Prof. Dr. Wolfgang Zacharias
Beiträge in merz
Wolfgang Zacharias: Medienpädagogik und Kulturwissenschaft
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Interdisziplinärer Diskurs
Medien vor 60 Jahren – Medien heute. Da ist vieles gleich geblieben und doch irgendwie alles ganz anders. Wir sind vernetzt, online und mobil, Medien sind immer und überall – und aus keinem Lebensbereich und keiner (humanwissenschaftlichen) Disziplin wegzudenken. merz, seit 60 Jahren Forum der Medienpädagogik, nimmt ihren Geburtstag zum Anlass, um dies im interdisziplinären Horizont zu erörtern. Wir fragten Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Disziplinen: Was macht den Mehrwert medienpädagogischer Forschung und Praxis in der zunehmend mediatisierten Gesellschaft aus?
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Das Folgende ist eine Art erweiterte kunst- und kulturpädagogische Sichtweise sowohl als Beobachter wie als Betroffener und Beteiligter an der sich professionalisierenden kulturpädagogischen und medienbildenden Entwicklungsdynamik von 1956 bis heute – zwischen Realität (offline) und Virtualität (online), im professionell kulturell- und medienbildenden Interesse, mehr oder weniger bewusst, sozusagen auch im offenen Spiel: Von Sinnen und Medien (JFF 1991) sowie interaktiv zwischen den Feldern Medien, Kulturen, Künste, informellen, non-formalen, formalen Spiel und Lernfeldern sowie ‚vom Sinnenreich zum Cyberspace und zurück‘ – wie unsere Begriffsformeln so heißen zugunsten neuer multimedialer Spiel- und Lernwelten. Für ungewisse multimedialer Zukünfte bilden? Das ist die sinnlich-reale und symbolisch-digitale Auftragslage, damals wie heute und ‚multimedial‘ im weitesten Sinn, nicht nur auf technischer Basis: „Auch eine multimediale Zukunft wird auf den existenten Bedingungen dieser Welt aufbauen und darin manches Phänomen pointieren, ausbauen und verstärken“ (Schorb 2000, S. 15). Hier ist das Kooperationspostulat, bildungs-, sozial-, kultur-, medienräumlich immanent enthalten, das zukunftsperspektivisch nach wie vor und mehr denn je geboten ist. Und dafür gilt es als professionelles Bildungsziel einen Art ‚Kompetenzpool‘ zu ermöglichen.
Medienbildung ist, von lokal bis global (glokal), vom Ästhetischen bis zum Ethischen (esthetisch), kein nur fach- oder spartenspezifisch abgrenzbares Feld. Im Horizont von Lernen, Weltaneignung und Bildung in einem weiten Horizont und von Spiel bis Schule, Kommerz bis Kunst, Imagination und Initiative, Ethik und Ästhetik ist Medienbildung von zentraler Bedeutung. Eins ist dabei sicher: Medienwelten und das Aufwachsen in ihnen werden sich verändernde Beschleunigung bedeuten. Aber wie, wann, für wen konkret? Who knows? Nobody … Bildungs- und Kunst- Kultur/Ästhetikrelevanzen? Die Zukunft ist offen – die realmediale (Um-)Welt ist in permanenter Transformation, sozusagen aktiv-transgressiv sowie autogenerativ und formatierungskreativ – und damit durchaus ästhetisch, weil von Formprozessen und nicht Inhaltsdefinition gesteuert. Medienbildung wurde und wird weiterhin zu einer Schlüsselkompetenz in der Wahrnehmung und Gestaltung der je eigenen Selbst- und Weltwahrnehmung. Die Chance bzw. analytische und phänomenologische Notwendigkeit, Medienbildung neben den Fokussierungen Künste und Kulturen als eine zentrale Querschnittsdisziplin aller kulturellen Sozialisation und Bildung aufzuwerten, liegt eigentlich auf der Hand. Es ist überfällig, entsprechend der „anthropologischen Konstituivität des Medialen“ (Jörissen 2014). Die wechselseitigen, wertschätzenden und bedeutungsqualifizierenden Diskurse zwischen Kultureller Bildung als pluraler Rahmen und medialer Bildung als unverzichtbare Querschnittsdisziplin und übergreifendes kulturell-ästhetisches Phänomen sind aktuell in einem positiv hoffnungsvollen integrativem Prozess, eigentlich unausweichlich und vor allem intergenerationell überfällig.
Literatur:
Schorb, Bernd (2000). Multimediale Zukunft. In: Zacharias, Wolfgang (Hrsg.), Interaktiv. Medienökologie zwischen Sinnenreich und Cyberspace. München: kopaed.
Jörissen, Benjamin (2014). Digitale Medialität. In Wulf, Christoph/Zirfas, Jörg (Hrsg.), Handbuch pädagogische Anthropologie. Wiesbaden: Springer, S. 503-514.
Dr. Wolfgang Zacharias ist Vorstand des Vereins Pädagogische Aktion/SPIELkultur e. V. sowie Honorarprofessor für Kultur- und Spielpädagogik an der Hochschule Merseburg. Seine Schwerpunkte sind unter anderem Kinder- und Jugendkultur sowie Kulturelle Bildung.
Wolfgang Zacharias: Schillers schöner Schein: revisited, remixed
Das Ästhetische lauert immer und überall. Medien sind prinzipiell ästhetisch signiert, irgendwie und sowieso: Sie verbinden, vermitteln zwischen Sinn und Sinnlichkeit, Bildern und Bedeutungen, Sachen und Symbolen, Wahrnehmungen und Werten.
Und nun 2005: 200 Jahre Friedrich Schiller, auch auf allen möglichen Kanälen und Kongressen gefeiert. Im Jahre 1793 hat sich der große klassisch-idealistische deutsche Dichter auch mit der Erziehung und Bildung des Menschen befasst. Allerlei Spielarten kulturell-ästhetischer Bildung arbeiten sich daran auf oder ab: An seinen 27 Briefen „Über die Ästhetische Erziehung des Menschen“. Es ist eine Art Grundlegung, die Ethik und Ästhetik, Kunst und Politik, Reales und Fiktives, Notwendigkeiten und Möglichkeiten aufeinander bezieht: Im positiv gemeinten Fokus des „Schönen Scheins“.Im Zitatangebot klingt das so: „Mitten in dem furchtbaren Reich der Kräfte und mitten in dem heiligen Reich der Gesetze baut der ästhetische Bildungstrieb unvermerkt an einem dritten fröhlichen Reiche des Spiels und des Scheins, worin er dem Menschen die Fesseln aller Verhältnisse abnimmt, und ihn von allem, was Zwang heißt, sowohl im physischen als im moralischen entbindet.“ Sehr aktuell für unsere Diskurse um die „gePISAckte Bildung“ heißt es: „Der Nutzen ist das große Idol der Zeit, dem alle Kräfte fröhnen und alle Talente huldigen sollen.“
Dagegen galt und gilt es, Kunst und Kultur, Spiel, Ethik und Ästhetik befreiend in Stellung zu bringen.Auch wenn Schiller eigentlich immer ideale Kunst und klassische Schönheit meinte, wenn er den „schönen Schein“ als befreiend und erziehend hochhält, gerade in Sachen „Medien“ ist das von aktuellem Interesse: „Fürchten Sie nichts für Realität und Wahrheit, wenn der hohe Begriff, den ich ... von dem ästhetischen Schein aufstellte, allgemein werden sollte ... dem selbständigen Schein nachzustreben erfordert mehr Abstraktionsvermögen, mehr Freyheit des Herzens, mehr Energie des Willens als der Mensch nöthig hat, um sich auf die Realität einzuschränken, und er muss diese schon hinter sich haben, wenn er bey jenem anlangen will.“Darum geht es auch 2005 plus: Schlüsselkompetenzen und Co., experimentelle Einbildungskraft in Aktion, sinnlich-spielerische Erfahrung und ästhetisch-idealistische Anschauung als Einheit, weit über die Kunst hinaus: Dazu Schillers berühmter Satz aus den Briefen: „Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (Schiller 1793/ 2000, S.62)
Und warum sollte das nicht auch für vielerlei medialen digitalen Schein heute gelten? Für Medienkunst und Computerspielwelten? So etwa remixed und revisted, taugt Schiller durchaus für das 21. Jahrhundert, für nachhaltige kulturelle Medienbildung: In Konstellationen und Passagen, mit Transformations- und Navigationskompetenz in der „glokalen“ und „virealen“ Netzwerkgesellschaft zur zukünftigen Orientierung des „homo ludens digitalis“. Oder?
Wolfgang Zacharias: Alles ist ästhetisch – irgendwie und sowieso
Medienkompetenz ist Teil der ästhetisch-kulturellen Kompetenz, die als Bildungsziel verankert sein muss. Medienpädagogik als integrierter Bestandteil eines Bildungskonzepts übernimmt die Aufgabe von kultureller Medienbildung.
(merz 2001-03, S. 146-156)
Wolfgang Zacharias: Kulturpädagogik
Wolfgang Zacharias: Kulturpädagogik. Kulturelle Jugendbildung. Eine Einführung. Leske + Budrich. Opladen 2001, 272 S., EUR 18,50 Kulturpädagogik, was ist das? Eine Frage, die auf den ersten Anhieb nicht so leicht zu beantworten ist. Denn was Kulturpädagogik ist und wie sie sich wissenschaftlich exakt von anderen Disziplinen abgrenzt, wurde bisher weder klar umrissen, noch theoretisch fundiert. Kulturpädagogik wurde vor allem in der Praxis entwickelt. So haben sich in den letzten dreißig Jahren eine Vielzahl von Projekten, Aktionen und Maßnahmen unter diesem Label versammelt, ohne genau zu definieren, auf welcher theoretischen Grundlage dies geschieht. Als weitere Bindestrichpädagogik mit Bezugsquellen aus den Erziehungswissenschaften, Kulturwissenschaften, der Anthropologie, Soziologie und Psychologie hat sich die Kulturpädagogik inzwischen ein festes Standbein in der praktischen Kinder- und Jugendarbeit erobert und ist aus dem Alltag pädagogischer Praxis nicht mehr wegzudenken.
So ist es um so verdienstvoller, dass Wolfgang Zacharias, ein Kulturpädagoge der ersten Stunde, nun die theoretische Fundierung dieser Disziplin vorgenommen hat und mit seiner Einführung in die kulturelle Jugendbildung ein Standardwerk für diesen Bereich geschaffen hat. Als theoretische Einführung in die Kulturpädagogik gibt das Buch Aufschluss über Ziele und Leitbilder jugendkultureller Bildungsarbeit, eröffnet exemplarische Einblicke in die verschiedenen Praxisfelder und deren institutionelle Verortung und stellt Grundlagen einer kulturpädagogischen Didaktik dar. Dabei wird auch die historische Entwicklung des Feldes seit den 70er Jahren unter dem Stichwort „Von der alten zur neuen Kulturpädagogik“ reflektiert. In insgesamt zwölf Kapiteln zeigt das Buch die wachsende Bedeutung der kulturellen Jugendbildung auf, die als wichtiger Teil der allgemeinen Bildung im 21. Jahrhundert verortet wird. Kulturpädagogik und kulturelle Bildung werden dabei als Teil einer allgemeinen Pädagogik und allgemeinen Bildung beschrieben.
Dabei wird aufgezeigt, dass Kunst und Kultur für Kinder und Jugendliche zunehmende und entscheidende Bildungswirkungen haben. Eine, angesichts der für deutsche Schulen verheerenden Ergebnisse der PISA-Studie, um so dringlichere Botschaft an die Bildungsverantwortlichen, sich neuen und innovativen Lern- und Erfahrungsfeldern zu öffnen. Kulturpädagogik bietet dazu nach Meinung des Autors vielerlei Orte, Ereignisse und Themen, die aktuell aktivierend, lebensweltorientiert und interkulturell Musik und bildende Kunst, Tanz und Theater, alte und neue Medien, Sinneswahrnehmung und künstlerischen Ausdruck miteinander verbinden. Das Buch zeigt die Vielschichtigkeit kultureller Jugendbildung und gibt grundlegende Einblicke in diesen expansiven bildungs- und kulturpolitischen Praxisbereich. Als theoretische Grundlegung sollte es deshalb in keiner Bibliothek angehender Kultur-, Theater- oder Medienpädagogen fehlen.