Jöran Muuß-Merholz
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- Jöran Muuß-Merholz: Kreativität lernen durch Projects, Passion, Peers und Play
Jöran Muuß-Merholz: Kreativität lernen durch Projects, Passion, Peers und Play
Resnik, Mitchel (2017). Lifelong Kindergarten. Cultivating Creativity through Projects, Passion, Peers, and Play. Cambridge: The MIT Press. 191 S., 19,92 €.
Kreativität ist neben kritischem Denken, Kommunikation und Kollaboration eines der 4K-Skills. Die 4Ks erfahren auch in Deutschland zunehmend Aufmerksamkeit, wenn es um Ergänzungen der klassischen Wissensdomänen als Lernziele geht. Konkrete Beschreibungen, wie Kreativität gelernt wird, auch und gerade jenseits von musischen Bereichen, sind jedoch selten. Mit dem Buch Lifelong Kindergarten: Cultivating Creativity Through Projects, Passion, Peers, and Play bringt Mitchel Resnick jetzt ein medienpädagogisches Licht in dieses unterbeleuchtete Feld.
Der Erfinder von LEGO Mindstorms und Scratch
Mitchel Resnick leitet am MIT Media Lab die Arbeitsgruppe Lifelong Kindergarten. Er gehört zu den Erfindern des Robotik-Sets LEGO Mindstorms sowie der Programmsprache Scratch. Beide Angebote gehören zum Standardrepertoire in Schulen und medienpädagogischen Projekten. Was manche nicht wissen: Gerade bei Scratch hat sich eine globale Community entwickelt, die ihre Ergebnisse und Erfahrungen online teilt. Resnick ist außerdem Gründer der Computer Clubhouses, einem Netzwerk von Jugendhäusern, das Nachmittagsangebote insbesondere in weniger privilegierte Stadtteile bringt. Jetzt hat Mitch Resnick ein Buch geschrieben: Das ist außergewöhnlich, denn gleichwohl Resnick sehr umtriebig, produktiv und kreativ ist: Bücher von ihm sind bisher seltene Ausnahmen. In Lifelong Kindergarten fasst Resnick die Prinzipien seiner Arbeit zusammen.
4 Ps – „Give P’s a Chance“
Das Buch umfasst sechs Kapitel, wobei Kapitel 1 und 6 eine Klammer bilden und in 2 bis 5 je ein‘P’ bearbeitet wird:- ‘P’ wie in ‘Projects’: Lernen durch die Arbeit in und an Projekten- ‘P’ wie in ‘Passion’: personalisiertes Lernen im Sinne von ‚an Dingen arbeiten, die für Lernende persönlich bedeutsam sind‘- ‘P’ wie in ‘Peers’: Lernen miteinander und voneinander, durch Kollaboration, Offenheit, Sharing und Feedback- ‘P’ wie in ‘Play’: Lernen mit einem experimentierenden Zugang, mit ‘Tinkering’ als leitende MetapherIm ersten Kapitel wird ‘Creative Learning’ eingeführt – was darunter fällt, warum es wichtig ist und wie es funktioniert. Das sechsten Kapitel heißt ‘Creative Society’ und umfasst gleich drei Listen mit Tipps: 10 Tipps für Lernende, 10 Tipps für Eltern und Lehrkräfte, 10 Tipps für Designerinnen und Designer sowie Entwicklerinnen und Entwickler. Der Abschlussabschnitt “The path towards lifelong kindergarten“ bleibt mit knapp drei Seiten dünn.
Gegen-Gegenargumente
Gerade für Leserinnen und Leser, die mit den Grundprinzipien von Resnicks Arbeit vertraut sind, dürften die “Tensions and Trade-Offs“-Abschnitte zu den Highlights der Publikation gehören. In den Kapiteln 1 bis 5 gibt es jeweils einen solchen Abschnitt, in dem Resnick die häufigsten Kritikpunkte bearbeitet, die seiner Arbeit immer wieder entgegnet werden. Da geht es um den Kampf zwischen Technologieenthusiasmus versus Technologiephobie, um Wissenserwerb, um den Grad von Strukturierung beim Lernprozess, um die Rolle von fachlicher und methodischer Expertise und um Messbarkeit und Prüfbarkeit. Resnick nimmt solche Bedenken ernst und liefert hilfreiche Argumentationen, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
4 Ks – (Nicht nur) Kreativität lernen
Obwohl Resnick die 4 Ks – neben Kreativität: kritisches Denken, Kommunikation, Kollaboration – nicht explizit aufgreift, macht das Buch doch deutlich, wie eng die 4 Ks untereinander verwoben sind. Bei Resnick ist Kreativität insbesondere untrennbar mit Kommunikation und Kollaboration verbunden (Peers, Sharing). Dabei wird an zahlreichen Beispielen deutlich, dass sich die 4 Ks nicht im luftleeren Raum entwickeln, sondern immer anhand von konkreten Themen und Wissensfeldern.
Kompakt und unakademisch
Resnick präsentiert seine Erfahrungen und Erkenntnisse kompakt und unakademisch. Das ist spannend und illustrativ. Die Lektüre lohnt sich auch für Menschen, die Resnicks Projekte schon kennen, aber den Stellenwert von übergreifenden Zielsetzungen, wie das Lernen von Kreativität in medienpädagogischen Projekten, differenzierter verstehen und einordnen wollen. Ein Höhepunkt sind seine Auseinandersetzungen mit kritischen Argumenten gegen die Gegenargumente, die in medienpädagogischen Diskussionen immer wieder auftauchen.Die Kompaktheit des Buches geht auf Kosten der Breite. Resnick bleibt in seiner eigenen Welt. Es geht durchgängig um LOGO, LEGO, LEGO Mindstorms, Scratch, Computer Clubhouse und die Arbeit in Resnicks Arbeitsgruppe Lifelong Kindergarten am MIT Media Lab. Beispielsweise wird Minecraft nur in einem einzigen Absatz abgehandelt.
Es ist nachvollziehbar, dass Resnick seine Erfahrungen aus seinen eigenen Projekten zieht. Allerdings täte ein gelegentlicher Blick über den Tellerrand der Publikation gut. Resnick endet bei der Frage, wie sich seine Prinzipien ‚lifelong‘, also auch in Kontexten wie Schule, Hochschule oder berufliche Weiterbildung anwenden lassen. Der Buchtitel Lifelong Kindergarten suggeriert, dass Resnick zumindest skizziert, wie die Förderung von kreativem Denken außerhalb seiner eigenen Welt aussehen kann. Im letzten Kapitel schließlich gibt es zwar gleich 3 x 10 Tipps für die eigene Arbeit.
Die helfen aber nur bedingt, denn, wie Resnick in einer Randbemerkung feststellt: Das Lernen an Projekten ist nicht mit der Taktung von Stunden oder Doppelstunden von Schulunterricht vereinbar. Andere Bildungsbereiche werden gar nicht erst angesprochen. Diejenigen Leserinnen und Leser, die nicht in der Lage sind, ihre medienpädagogische Arbeit mit ausreichend Projektzeit und ohne formale Einschränkungen wie Benotung und Einzelarbeit durchführen zu können, werden hier nicht fündig. Erst auf den letzten drei Seiten des Buchs spricht Resnick es aus: “To meet the needs of a creative society, we need to break down many structural barriers in the educational system.“ Und: “[This] will require a shift in the ways people think about education and learning.” Resnicks Buch kann ein hilfreicher Baustein sein, um diesen shift voranzutreiben.
Beitrag aus Heft »2018/01 Jugend. Medien. Raum. Identität«
Autor: Jöran Muuß-Merholz
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