SWIPE DES MONATS: Ich bin begehrt oder: Auch digitale Trennungen sind kompliziert
Ich bin kein Mensch, der sich in seinem Leben häufig getrennt hat. Zum Abzählen der Beziehungstrennungen reicht eine Hand locker aus – da sind aber auch schon die Liebschaften im Kindergarten mitgezählt. Das Land habe ich ebenfalls nicht gewechselt, sondern bin nur von Unterfranken nach Mittelfranken umgezogen und dann noch von Nürnberg nach Fürth. Auch meine beruflichen Beziehungen sind äußerst stabil. Seit über 35 Jahre arbeite ich jetzt schon für denselben Arbeitgeber.
Die neue digitale Welt zwingt mich aber dazu, verschiedene Beziehungen zu Dienstleistern einzugehen, die von nicht allzu langer Dauer sind. ‚Beziehungs-Hopping‘ ist da das Gebot der Stunde. Allein um meine Fußballleidenschaft digital vor dem heimischen TV-Gerät ausleben zu können, bedarf es eines ausgeklügelten Beziehungsmanagements zwischen Sky und DAZN: Mal bändle ich mit dem einen Sender an (wenn es um die Spieltage am Samstag und Sonntag geht), mal muss ich mich (für Freitags- und Sonntagsspiele) wieder kurzfristig dem anderen Anbieter zuwenden und ihm ewige Treue schwören – die ich natürlich nicht einhalte. Denn kaum ist der Vertrag geschlossen, kündige ich zur Vermeidung von Abofallen gleich wieder. Aber wer gedacht hat, digitale Dienstleister hätten keine Gefühle, irrt sich. Folgende Mail erreicht mich bald nach der Kündigung von Sky: „Hallo Klaus, komm zurück!“. DAZN setzt nach mit: „Was können wir tun, damit du bei uns bleibst?“. Netflix und Sky Serie – mit denen ich mich aufgrund der Neuauflage von ‚Der Doktor und das liebe Vieh‘ auf ein kurzes Techtelmechtel eingelassen hatte – lassen ebenfalls nicht locker. Auch sie versuchen, die drohende Trennung abzuwenden, indem sie mich mit Nachrichten drangsalieren, wie „Willst du uns wirklich verlassen?“ und „Das könnte doch auch interessant für dich sein!“.
Kaum hatte ich mich an diese Art von Beziehungsterror gewöhnt, zündete meine langjährige Telefonpartnerin Vodafone – von der ich mich nach 20 Jahren zu trennen versuche – eine neue Stufe. Sie belässt es nicht bei Mails, sondern reagiert auch ganz altmodisch: Sie ruft mich an! Mindestens einmal in der Woche erhalte ich seit längerem einen Anruf von einer Dame, die von mir die Gründe meiner Trennung wissen möchte und besorgt nachfragt, ob es nicht doch einen Weg gäbe, mich umzustimmen. Kurz habe ich mir überlegt, woher die eigentlich meine Telefonnummer haben, bis mir einfiel, dass die sowieso alles über mich wissen. Die Gespräche werden inzwischen immer unfreundlicher und ich bin dazu übergegangen, die Nummer einfach wegzudrücken. Wie im richtigen Leben. Ich hoffe nur, dass meine enttäuschte Telefonanbieterliebschaft nicht bald einen Schlägertrupp schickt, der mir handfest die Gründe für einen Verbleib erklären soll.
Ansonsten überlege ich – nachdem ich pandemiebedingt viele Freizeitaktivitäten reduzieren oder einstellen musste – ganz ernsthaft, ob ich nicht vielleicht das Abschließen und Kündigen von digitalen Beziehungen zu meinem Hobby machen soll. Irgendwie hat man da das gute Gefühl, unglaublich begehrt zu sein.
Klaus Lutz
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