Nadja Jennewein
- Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Forschung am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis
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- Nadja Jennewein: MoMimA – Moderne Medizintechnik im Altenheim
Nadja Jennewein: MoMimA – Moderne Medizintechnik im Altenheim
Mediengestützte Diskurse über moderne Medizintechnik im Altenheim
Unter welchen Bedingungen ist der Einsatz eines Beziehungsroboters bei hochaltrigen und dementen Menschen denkbar? Inwieweit ist es ethisch vertretbar, weglaufgefährdete Patientinnen und Patienten mit einem GPS-Tracker zu orten? Rechtfertigt Sicherheit die Überwachung dementer Menschen? Führt das Telemonitoring von Vitaldaten zu Harmonisierungszwängen im Gesundheitswesen?
Komplexe Fragen, die nicht unbedingt zu den alltäglichen Interessen junger Menschen gehören. Im Projekt MoMimA setzen sich Pflegeschülerinnen
und -schüler der Altenpflege mit ethischen Spannungsfeldern im Kontext moderner Medizintechnologien auseinander und lernen Medien als Informations- und Produktionswerkzeug zur Teilhabe an gesellschaftlichen Diskursen kennen. MoMimA ist Teil der BMBF-Fördermaßnahme Diskursprojekte zu ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen in den modernen Lebenswissenschaften und initiiert mediengestützte Diskurse über ethische Fragen und soziale Problemstellungen, die durch den Einsatz von Medizintechnik bei hochaltrigen und dementen Menschen aufgeworfen werden. Umgesetzt wird das interdisziplinäre Workshopkonzept im Verbund vom JFF – Institut für Medienpädagogik und dem Zentrum für Gesundheitsethik Hannover (ZfG).Technisierung der Pflege als gesellschaftliches Thema
Die Situation von Pflegebedürftigen und der sogenannte Pflegemangel, insbesondere im Bereich der Versorgung von hochaltrigen und dementen
Menschen, ist gegenwärtig Thema breiter Diskussionen. Unstrittig scheint dabei, dass die demographische Entwicklung und der damit verbundene steigende Bedarf an Pflegekräften es notwendig macht, über grundlegende Veränderungen in der Struktur und Organisation von Pflege nachzudenken. Aus der Digitalisierung und Technisierung ergeben sich dabei Möglichkeiten, durch die Pflegeprozesse unterstützt werden können. Der Einsatz von moderner
Medizintechnologie und automatisierten Systemen ist dabei in vielen Bereichen denkbar und wird bereits in einigen Bereichen erprobt. Die medizin- und pflegeethische Fachdebatte zum Einsatz moderner Technologie im Bereich der Pflege wird bereits breit geführt und begleitet die Entwicklung konkreter Anwendungen.
Im Gegensatz zur Fachdebatte wird die öffentliche und mediale Debatte zu Medizintechnik im Bereich der Altenpflege aktuell aber nur punktuell geführt. Insbesondere die Perspektive demenziell erkrankter Patientinnen sowie Patienten und deren Angehörigen, als auch die Perspektive vonPflegekräften sind in der medialen Darstellung kaum vorzufinden. Als Schnittstelle zwischen Betroffenen und der Öffentlichkeit werden in MoMimA deshalb speziell Pflegeschülerinnen und -schüler dafür sensibilisiert, ethische Spannungsfelder auszuloten, sich zu positionieren und ihre Meinungen zu artikulieren. Zudem werden sie
dazu angeregt, sich zu fragen, wie die Perspektive von dementen und hochaltrigen Personen, die selbst nicht am Diskurs teilnehmen können, von ihnen aufgegriffen werden kann.Das interdisziplinäre Workshopkonzept
Das Workshopkonzept von MoMimA ist interdisziplinär angelegt und verbindet Methoden der ethischen Reflexion mit Methoden der aktiven Medienarbeit. Zielsetzung des fünftägigen Workshopformates ist es, Pflegeschülerinnen und -schüler interaktiv an ethische und soziale Fragestellungen im Bereich moderner Medizintechnologien heranzuführen und sie über die Gestaltung eigener Medienprodukte (Videos, Audio-Clips, Printprodukte) zur Artikulation ihrer Aushandlungsprozesse anzuregen. Die inhaltliche Auseinandersetzung erfolgt dabei exemplarisch im Kontext der drei Technologiebereiche Bewegungsmonitoring, Beziehungsroboter und Telemonitoring von Vitaldaten.
Ausgehend vom Prinzip der themenzentrierten aktiven Medienarbeit stehen in der Anfangsphase der Workshops zunächst die Erschließung der Relevanz der Thematik für die eigene Lebenswelt bzw. ihr Arbeitsfeld und der Aufbau von Fachwissen bei den Pflegeschülerinnen und -schülern im Vordergrund. Daran schließen sich Überlegungen zur Partizipation von pflegebedürftigen dementen oder hochaltrigen Personen im Diskurs an. Didaktisch angeleitet wird dieser Arbeitsprozess mittels Methoden der ethischen Reflexion, welche die Teilnehmenden dazu anregen, ethische Fragestellungen zu identifizieren, sachlich einzuordnen und sich individuell zu positionieren. Um verschiedene Interessengruppen und Konfliktpotenziale im Kontext moderner Medizintechnologien
zu erkennen, werden die Teilnehmenden mittels interaktiver Methoden (z. B. Fall- und Rollenspiele) zum Perspektivwechsel und zur Selbstreflexion angeregt. Dabei wird die Perspektive von unterschiedlichen Beteiligten eingenommen, wie die der Betroffenen selbst, die von deren Angehöriger oder die der professionell Pflegenden. In diesem Prozess können relevante Themen wie beispielsweise Fürsorgepflichten, Freiheit und Selbstbestimmung auf verschiedenen Ebenen
(individuell, organisatorisch, gesellschaftlich) diskutiert werden. Im Fokus stehen an dieser Stelle damit nicht die technologischen Möglichkeiten, sondern vielmehr die sozialen Kontexte und Wertefragen im Umgang mit der Medizintechnik. Mit dem neu aufgebauten Fach- und Diskurswissen geht der Workshop in die mediengestalterische Phase über. Von den Schülerinnen und Schülern individuell entwickelte Fragestellungen im Bereich moderner Medizintechnologien
werden in Gruppenarbeitsprozessen redaktionell diskutiert und mediengestalterisch umgesetzt. Im Vordergrund steht dabei das Ziel, durch eine lebensweltnahe Kampagne sowohl Pflegepersonal und Angehörige als auch die breite Öffentlichkeit zum Diskurs einzuladen und für ethische Fragestellungen im Bereich moderner Medizintechnologien im Altenheim zu sensibilisieren. Realisiert wird dies über die Veröffentlichungen der Medienprodukte im Internet (momima.jff.de) und deren Präsentation auf publikumswirksamen Diskursveranstaltungen. Im Jahr 2018 wurden an den teilnehmenden Pflegeschulen in Bayern insgesamt fünf Workshops mit anschließender Diskursveranstaltung realisiert. Für 2019 sind sowohl interaktive Ausstellungen als auch Fachveranstaltungen für Pflegekräfte, Lehrkräfte allgemeinbildender Schulen und die Wissenschaft geplant. Zudem wird die methodische Herangehensweise der Workshops modulhaft für
die Lehre aufbereitet und in geeigneter Weise veröffentlicht.Beitrag aus Heft »2019/01 Medien, Wohlbefinden, gelingendes Leben«
Autor: Nadja Jennewein
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