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SWIPE DES MONATS: Der Mensch und seine Hüllen

Neulich im Zug. Er fährt! Und ich nutze die Gelegenheit, die Gedanken einfach mal schweifen zu lassen. Mein Blick fällt auf die zwei Rentnerpaare am Vierertisch gegenüber. Alle lesen konzentriert in kleinen Büchern. Ist es vielleicht der übrig gebliebene Rest des Bibelkreises, der einen Ausflug nach München machen will? Egal. Da sehe ich, dass eine der Damen etwas in ihrem Rucksack sucht, ihn dafür aber zuerst aus der Regenhülle pellen muss. Dann holt sie eine Plastiktüte raus, in der eine Brotdose steckt, die das Vesper für die Fahrt beinhaltet – Minifleischküchle, Käsewürfel und Tomaten. Ziemlich ordentlich verpackt und verhüllt, denke ich mir und überlege, dass man eigentlich den Hüllen eine eigene Ausstellung widmen sollte. In meinem Leben habe ich nämlich schon viele skurrile Hüllen und Verhüllungen erlebt: Da gab es den gehäkelten Überzug für die Rolle Klopapier, die dann bunt verhüllt auf der Hutablage des Autos platziert wurde; die alten Festnetztelefone wurden nicht selten mit moosgrünen, bestickten Überzügen für Apparat und Hörer verschönert; die mobile Umkleidekabine für das Schwimmbad, die aus zwei zusammengenähten Frotteehandtüchern bestand mit einem Gummizug als Kopföffnung; Pflanzen bekommen im Winter Kälteschutzhauben – entweder jutesackfarben oder betont lustig mit Nikoläusen oder Rentieren bedruckt; dem Alkohol übermäßig Zugeneigte verhüllen den Hochprozentigen mit einer Papiertüte; und nicht zu vergessen die immer noch verwendeten Klodeckelüberzüge aus flauschigem buntem Stoff.

Zwischenstopp in Ingolstadt. Der Bibelkreis gegenüber liest immer noch, blättert aber nie um. Seltsam. Der Zugbegleiter kommt mit dem Servicewagen durch und ich gönne mir einen Kaffee. Zum Bezahlen muss ich erst den Geldschein aus der Handyhülle fischen – und bin schon wieder zurück in meiner Gedankenwelt: Auch unser vielleicht wichtigster Alltagsgegenstand, das Handy, braucht natürlich eine Hülle, die jedoch abhängig von Alter und Persönlichkeit der Mobiltelefonbesitzer*innen sehr unterschiedlich ausfällt. Da gibt es durchsichtige Hüllen, die -natürlich völlig unabsichtlich- erkennen lassen, welch teures Handy hier geschützt wird. Es gibt Hüllen mit einem Ring auf der Rückseite, der das ständige Halten des Mobiltelefons in der Hand erleichtert. Jugendliche nutzen gerne Hüllen mit ausklappbarem Ständer, damit sie beim Essen Videoclips gucken können; und Eltern, die ihr tobendes Kind zum Inhalieren überreden mussten, wissen auch, dass man so gut für Ablenkung sorgen kann. Outdoorfans haben natürlich die nahezu unkaputtbare Handyhülle für wilde Abenteuer jenseits der Baumgrenze und in der Wüste. Viele Frauen nutzen das Handy als modisches Accessoire: Da passt die Hülle farblich zum Tragegurt, mit dem das Mobiltelefon handtaschen griffbereit über der Schulter hängt, und natürlich zum gesamten Outfit, wie ich es neulich bei Doris Dörrie bewundern durfte, die zu Gast bei unserem Filmfest war.

Mitten in meine Überlegung platzt die Bordansage: Wir sind in wenigen Minuten in München. Ein letztes Mal schaue ich rüber zum Bibelkreis – und plötzlich ist mir alles klar: Die lesen nicht! Die gucken in ihre Handys, die sie allesamt in Klapphüllen verpackt haben – weil sich das Handy dann angenehmer und „analoger“ hält.

Hochzufrieden steige ich aus: ich habe das Rätsel geknackt und auch gleich noch Stoff für die Glosse.

 

Klaus Lutz


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