste selbstkritisch feststellen, dass er selbst etwa 82 Artikel gegen die Vorratsdatenspeicherung geschrieben hatte und sie trotzdem eingeführt wurde. Und als er dann noch feststellte, dass die AfD mit 237.000 Facebook-Fans genauso viele Fans hätte, wie die großen Parteien zusammen, wurde es endgültig nachdenklich in der Halle und Lobos Appell schlug durch: Mehr einbringen, mehr produzieren, weniger konsumieren. Wir dürfen das Netz nicht den Rechten überlassen!
Gisela Schubert und Kerstin Heinemann: Culture-Clash. Peer-Involvement in der Schule
Peer-Involvement bedeutet mehr als ein paar zusätzliche Methoden. Doch wie kann dieser Ansatz in der Schule gelingen? Welche Stolpersteine gibt es? Welche Erfahrungen wurden in der medienpädagogischen Arbeit im Kontext Schule damit bereits gemacht? Diese Fragen werden auf Basis der Evaluationsergebnisse des Förderprogramms „peer³ – fördern_ vernetzen_qualifizieren“ beleuchtet.
Literatur:
Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (2010). (Sozial)Raum – ein Bestimmungsversuch. In: Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (Hrsg.), Sozialraum. Eine Einführung. 2. durchgesehene Auflage. Wiesbaden: VS Verlag, S. 21–38.
Steiner, Olivier/Heeg, Rahel (2015). Evaluation Projekte Peer Education/Peer Tutoring zur Förderung von Medienkompetenzen. BAND I: Anlage der Evaluation und Ergebnisse der übergreifenden Analyse. www.jugendundmedien.ch/de/aktuell/ aktuell-meldungen/details/news/594-bericht-zum-potenzial- von-peer-education-peer-tutoring-zur-foerderung-von- medie.html?cHash=ac423aa7f43f53fa70a50a1f9e5c18 de [Zugriff: 02.12.2015].
Kerstin Heinemann: INTO THE WILD – von einer Reise in die digitale Wildnis
re:publica 2014, das waren mehr als 6.000 Menschen, 40 Prozent davon Frauen, 148 Accesspoints, über die sich vom 6. bis 8. Mai 10.659 Geräte eingeloggt haben, 324.684 Kekse, die als Gadgets in den Welcometaschen zu finden waren, 88.974 Tweets mit dem hashtag #rp14, mit einer theoretischen Leserschaft von 193.251.364 Menschen, 18 Bühnen, die alle mit Schrift- oder Gebärdensprachdolmetschern und -dolmetscherinnen ausgestattet waren, 250 Stunden internationales Programm in 350 Sessions und mit noch mehr Speakerinnen und Speakern versehen – der Jüngste unter ihnen gerade mal zwölf Jahre alt … Aber halt, so geordnet ist die Wildnis nicht! Auch, wenn die re:publica bei vielen immer noch als Internetoder Bloggerkonferenz gilt, hat sie doch spätestens 2014 eindrucksvoll bewiesen, dass sie eine Gesellschaftskonferenz (geworden) ist.
Deshalb war das allem zugrunde liegende Thema auch die Beschäftigung mit der Frage, was das Internet mit der Gesellschaft macht und was die Gesellschaft mit dem Internet anstellen kann und dabei ist sie so bunt und vielfältig, wie kaum eine andere Konferenz: Von The Yes Men, einer Netzkunst- und Aktivistengruppe, die eindrucksvoll bewies, wie Guerillakommunikation Aufmerksamkeit für ein Thema generiert, über WikiLeaks-Journalistin Sarah Harrison, die Edward Snowden von Hongkong nach Moskau begleitete, David Hasselhoff, der zusammen mit Mikko Hyppönen über „digital freedom“ sprach, YouTube-Stars, die einen faszinierenden Einblick in die Clipwelt jenseits des Fernsehens gaben, mehreren Sessions mit neuen Narrationen gegen Überwachung, bis hin zu Sascha Lobo, der in seinem traditionellen Rant deutlich machte, dass die „selbsternannte Hobbylobby der Internetversteher“ sich endlich professionalisieren muss, um Antworten zu finden auf die Herausforderungen, die der „größte Meteoriteneinschlag seit Anbeginn des Internets“ (das massenhafte Ausspähen und Speichern unserer aller Daten und die Konsequenzen daraus) dieser Gesellschaft stellt. Erfreulich ist, dass mit der re:learn nun schon seit 2010 ein expliziter Schwerpunkt rund um (digitale) Bildung gesetzt werden konnte.
Ob Gamedesign, Minecraft oder das peer³-Projekt der Oskar-von-Miller-Schule aus Kassel, das selbstgesteuertes Lernen im Lehr-Lern-Kontext erprobt, es gab jede Menge zu diskutieren und zu erleben. Und so ist es den Macherinnen und Machern von INTO THE WILD tatsächlich gelungen, eine res publica, eine Sache der Gesellschaft aus diesen drei Tagen zu machen und das Versprechen einzulösen, das sie in der Veranstaltungsankündigung gegeben haben, nämlich den Blick zu öffnen für verschiedene Ansätze, um das Internet und die Gesellschaft der nahen Zukunft zu verstehen und zu verbessern.http://www.re-publica.de
Horst Pohlmann und Kerstin Heinemann: gamescom 2012 – Medienpädagogische Spots auf die Computerspielemesse
Die gamescom ist die weltweit größte Messe für interaktive Unterhaltungselektronik und verzeichnete 2012 laut eigenen Angaben einen erneuten Besucherrekord von knapp 275.000 Gästen. Die Medienpädagogik darf dabei natürlich nicht fehlen und so sollen im Folgenden zwei thematische Spots gesetzt werden.
Die P2P-Kampagne „Dein Spiel. Dein Leben.“ – ein Reisebericht
Mittwoch, der 15.08.2012. 35 Jugendliche im Alter zwischen 15 und 25 Jahren stehen mit ihren Koffern und Schlafsäcken an den Bahnhöfen in Augsburg, Bonn, Bielefeld, Erfurt, Gütersloh und Karlsruhe. Ihr Ziel ist die gamescom in Köln. Im Gegensatz zu den 275.000 anderen Besucherinnen und Besuchern der weltweit größten Messe für interaktive Unterhaltungssoftware kommen sie nicht zum Daddeln her, sondern um andere Gamer von ihrer Kampagne zu überzeugen. In Köln starteten die Vorbereitungen für die Kampagnen-Eröffnung schon einige Wochen vorher: Es wurde geplant, welche Aktionen am Messestand stattfinden sollten, Zelte wurden gebucht und auf der Arena-Bühne der esl (electronic sports league, sozusagen die Bundesliga der Computerspiele) in Halle 8, dem Speakers Corner in Halle 10.1 sowie dem gamescom-congress im Kongresszentrum wurden Zeit-Slots reserviert, um Dein Spiel. Dein Leben. der (Gaming-) Öffentlichkeit zu präsentieren. Während die studentischen Messebauer eine Woche vor der gamescom ihren Freundeskreis einspannten, um den Messestand zu bauen, wurde parallel an der Internetseite, den Flyern und der offiziellen Pressemitteilung gearbeitet.
Für die ersten beiden Jungs wird es bereits am Fachbesuchertag ernst: Ein Interview mit einer Journalistin für den WDR steht auf dem Programm. Routiniert erzählen sie ihr, was es mit der Kampagne auf sich hat, wie sie selbst es schaffen, reales und virtuelles Leben in Balance zu halten, was ihre Lieblingsspiele sind und welches Computerspiel das erste war, das sie jemals gespielt haben.Ein Foto-Shooting später treffen sie dann auf die anderen, um mit den Organisatoren von Spielraum die Details zum Ablauf der kommenden vier Tage durchzugehen, Eintrittskarten und Verpflegungsgeld in Empfang zu nehmen und gemeinsam mit ihren Betreuerinnen und Betreuern den Zeltplatz zu suchen.Nachdem in der Nacht auf Donnerstag ein kräftiges Gewitter die Zelte unter Wasser gesetzt und auch die eine oder andere Reisetasche mit Klamotten nicht unversehrt gelassen hatte, macht sich die Gruppe auf den Weg zu den Messehallen. In Halle 10.1, der vermeintlich leisesten der Hallen, in der zahlreiche medienpädagogische Institutionen und Projekte ihre Stände aufgebaut haben, erwartet sie der Messestand ihrer Kampagne Dein Spiel. Dein Leben., die zusammen mit dem Multimedia-Wettbewerb MB21 den Kern des Standes unter dem Dach der Initiative Dialog Internet darstellt. Als erstes teilen sie sich auf und entscheiden, wer welche Aktionen im Laufe des Tages durchführen bzw. betreuen wird: Die ersten wählen die Button-Maschine, mit der die Besucherinnen und Besucher sich selbst einen Kampagnen-Anstecker mit QR-Code basteln können, die nächsten entscheiden sich für die Betreuung des Spiels Bomberman-Battle, in dem der Spieleklassiker zu viert gespielt werden kann, andere für Pong-Invaders, in dem Pixel-Aliens mit Hilfe einer Partie Tischtennis an der Landung gehindert werden müssen und das zu neuen sportlichen Highscores verleitet. Wieder andere schnappen sich Aufnahmegeräte und fangen in kurzen Interviews Stimmen von Messebesucherinnen und -besuchern ein (Highlight einer Familie aus Dänemark: „Ich wünschte, es gäbe eine solche Initiative auch bei uns in Dänemark!“) und schließlich gilt es, Flyer der Kampagne unters Volk zu bringen. Bei so vielen Aufgaben ist es klar, dass jeder in den nächsten Tagen mal alles machen muss – Abwechslung garantiert. Und all diese Aktionen haben nur einen Sinn: Mit den Gamern ins Gespräch zu kommen und ihnen die Kampagnen-Idee näher zu bringen.In der Zwischenzeit sind der Referatsleiter Jugend und Medien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und die im Ministerium für die Kampagne verantwortliche Referentin aus Berlin angekommen.
Sie wollen sich den Messestand anschauen, Gespräche führen, Eindrücke sammeln und am gamescom-congress teilnehmen. Sie treffen sich mit den Jugendlichen, die die Kampagne seit Anfang des Jahres gestalten. Im Interview, das für die Internetseite des Dialog Internet des BMFSFJ dokumentiert wird, lernt man sich kennen und schätzen. Vor der offiziellen Eröffnung und Vorstellung der Kampagne vor Publikum und Presse am Nachmittag haben die Jugendlichen noch eine ‚Generalprobe‘: Auf der Bühne der esl-Arena in Halle 8, der vollsten der Messehallen, stellen am Mittag zwei Vertreter der Jugendlichen gemeinsam mit einem Pro-Gamer des E-Sport-Vereins nfaculty! und einem Mitarbeiter von Spawnpoint erstmals Dein Spiel. Dein Leben. vor. Rund sechzig Zuschauerinnen und Zuschauer sitzen im Publikum, aber das Ganze läuft auch live über esl-TV im Netz – Zuschauerzahl unbekannt. Nach der gelungenen Präsentation vibriert das Handy: Ein Freund hat zufällig zuhause esl-TV und seinen Kumpel im Live-Stream gesehen. Mit anderer Besetzung und eigener Moderation seitens der Jugendlichen, den Vertreterinnen und Vertretern von nfaculty!, Spawnpoint, Spielraum und des Ministeriums ist es dann um 15.15 Uhr so weit: Eine halbe Stunde Zeit, die Kampagne offiziell zu eröffnen. Im Publikum sitzen und stehen rund einhundert Interessierte, darunter Presse, Erwachsene und natürlich Gamer. Ablaufplan und einstudierte Statements halten nicht allzu lange: Es muss ein wenig improvisiert werden. Doch die Kernbotschaft und die Ideen der Kampagne scheinen angekommen zu sein: Applaus aus den Reihen des Publikums und einige finden sich im Anschluss an die Präsentation am Stand ein und wollen Genaueres erfahren. Das ging schneller vorbei als gedacht.
An den nächsten Tagen Freitag bis Sonntag kehrt Routine ein und die Interviews und Gespräche mit Interessierten gewinnen an Souveränität. Die Vorstellung der Kampagne auf dem gamescom-congress am Freitag, an dem vorwiegend Pädagoginnen und Pädagogen teilnehmen, läuft ohne Beteiligung der Jugendlichen, ist aber zumindest mit rund 25 Teilnehmenden einer der am besten besuchten Workshops, nicht alleine deshalb, weil dort mit den Medienscouts NRW und der Initiative Creative Gaming auch zwei weitere medienpädagogische best-practice-Projekte vorgestellt werden. Nicht nur die hochsommerlichen Temperaturen und die Übernachtung im Zelt, sondern auch die überfüllten Hallen am Samstag und Sonntag sowie der andauernde Lautstärkepegel in der (leisesten) Messehalle sorgen so langsam dafür, dass am Ende ein wenig die Puste ausgeht. Dennoch fragen Jugendlichen: „Das war cool! Machen wir das nächstes Jahr wieder?“ Und wenn man resümiert, welche Aktion am Messestand am meisten gefragt war, dann ist es das Tischtennis-Spiel gegen die Pixel-Aliens und die Möglichkeit, sich einen Button machen zu können – analoger geht es kaum …
Wenn Pädagoginnen und Pädagogen zocken – Pädagogen-LAN auf der gamescom 2012
Donnerstag, 17. August 2012, Bürgerzentrum Deutz: 31 Erwachsene aus den unterschiedlichsten pädagogischen Institutionen sitzen in Zweier-Konstellationen zusammengewürfelt und mit erwartungsvollen Blicken vor den Rechnern. Gleich beginnt sie, die Pädagogen-LAN – also Zocken mit pädagogischem Blick. Doch bevor es in die Praxis geht, gibt es zunächst einmal eine medienpädagogische Einführung von Arne Busse von der Bundeszentrale für politische Bildung. Hier bekommt man einen guten Überblick über den aktuellen Forschungsstand, erfährt etwas über die Inhalte und Wirkungen virtueller Spielewelten, lernt das Konzept der Eltern-LAN kennen und hat gleichzeitig die Möglichkeit, die eigenen pädagogischen Erfahrungen in die Diskussion einzubringen. Zugegeben, leicht fällt es nicht, den Rechner vor sich einfach mal unbeachtet zu lassen und so hört man auch ab und an ein Geräusch aus den Lautsprechern, das den nächsten Programmpunkt ankündigt: Das Spielen! Zwei Spiele werden heute angespielt – TrackMania und Counter-Strike. Bei TrackMania handelt es sich um eine spannende Mischung aus Rennspiel und der Möglichkeit eigene Strecken zu bauen (vgl. Anfang, merz 2007/3, S. 81). Die erstellten Strecken lassen sich danach in 3D-Grafik sowohl im Einzelspieler-Modus wie auch im Mehrspieler-Modus befahren. Bekannt ist TrackMania durch seinen Online-Modus mit, je nach Version bis zu zehn Millionen registrierter Accounts. Counter-Strike ist wohl eines der bekanntesten Spiele aus dem Bereich der First Person Shooter und damit immer wieder im Fokus der Wirkungsdebatten. In dem Spiel geht es um Kämpfe zwischen Terroristen und einer Antiterroreinheit, bei denen bestimmte Aufträge erfüllt werden müssen. Die Kommunikation im Team spielt hierbei, genauso wie die feinmotorisch sensible Steuerung der Spielfigur, eine entscheidende Rolle.
Bei beiden Spielen zeigte sich, dass die angesetzte Spielphase von den Teilnehmenden als zu kurz empfunden wurde, deren Lust sich tiefer in das Spielgeschehen zu begeben groß war. In der anschließenden Diskussion wurden die noch frischen Erfahrungen ausgetauscht, mit der eigenen pädagogischen Praxis abgeglichen und aktuelle medienpädagogische Diskussionen vertieft. Dabei kam die Diskussion um Gefährdung durch exzessives Spielen genauso wenig zu kurz, wie die Frage nach Creative Games oder dem Einsatz des Konzeptes der Eltern-LAN an der eigenen pädagogischen Einrichtung. Die Pausen standen ganz im Zeichen der Vernetzung. Man diskutierte weiter, Visitenkarten wurden ausgetauscht und Friend-Adds auf Facebook ad hoc getätigt.
Besonderes Highlight zum Abschluss der Pädagogen-LAN war der Besuch der gamescom und die Führung durch Mitarbeiter der Electronic Sports League, die noch einmal einen ganz anderen Blick auf das Thema Computerspiele boten.Horst Pohlmann, Dipl.-Soz.Päd., MedienSpielPädagoge (M. A.), Co-Leitung von Spielraum – Institut zur Förderung von Medienkompetenz an der Fachhochschule Köln, Dozent für Kulturelle Medienbildung an der Akademie Remscheid Kerstin Heinemann, Dipl. Rel.Päd, Medienpädagogin, medienpädagogische Referentin am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis.Die P2P-Kampagne Dein Spiel. Dein Leben. zur Prävention und Sensibilisierung junger Menschen bei der Nutzung virtueller Spielwelten wurde seit Jahresbeginn 2012 von über 120 jugendlichen Gamern aus dem ganzen Bundesgebiet gemeinsam mit dem Institut Spielraum der Fachhochschule Köln und dem Institut für Computerspiel Spawnpoint an der Fachhochschule Erfurt gestaltet. Die Jugendlichen haben in zwei Workshop-Phasen, im Austausch mit Pädagoginnen und Pädagogen auf der fünften medienpädagogischen Netzwerktagung 2012 von Spielraum im März an der FH in Köln und auf dem gamescamp 2012 auf Burg Lohra in Thüringen erarbeitet, wie Gamerinnen und Gamer angesprochen werden können, über ihr eigenes Spielverhalten nachzudenken, sich mit anderen darüber auszutauschen und eine Balance zwischen virtueller und realer Welt herzustellen. Das Kernergebnis ist ein dreistufiger Aufruf an Gamer, sich kreativ an einem Wettbewerb zu beteiligen, Gütekriterien für soziales Miteinander in Spielgemeinschaften zu etablieren und als Einzelspielerin bzw. -spieler deutlich zu machen, dass Gaming reflektiert stattfindet.Infos zur Kampagne, Workshop-Ergebnisse, Presse-Berichterstattung sowie Impressionen vom Stand sind zu finden unter: www.dein-spiel-dein-leben.de
Die Eltern-LAN versteht sich als aktive Medienarbeit mit Erwachsenen (Eltern, Lehrkräfte ... ) zum Thema Computerspiele mit den Zielen:- Berührungsängste gegenüber neuen Medien abbauen- Orientierungswissen über Computerspiele und Medienkompetenz vermitteln- die Motivation und die Fähigkeit fördern, sich mit Kindern und Jugendlichen über deren mediales Handeln und die Inhalte von Computerspielen kritisch auseinanderzusetzen- den medienpädagogischen Raum in Familie, Schule et cetera (wieder-)gewinnen.Die Eltern-LAN wird seit 2008 veranstaltet von spielbar.de, das interaktive Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb zum Thema Computerspiele, dem Spieleratgeber-NRW des Vereins ComputerProjekt Köln e. V., Spielraum, Institut zur Förderung von Medienkompetenz an der Fachhochschule Köln, und der Turtle Entertainment GmbH, der Veranstalterin der Electronic Sports League. Mit freundlicher Unterstützung von BITKOM – Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.www.eltern-lan.info
Kerstin Heinemann: Peer-to-Peer-Projekte in der medienpädagogischen Arbeit
Ziel des Projekts peer³ - fördern_vernetzen_qualifizieren ist es, neue Handlungskonzepte für medienpädagogische Peerto-Peer-Projekte mit Heranwachsenden sowie innovative, nachfrageorientierte Qualifizierungsangebote für Heranwachsende und pädagogische Fachkräfte zu entwickeln und zu erproben. Dafür werden rund 20 medienpädagogische Modellprojekte in Einrichtungen der Jugendarbeit und an Schulen finanziell gefördert und fachlich begleitet, die im Rahmen eines Ideenwettbewerbs von einer Jury in zwei Förderzeiträumen ausgewählt werden. Die Ergebnisse des Projekts werden im Rahmen einer praxisorientierten wissenschaftlichen Begleitung systematisch aufbereitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zudem fließen sie in die Qualifizierung und Anpassung der Evaluationsinstrumente ein.
Darüber hinaus werden Informationen zu Peer-to-Peer- Aktivitäten verfügbar gemacht. Im Zentrum steht dabei der Transfer aktueller medienpraktischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse an pädagogische Fachkräfte: Aktuelle Ergebnisse werden systematisch und praxisnah aufbereitet und zeitnah online zur Verfügung gestellt. Diese Materialien (Texte, Videos etc.) werden in die Qualifizierungsmaßnahmen eingebunden und können frei genutzt werden. peer³ - fördern_vernetzen_qualifizieren ist ein Projekt des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis in München. Als Projektpatinnen und -paten unterstützten medien+bildung.com und mediale pfade das Projekt, als Qualifizierungspartner begleitet das Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit in Josefstal e. V.Weitere Informationen unter www.jff.de/?BEITRAG_ID=6526
Kerstin Heinemann: Social Media Guidelines
Literatur:
BITKOM. Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Hrsg.) (2011). Soziale Netzwerke. Eine repräsentative Untersuchung zur Nutzung sozialer Netzwerke im Internet. Berlin.
Eisfeld-Reschke, Jörg/Hölderle, Jona, Social Media Policy für Nonprofit-Organisationen, online verfügbar unter: pluralog.de/_sonst/E-Book-Social_Media_Policy_fuer_NPOs.pdf [Zugriff: 15.05.2012]
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2012). JIM-Studie 2011. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart: mpfs.
Kerstin Heinemann, Dagmar Hoffmann: Glaube und Religion im digitalen Wandel
Wenn Religion in konventionellen Medien verhandelt wird, dann bestimmen oftmals negative Nachrichten die Berichterstattung. Aktuell wird über Kindesmissbrauch und Rückständigkeit der Katholischen Kirche diskutiert, über Fundamentalismus sowie Islamisierung. Es wird über das Tragen von Kopftüchern gestritten und Atheisten betreiben mitunter „Christen-Bashing“ (Löbbert 2018) – vom Kampf der Religionen ist die Rede. Religion verbindet demzufolge nicht (mehr), sie entzweit und entfremdet. Die Religion, über die man liest und hört, so Kai Hafez (2013), sei nicht die, nach der man sich sehne und die man sich wünsche. Dies hat Gefühle des Verlustes religiöser Gemeinschaft und Zugehörigkeit zur Folge. Beobachten lässt sich, dass Religion keine Darstellungshoheit in den Medien innehat und ihre Öffentlichkeit weitgehend verschwunden ist. Es lässt sich ein Ungleichgewicht ausmachen, insofern negative Konnotationen in den Medien überwiegen und Religion stets in einem seltsamen Licht erscheint (siehe auch Neubauer 2018).
Gleichwohl stimmen einzelne Initiativen oder Großereignisse wie (Welt-)Kirchentage in Deutschland temporär optimistisch und wirken mit ihrer Mut machenden Botschaften integrierend und versöhnend. Allerdings täuschen diese Events mitunter auch darüber hinweg, dass seit den 1970er Jahren eine verstärkte Säkularisierung nicht nur in Deutschland, sondern insgesamt in der westlichen Welt zu verzeichnen ist. Diese ist zum einen durch den soziodemografischen Wandel bedingt und zum anderen durch eine Zurückhaltung und Ressentiments potenziell neuer Mitglieder gegenüber den dominanten Konfessionen. Gerade junge Menschen fragen häufig danach, was ihnen Glaube und eine Mitgliedschaft in einer der großen Kirchen (noch) nutzen. Moderne Gesellschaften sind durch einen Religionspluralismus gekennzeichnet. Damit zeigen sie sich demokratisch und offen, während die Vielfalt an Religionen in Mainstreammedien aber kaum abgebildet ist. So leben aktuell schätzungsweise fünf Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland, verbreiten sich kleinere Konfessionen und Freikirchen sowie charismatische Initiativen sind auf dem Vormarsch. Diese Vielfalt wird dort sichtbar, wo religiöse Gemeinschaften in Enklaven und Nischen agieren – auf Online-Video- und Bildportalen, in Sozialen Netzwerken oder über Blogs.
Religionsdiversität fordert mitunter moderne Individuen heraus, denn es stellt sich die Frage, wie geht man mit der gelebten Religiosität der anderen um, die man mitunter als exklusiv empfindet, wenig einzuschätzen und zu verstehen vermag. Der öffentliche Raum inklusive der Medien sollte sich in der Verantwortung sehen, die Begegnung vieler Religionen zu gewähren und nicht nur konfrontativ, wie etwa in Talksendungen oder anderen Fernsehformaten zu präsentieren. Religionspluralismus ist schlichtweg Teil der sozialen Wirklichkeit und macht Toleranz sowie Rücksichtnahme erforderlich (z. B. im Ramadan keine Schulfeste zu veranstalten). Insofern gilt es sich vertiefend der Aufklärungs- und Bildungsarbeit mittels verschiedener Medien(formate) und Anwendungen zu widmen. Aktive Medienarbeit in diesem Bereich dient der Intervention und Prävention, insbesondere wenn über religiösen Fanatismus, Fundamentalismus und Radikalisierungen reflektiert werden kann.
Die vorliegende dritte merz-Ausgabe greift das Thema Glaube und Religionen im digitalen Wandel auf. Es wird danach gefragt, wo und wie welche Religion heute von wem mit welcher Wirkung und Reichweite verhandelt wird. Aufgezeigt werden neue mediale Ausdrucksformen und Vergemeinschaftungen, neue Formen der Mitgliederwerbung und Sichtbarkeit von Religionen und Religionspluralismus. Dabei spielen erwartungsgemäß die Aktivitäten religiöser Medienvorbilder (z. B. Popstars, Influencerinnen und Influencer, YouTuberinnen und Youtuber) eine wichtige Rolle, aber bedeutsam sind auch Gebetsgemeinschaften sowie Bildungseinrichtungen und Museen, die kollektive Erinnerungsarbeit ermöglichen.
In den Themenschwerpunkt Religion. Digitalität. Pluralismus wird mit einem Beitrag von Andreas Büsch eingeleitet, der die Verflechtung von Religion, Gesellschaft und Medien in den Blick nimmt und sich unter anderem als Theologe und Erziehungswissenschaftler der Frage annimmt, wie Religion in den Medien dargestellt wird und ob es quasi-religiöse Elemente oder Funktionsäquivalente von Religiosität in Populärkulturen gibt. Zudem vermag er zu prüfen, inwieweit Religion Medien sind und Medien Religion.
Ein Teilaspekt des Fragenkomplexes von Büsch greift der Religionspädagoge Hans Mendl auf, der die Bedeutung religiöser Popstars für Heranwachsende herausarbeitet. Anhand verschiedener Medienfiguren reflektiert er deren Religionsverbundenheit und Suche nach religiöser Zugehörigkeit. Er konstatiert, dass die Vorbildfunktion religiöser Popstars auch in pädagogischen Kontexten nicht zu unterschätzen ist.
Mit der sozialen Praxis des Gebets beschäftigt sich die Theologin Viera Pirker, die verschiedene Gebetsformen auf Instagram fallanalytisch untersucht hat. Generell ist Religion und religiöse Praxis hier ein Nischenthema, dabei können die Insta-Stories, zum Beispiel von Prominenten, jedoch durchaus eine große Wirkmächtigkeit besitzen und heterogene Zielgruppen ansprechen und mitreißen. Rituale werden ausgebildet und es entwickeln sich Gebetsgemeinschaften.
Wie schwer sich die Katholische Kirche mit neuen Formen der Religionsvermittlung (z. B. Micro-Blogging) tut, legt der Journalist Felix Neumann eindrücklich dar. Als Redakteur bei katholisch.de und Social Media Berater weiß er um Möglichkeiten, die eine „digitale Kirche“ haben und positiv nutzen könnte, aber ebenso auch um die strukturellen Hindernisse, Vorurteile und Ressentiments der Gegnerinnen und Gegner.
Die Potenziale digitaler Vermittlungsangebote im Hinblick auf Erinnerungskulturen stehen im Zentrum von Meron Mendel, des Direktors der Bildungsstätte Anne Frank. Er stellt dessen digitales Lernlabor vor, das Interessierte mit der Geschichte und Entwicklung des Tagebuchs der von Nationalsozialisten verfolgten Anne Frank konfrontiert und interaktive Gegenwartsbezüge herstellt zu Rassismus und Diskriminierungserfahrungen. Götz Nordbruch und Pierre Asisi von ufuq. e.V. widmen sich der Frage von Radikalisierungsprozessen im Kontext des Islam. Dabei spielen Soziale Medien sowohl als Katalysator von Radikalisierungen, als auch als Handlungsfeld der Präventionsarbeit eine wichtige Rolle. Eine gelingende Präventionsarbeit sucht gerade deshalb die Schnittmenge von Medienpädagogik und politischer Bildung.
Bilder des Islam stehen im Zentrum der Beschäftigung der Islamwissenschaftlerin Jawaneh Golesorkh. Sie legt offen, wie das Selbstbild von Musliminnen und Muslime in Sozialen Medien ein Anknüpfungspunkt an Selbstermächtigungskonzepte darstellen kann.
Abschließend widmet sich Nicole Rauch in ihrem Beitrag der Frage nach der medienpädagogisch-praktischen Prävention von religiös-extremistischen Ansprachen in Sozialen Medien. Als Medienpädagogin des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis hat sie mit einem Team Modelle in der schulischen und außerschulischen Jugendarbeit erprobt, die im Fokus mit dem lebensweltorientierten Ansatz der digitalen Memes arbeiten.
Kerstin Heinemann ist Diplom Religionspädagogin und Medienpädagogin und seit 2012 medienpädagogische Referentin am JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Ihre Schwerpunkte sind unter anderem digitale Medien, Partizipationsmöglichkeiten in gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen vor dem Hintergrund der digitalen Transformation und die Prävention religiös motivierten Extremismus.
Dagmar Hoffmann ist Professorin für Medien und Kommunikation an der Universität Siegen. Zu ihren Schwerpunkten zählt unter anderem Medien- und Jugendsoziologie, Mediensozialisations- und Partizipationsforschung, Social Media.
Literatur
Hafez, Kai (2013). Die Macht der Medien und die Religionen. Eröffnungsvortrag der Tagung „Die Religionen und die mediale Präsenz des Religiösen“, www.uni-erfurt.de/fileadmin/user-docs/philfak/kommunikationswissenschaft/files_publikationen/hafez/Die_Macht_der_Medien_und_die_Religionen.pdf [Zugriff: 20.05.2019]
Löbbert, Raoul (2018). Atheisten nerven. Die Zeit (online), Nr. 47, 14. November 2018. www.zeit.de/2018/47/religion-atheismus-christen-kirche [Zugriff: 20.05.2019]
Neubauer, Anna (2018). Religion, Öffentlichkeit, Medien. In: Pollack, Detlef/Krech, Volkhard/Müller, Olaf/Hero, Markus (Hrsg.), Handbuch Religionssoziologie. Wiesbaden: Springer VS, S. 833–859.
Kerstin Heinemann: Stichwort: Digitalisierung im Koalitionsvertrag
Digitalisierung ist in aller Munde und gilt als Rocket Science der 2020er-Jahre. So verwundert es auch nicht, dass die neue Bundesregierung Digitalisierung als eine der zentralen Aufgaben bereits in der Präambel des Koalitionsvertrags benennt. Wie komplex die Herausforderungen in diesem Themenfeld sind, lässt sich allerdings erst mit einem genaueren Blick in ‚Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit‘ erahnen.
Auf 178 Seiten werden da die Leitplanken für die Ampelkoalition beschrieben. Digitalisierung ist ein Querschnittsthema, das kein eigenes Ressort erhält, also nicht mit der strukturellen und finanziellen Macht eines Bundesministeriums ausgestattet ist. Die FDP konnte sich hier mit ihrer Idee nicht durchsetzen. Insgesamt liegen die Koalitionspartner in einem breiten Spektrum, das zwar nicht als homogen, aber durchaus als gute gemeinsame Basis verstanden werden kann.
Erfreulich ist, dass sich das Bekenntnis zu Open Source als grundsätzliche Haltung durch alle Bereiche zieht. Auch der von der Vorgängerregierung ins Leben gerufene ‚Digitalpakt Schule‘ soll in verbesserter Form weitergeführt und ausgebaut werden. Hier liegt ein Schwerpunkt auf dem Abbau der Bürokratie, um zu gewährleisten, dass die Mittel schneller in den jeweiligen operativen Strukturen ankommen. Auch ist eine von Bund und Ländern gemeinsam getragene ‚Koordinierungsstelle Lehrkräftefortbildung‘ geplant. Unter dem Titel ‚Digitale Gesellschaft‘ sollen ein Fokus auf die Stärkung eines digitalen Ehrenamts gelegt, digitale Gewalt bekämpft und die Einrichtung einer Bundeszentrale für digitale Bildung geprüft werden. Auch zur Schnittmenge von Digitalisierung und Nachhaltigkeit findet sich einiges im Koalitionsvertrag.
Spannend bleibt die Frage, wie die Querschnittsaufgabe Digitalisierung effizient und durchsetzungsstark zwischen den einzelnen Ressorts koordiniert werden kann. Denn nur, wenn sich die Ampel nicht im Kleinklein zwischen den eigenen Strukturen verzettelt, kann der nächste Schritt in der Digitalisierung gelingen.
Kerstin Heinemann: re:publica 2023
Sommerzeit ist Festivalzeit. Aber wie lässt sich ein Festival mit einem ernsthaften Nachdenken über komplexe digitale und gesellschaftspolitische Transformationsideen verbinden? Die re:publica zeigt Jahr um Jahr, dass das geht. Unter dem plakativen Motto Cash – schließlich lässt sich selbst die beste Idee selten ohne Geld verwirklichen – fand vom 5. bis 7. Juni 2023 die 17. re:publica in Berlin statt. Auf 26 Stages und einem weitläufigen Areal wurde drei Tage lang in Kreuzberg diskutiert, gerungen, gelacht und der Atem angehalten. Die Vielfalt der Themen, die in zehn verschiedenen Tracks aufbereitet waren, beeindruckte nicht nur den*die Erstbesucher*in. Auch unter langjährigen Konferenztreuen war man sich einig, dass die Mischung gelungen war: Politik und Gesellschaft, Wirtschaft und Verantwortung, Technolo - gie und Wissenschaft, Medien, Arbeitswelten, Stadt und Land, Lernen und Wissen waren nur ein paar Themenfelder, die reichlich Stoff für spannende Vorträge und Diskussionen boten. So sprach die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung über Cash, Gender Gap und gesellschaftliche Ungleichheiten. Dabei machte sie anhand von einschlägigen Studien eindrücklich deutlich, dass wir von einer Erwerbstätigkeitsgesellschaft zu einer Tätigkeitsgesellschaft kommen müssen. Wenn wir nicht Cash gegen Care, Care gegen Health, Väter gegen Mütter ausspielen wollen, dann brauchen wir eine Gleichstellungspolitik, die die tatsächlichen Realitäten anerkennt und ihr politisches Handeln daran ausrichtet, so Allmendinger. Gleichstellungspolitik dürfe sich dann nicht mehr primär auf Frauen beziehen, sondern müsse die Menschen an sich in den Blick nehmen. Für eine funktionierende Gesellschaft müssen Erwerb, Care-Arbeit und Ehrenamt in eine flexible Balance gebracht werden. Um Frauen als revolutionärer Stein des Anstoßes ging es auch in weiteren beeindruckenden Keynotes. Gilda Sahebi und Natalie Amiri schilderten unter dem Titel Frau, Leben, Freiheit – dem politischen Slogan der iranischen Freiheitsbewegung – eindrücklich die dramatische Lage der Menschen im Iran. Wer glaubt, es seien Proteste der Frauen, irre, machten die beiden Journalistinnen deutlich. Die Bewegung ging von Frauen aus, mittlerweile ist sie zu einer geschlechts- und milieuübergreifenden Revolution geworden, bei der nichts Geringeres als die Frage der Demokratisierung des Irans auf dem Spiel steht. Mahsa Alimardani, die als Forscherin seit mehr als zehn Jahren Fragen zu Menschenrechten, Technologie und der freien Meinungsäußerung untersucht, widmete sich im selben Themenfeld der Perspektive, wie Technologie dabei helfen kann, die Menschenrechte im Iran zu stärken und den Stimmen der Bevölkerung Gehör zu verschaffen. Mit exit RACISM.Rassismuskritisch denken lernen übernahm Tupoka Ogette das Mikrophon und gab sehr emotionale Einblicke in Lebensrealitäten, Perspektiven und Herausforderungen Schwarzer Frauen in Deutschland. Die Notwendigkeit und gleichzeitige Erschöpfung Betroffener, immer wieder vom erlittenen Alltagsrassismus zu erzählen, war im vollbesetzten Auditorium mit Händen zu greifen. People of colour in einer weißen Mehrheitsgesellschaft sind wichtige Laut-Sprecher*innen, die zeigen, dass Rassismus nur dekonstruiert werden kann, wenn er als gesamtgesellschaftliches Problem begriffen wird, das zum Handeln herausfordert. Natürlich gaben sich auf einer gesellschaftspolitischen Konferenz dieser Art auch diverse Bundesminister*innen das Mikrophon in die Hand. So durfte Volker Wissing Fragen zum aktuellen Stand der Digitalstrategie beantworten, Robert Habeck widmete sich der ökologischen Transformation, Claudia Roth entwickelte Ideen zur Kulturpolitik nach Corona und Christian Lindner musste ein Gespräch zur Finanzierung unserer Zukunft überstehen. So weit, so erwartbar – auch in den politisch vorhersehbaren Antworten. Deutlich spannender waren die politischen Gespräche abseits der großen Bühnen. Gute Tradition auf diesem Digitalfestival ist es von Anfang an, sich in einem der zahlreichen Spaces auf Augenhöhe zu begegnen und jenseits hier - archischer Unterschiede die Diskurse der Bühnen fortzusetzen. Hier wird diskutiert, gerungen und gelacht, hier werden Kontakte geknüpft, Ideen weitergesponnen und Visionen vorangetrieben. Und so beginnen nicht selten viele Mails und Textnachrichten nach der Konferenz mit den Worten „bezugnehmend auf unser Gespräch auf der re:publica …“ Zwei Specials hatte die re:publica auch in diesem Jahr wieder zu bieten: Mit dem Media Summit wurde ein inhaltlicher Bereich geschaffen, der alles rund um Bewegtbild bündelte. Hier wachsen Content Creation und gesellschaftspolitische Diskurse zusammen, denn gerade letztere kommen nicht ohne ein gutes Storytelling aus. Auf der einen Tag überlappenden Tincon stand die junge Generation im Zentrum. Bei der Konferenz für digitale Jugendkultur ging es um Interessen und gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen. Und dass sie etwas zu sagen haben, machten sie auf unschlagbare Weise deutlich: In Maker - spaces, Hands-ons, Diskussionsrunden und auf Podien. Dabei waren die thematische Vielfalt, die Komplexität und Professionalität, mit der Menschen zwischen 13 und 25 Jahren ihre Themen präsentierten, hoch beeindruckend. Bleibt zu guter Letzt nur die Frage, wie man ein Digitalfestival mit 25.000 Besucher*innen und 608 Sessions im Sommer 2023 ohne ChatGPT gestalten kann? Die Antwort dürfte nicht überraschen: Gar nicht! Denn natürlich kam kaum ein Talk ohne den Bezug zu digitalen Trendthemen wie KI aus. So wichtig diese Perspektive ist, so wohltuend war es aber auch, dass die fortschreitende Digitalisierung als ein Element gesamtgesellschaftlicher Transformationsaufgaben gesehen wurde. Auf der re:publica stand die Gesellschaft im Zentrum und nicht die KI.
Viele Vorträge sind als Videomitschnitt abrufbar.
Kerstin Heinemann: Stichwort: ausge-X-t
Manch eine*r mag sich daran erinnern, 1991 hieß es aus aller Munde: „Raider heißt jetzt Twix – sonst ändert sich nix.“ Und tatsächlich änderte sich quasi nichts! Das Rebranding kann also als internationale Erfolgsgeschichte angesehen werden.
Zu lang hingesehen hat wohl auch Elon Musk. Der umtriebige Unternehmer, über den sich die Fachwelt streitet, ob er nun ein etwas sehr zu reich geratener Dreijähriger in der dauerhaften Autonomiephase oder ein genialer Visionär ist, kaufte – nach endlosen Wendehalsbewegungen, die Belegschaft und Börsen mächtig aufschaukelten – im Oktober 2022 den Kurznachrichtendienst Twitter für 44 Milliarden US-Dollar und benannte ihn im Juli 2023 in X um. Twitter heißt jetzt X – sonst ändert sich nix? Schön wär’s! In seiner ersten Amtshandlung entließ Musk seine komplette Führungsriege und kündigte an, den Dienst zu einer „globalen Plattform für Redefreiheit“ machen zu wollen. Seither haben verschwörungsideologische und rechtstendenziöse Accounts Hochkonjunktur. X wird laut und lauter; was leidet, ist die Redefreiheit. Kurz darauf widmete er den blauen Haken (bisher das Zeichen eines verifizierten Accounts) um, und bot ihn zahlenden Abonnent*innen an. Im Juli 2023 konnten User*innen plötzlich nur mehr 600 Tweets pro Tag sehen; angeblich eine temporäre Notfallmaßnahme. Die Perlen der Krisen und unternehmerischen Fehlentscheidungen ergeben eine lange Kette, die zum Mühlstein um den Hals des Kurznachrichtendienstes zu werden droht. Und die Konkurrenz schläft nicht. Nachdem viele zunächst zu Mastodon auswichen,
greift derzeit Bluesky Social an. Ausgerechnet der ehemalige Twitter-CEO Jack Dorsey sitzt hier im Verwaltungsrat. Twittern heißt jetzt wohl X-en. Wer mit seiner Brand ein eigenes Verb besaß und nun gegen einen von 26 Buchstaben austauscht, muss allerdings aufpassen, dass er nicht getilgt wird.Kerstin Heinemann: Schädler, Sebastian (Hrsg.) (2023). BilderBildung. Medien und Politik: 5 Einführungen | 5 Ausführungen. Bertz + Fischer. 256. S., 18,00 €
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann – dieser bekannte Aphorismus könnte Pate gestanden haben für das außergewöhnliche Buch, das Sebastian Schädler mit seiner BilderBildung vorgelegt hat. In zehn Essays in Text- und zehn in Bildform breitet der Politikwissenschaftler, Gestalt- und Sexualpädagoge montageartig seine Gedanken aus. Dabei versucht er mit diesem Wendebuch, Form und Inhalt zusammenzubringen und fordert zum Dekonstruieren heraus. Linearität und Logik sollen nicht als einzige Ordnungsformen anerkannt werden. Damit zielt der Autor auch formal mitten in den inhaltlichen Kern seines Vorhabens und richtet einen unüberhörbaren Appell an seine Leser*innen: Traut euch (neu und selbst) zu denken! Der Bedeutung von Bildern, auch Sprachbildern, kommt dabei eine, besser, die zentrale Rolle zu. „Ohne Bilder keine Bildung“ ist sein selbsterklärtes Motto. Schädler verankert sich in philosophischen, kunsthistorischen, gesellschaftspolitischen und linguistischen Diskursen und spinnt den Faden in praktische Handlungsfelder und damit in aktuelle Transformationsdebatten weiter. Beeindruckend dabei sind seine Themenvielfalt und das scheinbar mühelose Floaten inmitten theoretischer Denkgebäude verschiedener Jahrhunderte: Von Derrida über Rousseau, Dürer, Foucault, Barthes oder Flusser – immer verbunden mit einem persön-
lichen Blick des Autors. So stecken in BilderBildung unter anderem digitale Transformation und die Frage nach nicht-linearen Formen, bildungspolitische Ansätze und die Frage nach dem Systemclash, Genderdebatten und die Frage nach dem Perspektivieren, Influencing und die Frage nach der Bedeutung von Objektivität, Quantified self und die Frage nach der Authentizität der Entfremdung. Oder praktischer: Warum gelingt es dem Schulsystem so schwer, agil(er) zu werden? Wie verändert ein bildfokussiertes, digitales Mindset die politische Bildung? Warum ist sozial nicht gleich solidarisch oder emanzipatorisch? In Schädlers Werk finden sich zahlreiche mutige Denkkonstrukte, die Medienpädagogik und politische Bildung zum Diskutieren herausfordern.Schädler, Sebastian (Hrsg.) (2023). BilderBildung. Medien und Politik: 5 Einführungen | 5 Ausführungen. Bertz + Fischer. 256. S., 18,00 €