In der aktuellen Ausgabe widmet sich merz dem Thema Lebenswelt Netz. Obwohl die Entwicklung im Netz alle Generationen betrifft und die passive und aktive Auseinandersetzung mit dem Internet sich auf alle Alterklassen erstreckt, wird die Aufmerksamkeit diesmal auf die Online-Welten von Kindern und Jugendlichen gerichtet. Sie präsentieren sich selbst in Communities wie MySpace und YouTube, versammeln sich in Foren, es wird gechattet und gegruschelt. Manche suchen gezielt nach Informationen, andere surfen eher ziellos durch das weite Web. Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen sowie weitere Fachkräfte aus dem Feld der Kinder- und Jugendarbeit wissen, welche Anziehungskraft die neuen Medien auf das junge Publikum haben und welche Schwierigkeiten damit verbunden sein können. Die Sorge, dass das Internet einen schädlichen Einfluss auf die jungen Menschen haben könnte, wird von Pädagoginnen und Pädagogen daher ernst genommen und viel diskutiert. Bei den Jugendlichen selbst stößt dieser Gedanke wohl eher auf Widerstand. merz beschäftigt sich aus diesem Grund eingehend mit den Online-Welten junger Menschen, mit ihren Selbstinszenierungen im Netz – kurz: mit dem Netz als Lebenswelt.
2008/03: Lebenswelt Netz
aktuell
- nachgefragt: Frank Beckmann, KI.KA
nachgefragt: Frank Beckmann, KI.KA
Nach langjähriger Arbeit als Programmgeschäftsführer beim Kindersender KI.KA wechselt Frank Beckmann dieses Jahr als neuer Programmdirektor zum NDR. Was ändert sich beim KI.KA, was bedeutet der Wechsel für ihn selbst und welche Zukunft hat das Kinderfern-sehen vor sich? merz hat nachgefragt ...
merz: Herr Beckmann, im Herbst dieses Jahres werden Sie Ihren neuen Posten als Programmdirektor beim NDR beziehen und verlassen damit nach langer Zeit den KI.KA. Hand aufs Herz: Was wird aus KI.KA und Kinderfernsehen post Beckmann?
Beckmann: Man darf sich selbst nicht so wichtig nehmen. Das Schöne am öffentlich-rechtlichen Kinderprogramm ist, dass es eine Vielzahl von kreativen und sehr begabten Kollegen gibt. Ich habe mir keine einzige Sekunde Sorgen gemacht, dass der KI.KA nicht hervorragend weitergeführt wird. Im Gegenteil, unter einer neuen Führung werden wir ganz sicher andere Akzente, moderne Zugänge und richtungsweisende Ideen sehen.
merz: Sie blicken auf erfahrungsreiche Jahre im Bereich des Kinder- und Jugendfernsehens zurück – Stichwort: logo!, PuR und KI.KA. Wie hat sich in all dieser Zeit das Kinderfernsehen verändert und welche Entwicklungen erwarten Sie zukünftig?
Beckmann: Kinderfernsehen findet in einem sehr umkämpften Marktsegment statt. Wir konkurrieren gegen weltweit operierende Konzerne um die Gunst der Zuschauer. Die Digitalisierung wird den Wettbewerb weiter verschärfen, das Programmangebot vergrößern und die Sender in noch kleinere Segmente spalten. Die technische Entwicklung ist eine Chance und Herausforderung zugleich. Das öffentlich-rechtliche Kinderangebot darf keinesfalls von den Möglichkeiten des Internets abgekoppelt werden. Es ist im Interesse der Kinder, dass wir sie pädagogisch sachkundig an die neuen Technologien heranführen.
merz: Kinderfernsehen und Fernsehen für Erwachsene – viele sehen darin zwei sehr verschiedene (Arbeits-)Welten. Was nehmen Sie aus der Welt des Kinderfernsehens mit in die Welt des Erwachsenenfernsehens?
Beckmann: Als öffentlich-rechtlicher Sender muss man sich klar positionieren und als Marke auf allen Plattformen ein unverwechselbares Profil pflegen. Wenn man vom Kinderprogramm etwas lernen kann, dann ist es, dass Qualität und öffentlich-rechtlicher Rundfunk zusammengehören und sich mit der Einhaltung des Qualitätsversprechens auch der Markterfolg verbindet.
- Stichwort social bookmarks
Stichwort social bookmarks
‚Googeln’ macht nicht immer glücklich! Der Versuch, Inhalte im Internet mit herkömmlichen Suchmaschinen zu finden, ist oftmals frustrierend, nicht zuletzt, weil die Inhalte lediglich erfasst, aber nicht unbedingt sinnvoll geordnet sind. Das Web 2.0 hält die Lösung parat: Social Bookmarks. Social Bookmarks, also ‚soziale Lesezeichen’, stellen eine Form der User-Beteiligung in Online-Netzwerken dar. Alle Mitglieder von solchen – in der Regel kostenfreien – Social Bookmark-Netzwerken können mit Hilfe von Social Bookmarks die auf den Netzwerkseiten veröffentlichten Inhalte gemeinsam ordnen. Je nach eigenem Interesse können einzelne Beiträge mit Lesezeichen erstellt, kommentiert und mit Schlagwörtern versehen werden. Dadurch ergibt sich eine Form gemeinschaftlicher Indexierung, die es erlaubt, Beiträge nach verschiedenen Kategorien zu ordnen. So lassen sich die meistgelesenen oder beliebtesten Beiträge zu bestimmten Themen und Schlagwörtern finden oder auch diejenigen, die von einer bestimmten Person empfohlen werden.
Dieses Prinzip lässt sich sowohl auf Texte als auch auf Podcasts, Videos oder Links anwenden. Für die Nutzerinnen und Nutzer ergeben sich aus der kollektiven Sammlung und vor allem Ordnung von Inhalten – gegenüber normalen Suchmaschinen – mögliche Vorteile. Beispielsweise wird sowohl die gezielte Suche nach als auch das einfache Stöbern in bestimmten Themenbereichen erleichtert. Denn Texte und Inhalte werden von denjenigen geordnet, die sie auch wirklich gelesen haben und daher angemessener einschätzen können als ein programmierter Suchfilter (aufgrund der hohen Subjektivität von Ordnungsmaßstäben und inhaltlichen Präferenzen ist dies allerdings noch keine Qualitätsgarantie). Zudem kann eine Nutzerin oder ein Nutzer die Lesezeichen anderer mit ähnlichen Interessen einsehen und darüber gezielt für sie oder ihn selbst relevante Beiträge finden.
Prominente Beispiele für textorientierte Social Bookmark Netzwerke sind unter anderem http://del.icio.us, www.webnews.de oder www.mr-wong.de
thema
- Andreas de Bruin: Netz-Welten junger Menschen verstehen
Andreas de Bruin: Netz-Welten junger Menschen verstehen
Seit einiger Zeit ist eine gesellschaftliche Entwicklung zu konstatieren, die Chancen wie auch Risiken in sich birgt und die es aufmerksam zu beobachten gilt: die zunehmenden Aktivitäten junger Menschen im Internet. Ein Thema ist von besonderer Relevanz, und zwar die Notwendigkeit, die vielseitigen Online-Aktivitäten von Jugendlichen aus der Innenperspektive verstehen zu lernen, sprich: aus der Sicht der jungen Netz-Nutzerinnen und -Nutzer. Dieses Verständnis kann als Ausgangspunkt für den bislang noch zu wenig geförderten Dialog mit jungen Menschen fungieren.
Literatur:
Barnlund, Dean C./Nomura, Naoki (1985). Decentering, Convergence and Cross-Cultural Understanding. In: Samovar, Larry/Porter, Richard, Intercultural Communication, A Reader. Cengage Learning (4th Edition). Belmont: Wadsworth
Bruin, Andreas de (2004). Jugendliche – ein fremder Stamm? Münster: Lit-VerlagDreher, Eva/Oerter, Rolf (2008). Jugendalter. In: Montada, Leo/Oerter, Rolf (Hg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim/Basel/Berlin: Beltz, S. 258-317
Friebertshäuser, Barbara (2000). Ethnographische Methoden und ihre Bedeutung für die Lebensweltorientierung in der Sozialpädagogik. In: Lindner, Werner, Ethnographische Methoden in der Jugendarbeit. Opladen: Leske und Budrich, S. 33-54
Maier, Wolfang (2001). Mit Medien motivieren. Wiesbaden: Universum
Stagl, Justin (1993). Szientistische, hermeneutische und phänomenologische Grundlagen der Ethnologie. In: Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich/Stagl, Justin (Hg.), Grundfragen der Ethnologie. Beiträge zur gegenwärtigen Theorie-Diskussion. Berlin: Reimer, S. 129-150
(merz 2008-3, S. 10-15)
- Andreas Kirchhoff: Wohlgeordnete Freiheit
Andreas Kirchhoff: Wohlgeordnete Freiheit
Digitale Spielwelten üben eine große Faszination auf Jugendliche aus und führen immer wieder zu Bedenken von Eltern, pädagogischen Fachkräften und der Öffentlichkeit. Der Beitrag gibt Einblick in Bedeutung und Entwicklung von Online-Spielen aus Perspektive der Produzierenden und Konsumierenden.
Literatur:
Wölfling, Klaus: Computerspielsucht – Grundlagen und Operationalisierung des Phänomens. In: Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe e. V./Johannes Gutenberg Universität Mainz (Hg.) (2008), Mediensucht: Computer, Fernsehen, Handy ... moderne Gefahren – Diagnostik, Beratung und Therapie. Tagungsdokumentation. Berlin
Quandt, Thorsten/Wimmer, Jeffrey/Wolling, Jens (Hg.) (2007). Die Computerspieler. Studien zur Nutzung von Computergames. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaftenwww.pressetext.de/pte.mc?pte=071115021 [Zugriff: 09.05.2008](merz 2008-3, S. 32-35)
- Dagmar Hoffmann: Kult und Kultur, Spaß oder auch Ernst?
Dagmar Hoffmann: Kult und Kultur, Spaß oder auch Ernst?
Soziale Netzwerke im Internet erfreuen sich steigender Beliebtheit bei Kindern und Jugendlichen. Sie dienen ihnen nicht nur zur Kommunikation, sondern auch zur Selbstdarstellung und -inszenierung. Anhand einer Analyse des Online-Portals schülerVZ werden Formen, Möglichkeiten und Risiken dieser Aspekte beleuchtet.
Literatur:
Adelmann, Ralf (2007). Die ‚weise Masse’. Zur medienökonomischen Ordnung des Politischen. In: Ästhetik & Kommunikation, 38. Jg., H. 139, S. 33-38
Bager, Jo (2008). Dabei sein ist alles. www.heise.de/ct/08/05/092/ [Zugriff: 12.4.2008]Boyd, Danah (2006).Friends, Friendsters, and MySpace Top 8: Writing Community Into Being on Social Network Sites. First Monday 11(12) [Zugriff: 10.4.2008].
Hoffmann, Dagmar/Kersten, Fabian (2008). Spiel der Identitäten mit oder ohne Grenzen. Persönliche Inszenierungen auf sozialen Netzwerkportalen. In: das baugerüst. Zeitschrift für Jugend- und Bildungsarbeit, 60. Jg., Nr. 1, S. 26-31
Huber, Maria (2008). Beleidigt und geflogen. www.sueddeutsche.de/computer/artikel/488/161047/ [Zugriff: 10.4.2008].
Mühlhausen, Jan (2006). Widerstand ist zwecklos. Das StudiVZ. www.fspaed.de/faq_board/thread.php?id=171 [Zugriff: 10.4.2008]Pilmes, Andreas (2008). Lebst du schon oder surfst du noch? In: KiKuMa – Kinder Kultur Magazin, Nr. 1, S. 8-11
Schultz, Tanjev (2003). Alles inszeniert und nichts authentisch? Visuelle Kommunikation in den vielschichtigen Kontexten von Inszenierung und Authentizität. In: Thomas Knieper/Marion Müller (Hg.), Authentizität und Inszenierung von Bilderwelten. Köln: Herbert von Halem, S. 10-24
(merz 2008-3, S. 16-23)
- Ekkehard Sander, Andreas Lange: „Die Jungs habe ich über die Lokalisten kennen gelernt“
Ekkehard Sander, Andreas Lange: „Die Jungs habe ich über die Lokalisten kennen gelernt“
Elektronisch basierte „Soziale Netzwerke“ boomen. Damit rücken in den öffentlichen Diskussionen die Fragen nach der ökonomischen Verwertung ebenso in den Vordergrund wie die damit verbundenen Probleme des Datenschutzes. Unter einer medienpädagogischen und jugendsoziologischen Perspektive geht es um die Risiken und Chancen für die Jugendlichen. Der Beitrag rekonstruiert, wie heranwachsende Jungen und Mädchen die neuen Möglichkeiten der elektronisch lancierten lokalen Netzwerke in ihren sozialen Beziehungen nutzen und wie sie diese einschätzen.
Literatur:
Büchner, Peter/Fuhs, Burkhard/Krüger, Heinz-Hermann (Hg.) (1996). Vom Teddybär zum ersten Kuss. Wege aus der Kindheit in Ost- und Westdeutschland. Opladen: Leske & Budrich
Döring, Nicola (2007). Vergleich zwischen direkter und medialer Individualkommunikation. In: Six, Ulrike/Gleich, Uli/Gimmler, Roland (Hg.), Kommunikationspsychologie – Medienpsychologie. Weinheim: Beltz. S. 297-313
Jakobs, Hans-Jürgen (2007). Zwischen Freiheit und Verantwortung. Chancen und Risiken der Mediengesellschaft 2.0. In: tendenz. Magazin für Funk und Fernsehen der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, 3/2007, S. 4-9
Kammerl, Rudolf (2007). Regionale/Lokale Bindung im virtuellen Raum. Zur Verortung internetbasierter Kommunikation in der Identitätsentwicklung Jugendlicher und deren medienökologischer „Heimat“. Vortrag im Rahmen der Tagung der Sektion Jugendsoziologie in der DGS: (Virtuelle) Raumüberwindung: Technikbasierte Raumbezüge München, 26.10.2007 (unveröff. Manuskript) Stöcker, Christian (2008). Virtuelle Räume und reale Erregungszyklen. Die Hysterie um ‚Second Life’ und was wirklich dran ist an dreidimensionalen Web-Welten. Publizistik, 53, S. 5-8
Wellman, Barry/Haythornthwaite, Caroline (Hg.) (2002). The Internet in Everyday Life. Oxford: Blackwell(merz 2008-3, S. 24-31)
spektrum
- Christina Schachtner: Jugendliche und digitale Medien
Christina Schachtner: Jugendliche und digitale Medien
Die Nutzung digitaler Medien durch Jugendliche steht in engem Zusammenhang mit Befindlichkeit, Lebenslage und -stil der heutigen Jugendgeneration. Ein Vergleich aktueller Jugendstudien erläutert sozialökonomische sowie geschlechtsspezifische Aspekte und bietet Perspektiven für die künftige Medienforschung.
Literatur
Forrester Consulting, Prepared for Xerox (2006). Is Europe Ready For The Millenials? Innovate To Meet The Needs Of The Emerging Generation. Cambridge/USA. www.ffpress.net/Kunden/XER/Downloads/XER87000/XER87000.pdf [Zugriff: 29.05.2008]
Friesl, Christian (2007). Österreichische Jugendwertestudie 2006/2007. WienHurrelmann, Klaus/Albert, Mathias/Quenzel, Gudrun/Langness, Anja (2006). Eine pragmatische Generation unter Druck. In: Shell Deutschland (Hg.), Jugend 2006. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 31-48
Kammerl, Rudolf (2006). Funktionalität und Dysfunktionalität des Chattens für Beziehungen von 14- bis 16-jährigen Jugendlichen. In: MedienPädagogik, Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung. www.medienpaed.com/06-1/kammerl2.pdf [Zugriff: 23.04.2008]
Lange, Andreas/Schorb, Bernd (2006). Zwischen Entgrenzung und Restabilisierung – Medien als Generatoren von Jugend. In: merz medien+erziehung, 4/06, S. 8-14
Reichmayr, Ingrid Francisca (2005). Weblogs von Jugendlichen als Bühnen des Identitätsmanagements. Eine qualitative Untersuchung. In: Schmidt, Jan/Schönberger, Klaus/Stegbauer, Christian (Hg.), Erkundungen des Bloggens, Sozialwissenschaftliche Ansätze und Perspektiven der Weblogforschung, Sonderausgabe von Kommunikation@gesellschaft Jg. 6. Online-Publikation: www.soz.uni-frankfurt.de/K.6/B8_2005_Reichmayr.pdf [Zugriff: 23.04.2008]
Schachtner, Christina/Winker, Gabriele (2005). Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten, Frauennetze im Internet. Frankfurt/Main: Campus Verlag
Schachtner, Christina (2008). Learning Communities, Das Bildungspotenzial kollaborativen Lernens im virtuellen Raum. In: Schachtner, Christina/Höber, Angelika (Hg.), Learning Communities, Das Internet als neuer Lern- und Wissensraum. Frankfurt/Main: Campus Verlag (im Erscheinen)
Shell Deutschland Holding (Hg.) (2006). Jugend 2006. Eine pragmatische Generation unter Druck. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag
Straub, Ingo (2005). Neue Freunde durch neue Medien? Die Bedeutung computervermittelter Kommunikation für männliche Jugendliche. In: MedienPädagogik, S. 1-18. www.medienpaed.com [Zugriff: 23.04.2008]
Straub, Ingo (2006). Medienerfahrungen und Männlichkeitskonstruktionen in jugendkulturellen Szenen. In: Medienheft, S. 1-6.www.medienheft.ch/kritik/bibliothek/k25_StraubIngo. html [Zugriff: 23.04.2008]
(merz 2008-3, S. 36-42)
- Franz Josef Röll: Weblogs in der Bildungsarbeit
Franz Josef Röll: Weblogs in der Bildungsarbeit
Weblogs eröffnen neue Formen des dezentralisierenden Dialogs und damit neue individuelle und kollektive Kommunikationsformen. Es werden vier Nutzungsformen von Weblogs näher betrachtet: öffentliche und interpersonale Kommunikation, Identitätsarbeit und Wissensgenerierung. Weblogs sind demnach ein Instrument des Informations-, Beziehungs-, Identitäts- und Wissensmanagements. Im Folgenden wird skizziert, welche Bedeutung diese Nutzungsformen für die Bildungsarbeit haben.
Literatur
Habermas, Jürgen (1990). Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Neuwied: Luchterhand
Ketter, Verena (2008). Weblogs in der Kinder- und Jugendarbeit. In: Ertelt, Jürgen/Röll, Franz Josef (Hg.), Web 2.0: Jugend online als pädagogische Herausforderung. München: kopaed (Im Erscheinen)
MTV Networks (2008). Circuits of cool. www.goldbachmedia.at/.../_goldbachmedia/research/pdf/MTV_NICK_MSN_Circuits_of_Cool_Deutschland_2007- 09.pdf [Zugriff: 13.02.08]
Röll, Franz Josef (2003). Pädagogik der Navigation. Selbstgesteuertes Lernen mit Neuen Medien. München: kopaedSchmidt, Jan (2006). Weblogs – eine kommunikationssoziologische Studie. Konstanz: UvK
(merz 2008-3, S. 58-61)
- Holger Morawietz: Mädchen und Jungen lernen unterschiedlich mit Computern
Holger Morawietz: Mädchen und Jungen lernen unterschiedlich mit Computern
Anhand aktueller repräsentativer Studien wird die geschlechtsspezifische Nutzung von Computern durch Kinder im Grundschulalter erläutert. Aus der separaten Betrachtung der Bereiche Freizeit und Schule ergeben sich genderspezifische Aspekte der Integration des Computers in den Unterricht. #
Literatur
Hurrelmann, Klaus/Andresen, Sabine (2007). Kinder in Deutschland. 1. World Vision Kinderstudie. Frankfurt am Main: Fischer
Jansen-Schulz, Bettina/Kastel, Conni (2004). „Jungen arbeiten am Computer, Mädchen können Seil springen...“. Computerkompetenzen von Mädchen und Jungen. München: kopaed
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hg.) (2007). KIM-Studie 2006. Kinder und Medien, Computer und Internet. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger. Stuttgart
Metz-Göckel, Sigrid et al. (1991). Mädchen, Jungen und Computer. Geschlechtsspezifisches Sozial- und Lernverhalten beim Umgang mit Computern. Opladen: Westdeutscher Verlag
(merz 2008-3, S. 50-57)
- Janina Petri: Fern sehen oder doch nur Fernsehen?
Janina Petri: Fern sehen oder doch nur Fernsehen?
Sobald der Spielraum gegeben ist, wenden sich Jugendliche sehr selektiv bestimmten medialen Inhalten zu. Sie wählen solche Angebote, die ihnen in ihrer Identitätsarbeit helfen. Hierin liegt auch die Erklärung für die unterschiedliche Bedeutung, die Heranwachsende aus Leipzig und Perugia (Italien) Fernsehinformation beimessen.
Literatur
Antonovsky, Aaron (1997). Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: dgvtKeupp, Heiner (1997). Ermutigung zum aufrechten Gang. Tübingen: dgvt
Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang (Hg.) (2006). Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt
Schorb, Bernd/Theunert, Helga (2000). Kontextuelles Verstehen der Medienaneignung. In: Paus-Haase, Ingrid/Schorb, Bernd (Hg.), Qualitative Kinder- und Jugendmedienforschung. Theorie und Methoden: ein Arbeitsbuch. München: kopaed, S. 33-57
(merz 2008-3, S. 62-67)
- Matthias Kortmann: Web 2.0 – Ein Thema für die Soziale Medienarbeit
Matthias Kortmann: Web 2.0 – Ein Thema für die Soziale Medienarbeit
Web 2.0 ist ein mediales Dauerthema und wird bei den Internetnut-zerinnen und -nutzern zunehmend beliebter. Aus diesem Grund kann sich auch die Medienpädagogik dem Phänomen Web 2.0 nicht verschließen. Dazu müssen zunächst die strukturellen Voraussetzungen des Web 2.0 geklärt werden, um dann in einem weiteren Schritt den Inhalt dieser Internetanwendungen zu betrachten. Dies sind notwendige Voraussetzungen, um im Anschluss zu überlegen, wie Web 2.0 in medienpädagogische Konzepte Einzug halten kann.
Literatur:
Alby, Tom (2007). WEB 2.0 – Konzepte, Anwendungen, Technologien, 1. Auflage, München u. Wien: Carl Hanser Verlag
Eimeren, Birgit van/Oehmichen, Ekkehardt/Schröter, Christian (1997). ARD-Online-Studie 1997: Onlinenutzung in Deutschland, in: Media Perspektiven, 28. Jg., S. 548-557
Hoffmann, Bernward (2003). Medienpädagogik – Eine Einführung in Theorie und Praxis. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh(merz 2008-3, S. 43-49)
medienreport
- Christina Oberst-Hundt: Fernsehen macht Geschichte – Vergangenheit als TV-Ereignis
Christina Oberst-Hundt: Fernsehen macht Geschichte – Vergangenheit als TV-Ereignis
Historische Themen, vor allem der jüngeren Geschichte, entwickeln sich zunehmend zu TV-Quoten-Highlights. Das gilt vor allem für sogenannte Eventfilme im öffentlich-rechtlichen wie kommerziellen Fernsehen. Zuletzt erreichte Die Jacht Gustloff (ZDF) über acht Millionen Zuschauer und Zuschauerinnen, im vergangenen Jahr waren es Die Flucht (ARD/Arte) und Die Frau vom Checkpoint Charlie (ARD), die sich 10,66 Millionen, bzw. zehn Millionen Menschen anschauten. Aber auch die Filme Contergan (ZDF) und Tarragona (RTL) brachten es auf über sieben und fünf Millionen Zuschauende. Der Flucht gelang sogar der Sprung in die ansonsten von sportlichen Großereignissen dominierte Quoten-Top Ten 2007. Dokumentationen, Dokudramen und living history erreichen ebenfalls ein großes Publikum. Guido Knopps Produktionen Hitlers Helfer (ZDF) sahen schon 1998 bis zu acht Millionen Menschen. „Historische Stoffe sind populär wie nie zuvor in der deutschen Fernsehgeschichte“, heißt es in der Einladung zu den letzten Tutzinger Medientagen mit dem beziehungsreichen Titel Fernsehen macht Geschichte. Wobei „macht“ durchaus auch groß geschrieben werden darf, denn wenn das Me-dium Geschichte „macht“, kann es auch Macht entfalten, zumal es in vielen dieser Filme und Sendungen nicht (nur) um Information und Bildung, sondern auch um Unterhaltung, Spannung, Emotion und letztlich auch Vergewisserung und Deutung von Vergangenem geht, die bei den Rezipientinnen und Rezipienten Wirkung erzielen (können). Zum Beispiel die Klippe umschiffen zu müssen, auch nur den Anschein von Revanchismus bei Stoffen wie Dresden (in der Bombennacht am 13. Februar 1943) oder Die Flucht (aus Ostpreußen vor der anrückenden Roten Armee) zu erwecken, war den anwesenden Verantwortlichen für diese Produktionen, wie Drehbuchautorin Gabriela Sperl betonte, sehr wohl bewusst. Aber ist diese Sensibilität durchweg gegeben? Worin liegt der Erfolg solcher Produktionen? Weil sie Anhaltspunkte im kollektiven Gedächtnis haben? Oder wirken sie auf das kollektive Gedächtnis ein, verändern sie es? Pflegen sie eine ‚Erinnerungskultur’ oder schaffen sie neue ‚Erinnerungen’? Können sie ein defizitäres Geschichtsbewusstsein aufbrechen? Oder schaffen sie überhaupt erst ein Bewusstsein für Vergangenes? Fragen, die nicht zuletzt für die Jüngeren, die bei zeitgeschichtlichen Themen weitgehend nicht oder kaum auf persönliches Erleben zurückblicken können, relevant sind. Gerade aber in diesen Generationen konnten die massenattraktiven Eventfilme punkten. Sie erreichen viele Unter-50-Jährige und auch die sonst eher die kommerziellen Angebote nutzenden ganz Jungen.
„Die ideale Geschichtssendung gibt es nicht!“ oder: Wie authentisch ist das Historische?
„Authentizität ist das Schlüsselwort für den erfolgreichen historischen Film der Gegenwart“, betonte Prof. Rainer Wirtz, Historiker und So-ziologe mit dem Schwerpunkt ‚Geschichte in Medien’ an der Universität Konstanz. Aber was ist ‚Authentizität’? Mit den neuen Produktionen vollzieht sich, so Wirtz, ein Bedeutungswandel des Begriffs. Nicht mehr das strikte Festhalten an dokumentarisch gesichertem, auf Zeitzeugenschaft basierendem Material ist ausschlaggebend, Authentizität werde „wie das Wetter zunehmend gefühlt“ und lässt sich heute sogar steigern. Der Untergang zum Beispiel wurde damit beworben, dass er „authentischer als alle vorherigen Filme zum Thema“ sei. „Superauthentisch“ oder „echt authentisch“ sind weitere Etappen dieser Begriffsdehnung, die kaum problematisiert wird. Der Rechtsstreit um den Conterganfilm im ZDF, den die Firma Grünenthal angestrengt hatte, machte, wie Wirtz darlegte, deutlich, dass der Film „seine eigene Wahrheit konstituiert mit der Konsequenz, dass in Bezug auf Authentizität zwischen innerer und äußerer unterschieden werden kann. Die innere fragt nach der Stimmigkeit eines historischen Films jenseits aller Beglaubigungsstrategien, während die äußere alle Anstrengungen unternimmt, dass ein Film faktengerecht produziert wird.“ Mitunter gehe es allerdings lediglich „um die Aufrechterhaltung der Illusion von Authentizität, damit die Zuschauer in ihren Erwartungen von Antike“ – so im SAT.1-Schliemann-Film – „nicht enttäuscht werden“. Ebenso musste, vorrangig aus Quotengründen, ein hoher Wiedererkennungs- und Sympathiewert des Hauptdarstellers Heino Ferch, bekannt aus weiteren insbeson-dere SAT.1-Event-Filmen, erreicht werden zulasten von Authentizitätskriterien.Anders die Authentizitätserwartungen des Pulikums beim Zweiteiler Die Flucht: Der Zug von 600 Statisten über das vereiste Haff lasse „Bilder wieder auferstehen, die im Fundus kollektiver Erinnerung ohnehin vorhanden sind“. Der historische Event-Film könne so als „Augen- und Türöffner für das kollektive Gedächtnis“ fungieren, die filmischen Erinnerungstopoi – oder auch „Bild-Ikonen“ – könnten, so Wirtz, die realen aber auch überlagern, „weil sie sich doch so ähneln, um nicht zu sagen, sogar authentischer erscheinen.“ „Die ideale Geschichtssendung gibt es nicht!“ resümierte Wirtz in der anschließenden Diskussion. „Bildikonen, die wir in uns tragen, wie das vor Napalm wegrennende vietnamesische Mädchen, werden ersetzt“, durch Superauthentisches? Er plädiert für mehr qualitative Studien zur Rezeption von Geschichtssendungen und im Umgang mit historischen Stoffen, dafür, „Multiperspektivität“ einzufordern, „weil sie wichtig ist, um sich Wahrheit anzueignen!“„Nichts ist so groß wie Geschichte, die das Leben schreibt!“
Trailer nur für Einschaltimpuls, Verkauf und Quote?
In seiner „Zeitreise“ zum historischen Eventfilm weitgehend anhand ihrer Werbetrailer, sparte der Medienfachjournalist Tilman P. Gangloff nicht mit kritischen Anmerkungen: „Wenn das Fernsehen viel Geld ausgibt, um große Geschichte zu verfilmen, ist ihm jedes Mittel recht, um ein angemessen großes Publikum zu erzielen“. Oder: „Puristen“ gehe es „um Werte wie Wahrhaftigkeit, Authentizität, Seriosität. Sender aber denken anders. Produzenten erst recht.“ Bei diesen Kampagnen für Einschaltimpulse gehe es nicht „um hehre Ansprüche, sondern um knallharte kaufmänische Aspekte“. Erfunden habe „diese Art von Fernsehen“ die Firma teamWorx, durch deren Produktionen „sich die „Emotionalisierung der Stoffe wie ein Ariadne-Faden“ ziehe. Garantinnen für Erfolg seien „mittlerweile fast immer starke, moderne weibliche Figuren“, die aus kommerzieller Sicht ein weibliches Publikum ansprechen (sollen), da sie es in der Regel seien, die den Haushalt führten und „für die Einkäufe zuständig sind“. Beleg dafür: die relativ niedrigen Quoten der Pamir (ARD). Dort gab es nur männliche Hauptrollen. Filme wie Die Gustloff schafften es, „einen eminent politischen Stoff so lange zu verwässern, bis er völlig unpolitisch geworden ist.“Die Kritik der Angesprochenen blieb nicht aus. Wie andere wandte sich Hans Janke (ZDF) dagegen, die Kritik an „Verkaufstrailern“ festzumachen und kritisierte den „Gestus einer maliziösen Herablassung, die im Interesse eines kritischen Umgangs mit den Filmen nicht gerechtfertigt ist.“ Michael André (WDR) vermisste einen „analytischen Ansatz“ und die Produzentin Ariane Krampe wies auf die „Chance zur Schaffung von Geschichtsbewusstsein“ hin, die solche Filme böten. Warum aber müssen Trailer – auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (dessen Programmleistungen ja schon durch das grassierende Sponsoring negiert werden) – als derartige Aufreißer daherkommen, wird in ihnen doch eher das, worum es den Macherinnen und Machern der Filme eigentlich geht, konterkariert, nämlich vergangene Wirklichkeit nachzuzeichnen, um für historische Wahrheit den Blick zu öffnen.
Dennoch: Auf die Frage aus dem Publikum, ob es einen Unterschied mache, für Öffentlich-Rechtliche oder Private zu produzieren, kam die Antwort, dass dies „diametral anders“ sei. Bei den Öffentlich-Rechtlichen gehe es „sehr viel angstfreier und akademischer im positiven Sinne“ zu, bei den Privaten mache sich sofort der Quotendruck bemerkbar, der einen „ganz anderen Auftrag“ zur Folge habe. Aus Schliemann zum Beispiel werde dann eben lediglich „eine spannende, die Leute unterhaltende Geschichte, in der ein Schatz gesucht wird“.
Großereignisse im Dokumentarfilm.Neue Wege der Aufarbeitung von Vergangenem
Einen anderen, sehr unterschiedlichen Umgang mit historischen Großereignissen pflegen Dokumentarformate, wie Claudia Wick in einem Überblick nachwies. Die Beschäftigung mit dem Holocaust bestimmte die Dokumentationen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens von Beginn an. Hier gehöre für sie Eberhard Fechners Der Prozess zu den wichtigsten Dokumentationen des Deutschen Fernsehens überhaupt. Für Dokumentationen über die NS-Zeit war das Medium Fernsehen aber weitgehend nur auf Propagandamaterial, Zeitzeugen oder abgefilmte Aktennotizen angewiesen, während später, beim Deutschen Herbst zum Beispiel, das Nachrichtenfernsehen immer vor Ort sein konnte. Material in Sendequalität also heute reichhaltig vorliegt. Breloers Todesspiel (1997) schaffte Neues durch Verbindung von Rekonstruktionen der politischen Ereignisse, Täter- und Opfer-Befragungen mit Reenactments, die erstmals Eindrücke aus der entführten Landshut, dem Hochsicherheitstrakt in Stammheim und dem Krisenstab in Bonn vermittelten. Heute gibt es neue Ansätze, den Deutschen Herbst aufzuarbeiten und zwar durch aussöhnende Fernsehgespräche zwischen ehemaligen Terroristen und Angehörigen ihrer Opfer. Die „schwierige Doppelrolle der Medien „als Zeitzeuge und Akteur“ während des Deutschen Herbstes wurde lange Zeit nicht thematisiert. Allerdings konnte Wick eine „Dokumentation entdecken“, die „schonungslos die eigene Verstrickung“ vermittelt: einen unkommentierten Zusammenschnitt aller Tagesschau-Ausgaben zwischen dem 5. September und dem 8. Oktober 1977.Die mediale Aufarbeitung der Deutschen Einheit dient, so Wick, vor allem dazu, „die emotionale Erinnerung an das vermeintliche ‚Wunder von Berlin’ in den Köpfen der Zuschauer wachzuhalten – bzw. sie überhaupt erst zum dramatischen Ereignis zu formen“. Denn in der Spiegel-TV- Dokumentation Der Fall der Mauer sahen die Ereignisse „sehr viel weniger erhaben“ aus, zumal hier auch deutlich wird, dass die Massen sich auffällig anders – lauter, aktiver – verhalten, wenn sie die Scheinwerfer von Fernsehkameras auf sich gerichtet spüren.
Die 68er-Bewegung, kein Großereignis?
Auffällig war, dass es in Tutzing keinerlei Berücksichtigung der 68er-Bewegung gab. Möglicherweise deshalb, weil es deren bildmediale Aufarbeitung bisher kaum gibt. Dabei gehören solche Bilder, wie die sich über den durch einen Polizeischuss todwunden Benno Ohnesorg beugende Friederike Hausmann vom 2. Juni 1967 oder der am 10. April 1968 vom Fahrrad geschossene Rudi Dutschke ebenfalls zu den Bild-Ikonen, „die wir in uns tragen“ und nicht verdrängen lassen dürfen. Im literarischen Bereich gibt es bereits wichtige Initiativen zur Erinnerung und Nacharbeitung, zum Beispiel die Suhrkamp-Reihe 1968 mit Textdokumenten und dazugehörigen DVDs, oder Uwe Timms Rekonstruktion seiner Freundschaft mit Benno Ohnesorg: Der Freund und der Fremde, dazu auch eine TV-Dokumentation (rbb), ausgestrahlt im April 2008. Es gab eben nicht nur die sexuelle Revolution, wie die derzeitige umfangreiche mediale Beschäftigung mit Uschi Obermaier und der Berliner Kommune 1 anlässlich des 40. Jubiläums suggeriert, sondern alle gesellschaftlichen Bereiche, einschließlich sämtlicher Fachrichtungen, die es an Universitäten gibt, wurden in den Blick genommen und der Kritik, die in vielfältigen Aktionen ihren Ausdruck fand, unterzogen. Auch die Medien! „Enteignet Springer!“ war eine der Großkampagnen der 68er und 68erinnen und nicht zuletzt das Bayerische Volksbegehren Rundfunkfreiheit von 1972 hat seine Wurzeln in der 68er-Bewegung. Zeit also, eine Lücke zu schließen.
3 Anmerkungen
1 Zum Beispiel erreichte Dresden (ZDF) über zwölf Millionen Zuschauende, davon über vier Millionen 14-49-Jährige. Die Flucht Teil 1 (ARD) erreichte in dieser Altersgruppe 3,03 Millionen Zuschauende, trotz des jugendaffinen Konkurrenzangebots auf ProSieben Findet Nemo mit 3,68 Millionen Zuschauenden bis 49 Jahren
2 ZDF-Trailer für den Gustloff-Zweiteiler
3 Eine Dokumentation der in Tutzing gehaltenen Referate in epd medien 26 v. 02.04.2008
- Daniel Ammann: Agility für Mensch und Tier
Daniel Ammann: Agility für Mensch und Tier
Die Sims Tiergeschichten. DVD-ROM. Win XP/Vista. Köln: Electronic Arts, 2007, 40 € Mac OS X. Heidelberg: Application Systems, 2007, 45 €
Seit Jahren gehören das Lebenssimulationsspiel Die Sims und sein Nachfolger Die Sims 2 mit zahlreichen thematischen Erweiterungspacks (vgl. merz 4/2007) und diversen Accessoires zu den erfolgreichsten Computerspielen. Für 2009 steht mit Die Sims 3 bereits eine weitere Fortsetzung ins Haus. Ergänzt wird die Angebotspalette inzwischen durch die eigenständige Produktreihe Die Sims Geschichten mit speziell Laptop-freundlichen Spielen auf DVD. Erschienen sind bisher Versionen zu den Themen „Lebensgeschichten“, „Tiergeschichten“ sowie „Inselgeschichten“ (www.diesimsgeschichten.de). Neben einem freien Spielmodus, bei dem – wie in bisherigen Sims-Spielen – die Nachbarschaft mit eigenen Figuren bevölkert oder sogar Hunde und Katzen mit Persönlichkeitsprofil erstellt werden können, bieten die neuen Standalone-Produkte auch einen ausgereiften Storymodus an. Die Sims Tiergeschichten, das auf dem Haustiere-Erweiterungspack für Die Sims 2 basiert, erzählt zwei Episoden mit unterschiedlichen Herausforderungen. In der Geschichte mit Alice und ihrem Dalmatiner geht es darum, genug Geld aufzutreiben, um das Haus zu bezahlen. So kann man der Künstlerin zum Beispiel dabei helfen, einen passenden Job zu finden oder durch den Verkauf von Bildern etwas dazu zu verdienen. Eine willkommene Gelegenheit ergibt sich anlässlich einer lokalen Hundeshow. Wenn es Alice nämlich gelingt, ihren temperamentvollen Hund innerhalb von zwei Wochen auf den bevorstehenden Wettbewerb vorzubereiten, hat sie gute Chancen, sich das ansehnliche Preisgeld zu holen. Im Mittelpunkt der zweiten Tiergeschichte steht Küchenchef Stefan, der sich während der Hochzeitsreise seiner Cousine um deren verwöhnte Katze Diva kümmern muss. Außerdem hat er sich vorgenommen, endlich die Partnerin fürs Leben zu finden. Sofern die Spielerinnen und Spieler sich an den Wünschen und Zielen der Hauptfiguren orientieren, diese bei der Erziehung und Pflege ihrer Vierbeiner unterstützen und anstehende Aufgaben meistern, können sie nicht nur nützliche Gegenstände für das Inventar gewinnen, sondern Kapitel für Kapitel zum beruflichen und privaten Erfolg ihrer Sims beitragen. Für Sims-Einsteigerinnen und -Einsteiger führt ein umfangreiches Tutorial schrittweise in die Bedienung des Spiels ein und gibt Tipps, worauf es im Umgang mit den virtuellen Menschen und ihren Schützlingen ankommt. Das Spiel ist zwar ohne Altersbeschränkung freigegeben, setzt jedoch ausreichende Lesekompetenz voraus und dürfte sich aufgrund der sozialen Thematik und der komplexen Steuerung erst ab etwa zwölf Jahren eignen.
- Erika Kovacsics: Draussen bleiben
Erika Kovacsics: Draussen bleiben
Ein kleiner Bolzplatz in München am Harras. Zwei Mädchen toben ausgelassen um den ledernen Ball herum, scherzen und lachen. Sie üben verschiedene Fußballtricks – gekonnt sieht das aus. Doch längst ist nicht alles so sorglos, wie es scheint. Die beiden Protagonistinnen, Suli und Valentina, haben sich in einer Münchner Flüchtlingsunterkunft kennen gelernt und Freundschaft geschlossen. Den Migrationshintergrund haben sie gemeinsam – beide sind vor Jahren mit ihren Familien nach Deutschland geflohen, die eine aus Nordchina, die andere aus dem Kosovo. Doch während die uigurische Familie der siebzehnjährigen Suli längst als politisch Verfolgte angesehen und ihnen der Aufenthalt samt Wohnung genehmigt wurde, schwebt die jüngere Valentina stets in Ungewissheit. Die Angst vor der Abschiebung begleitet sie tagtäglich: Ihre Familie wird in Deutschland lediglich geduldet und das immer nur für zwei bis drei Monate, dann beginnt das Bangen von Neuem. Was die Behörden an der endgültigen Abschiebung noch hindert, ist die psychiatrische Behandlung, in die sich Valentinas Mutter aufgrund zerrütteter Familienverhältnisse begeben hat. Sie leidet unter den schwierigen Lebensumständen, wirkt müde und abgestumpft, sagt schon lange nichts mehr zu dem wilden Treiben ihrer sechzehnjährigen Tochter. Die kosovarische Familie lebt in einem Münchner Asylbewerberheim. In der Enge der Behausung herrscht reichlich Trubel. Valentinas Tagesablauf scheint durch ihre Standardmahlzeit, Rührei mit Fertigbrötchen, begleitet vom alltäglichen Streit der Nachbarn um die gemeinsame Waschmaschine, etwas wie Regelmäßigkeit zu gewinnen. Doch nur draußen fühlt Valentina sich frei. Unabhängig vom Einfluss der Familie, unbeschwert von gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen. Zusammen mit ihrer besten Freundin Suli stromert sie in U-Bahnstationen und Hinterhöfen herum, außerdem geht sie als Anführerin der kleinen Mädchengang ‚Harras Ladies’ der gemeinsamen Leidenschaft, dem Straßenfußball, nach.
Im Freundeskreis der Mädchen gehören interkulturelle Konflikte und Handgreiflichkeiten untereinander ebenso zur Normalität wie Probleme in der Schule und mit den Behörden. Da wird Schule geschwänzt, die Kontroversen um die Hautfarben der anderen auf der Straße ausgetragen, der Verlust des Respekts vor der Polizei öffentlich begründet und debattiert. Valentina, obwohl in großer Unsicherheit aufgewachsen, scheint ihr Leben selbstbewusst und unbefangen zu meistern. Die zurückhaltendere Suli bewundert ihre Freundin für deren Durchsetzungsvermögen und scheinbare Unabhängigkeit. Doch die Realität holt die beiden schnell ein: Es hat wieder einmal Probleme mit der Polizei gegeben. Valentina muss für einen Monat in den Jugendarrest, es folgt ein reger Briefwechsel zwischen den beiden Freundinnen. Valentina greift das Leitmotiv des Filmes in eigener Aussage auf: „Ich vermisse die Freiheit.“Draussen bleiben ist ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm über zwei junge Mädchen in einer kulturellen Kluft zwischen Verweigerung und Vernunft, Selbstbewusstsein und Identitätsfindung, Illusion und Realität. Die Kamera begleitet die beiden Freundinnen in ihrem Alltag, meist als stumme Beobachterin, manchmal auch mit der Stimme aus dem Off, die mit den Teenies in Dialog tritt und der Dokumentation so noch mehr Authentizität verleiht. Ob Wunschträume eines kleinen, afrikanischen Jungen, ein reicher Fußballprofi zu werden, persönliche Definitionen von Glück oder der ständig wiederkehrende, improvisierte Sprechgesang eines Jugendlichen, der dadurch sein Lebensgefühl auszudrücken versucht – typische Grundbedürfnisse des Menschseins werden im Filmverlauf immer wieder aufgegriffen und verleihen der Dokumentation eine nahezu philosophische Note. Außergewöhnliche Kameraperspektiven lassen die Szenen zu einem visuellen Genuss werden – mal finden sich die Zuschauenden als Zielobjekte hinter einem Fußballtor wieder, mal nehmen sie die groteske Position eines Schminkspiegels ein. Regisseur Alexander Riedel versteht sich darauf, die Mädchen gekonnt in Szene zu setzen. Er verschafft den Zuschauerinnen und Zuschauern eine einzigartig Einsicht in das Leben zweier Teenager, die sich in der Anonymität der Großstadt ihre eigene Welt aufgebaut haben. Das sind Einsichten in einen Münchner Alltag, die sich dem Publikum normalerweise verschließen. Draussen bleiben ist zu Recht Preisträger der Internationalen Hofer Filmtage und anderer Dokumentarfilmfestivals des vergangenen Jahres. Er ist eine schamlose, sozialkritische und realitätstreue Dokumentation zweier Jugendlicher mit Migrationshintergrund, die ihren Platz in der Gesellschaft noch nicht gefunden haben und daher ‚draussen bleiben’.
Draussen bleiben
Deutschland 2007, 84 min
Regie: Alexander Riedel
Produktion: pellefilm
- Erika Kovacsics: Mit den vier Spürnasen auf Indizienjagd
Erika Kovacsics: Mit den vier Spürnasen auf Indizienjagd
TKKG Das unheimliche Zimmer. Windows 2000/XP/Vista, 256 MB RAM, Pentium III 1,2 GHz, 3D Grafikkarte Geforce 2 mit 128 MB RAM oder vergleichbar, DirectX-kompatible Soundkarte. Festplattenbedarf 500 MB; USK: Freigegeben ohne Altersbeschränkung; 18,99 €
Wer kennt sie nicht, die beliebte Jugendkrimiserie TKKG, die in den 1980er Jahren per Hörspiel und Buch Einzug in sämtliche Kinder- und Jugendzimmer hielt?TKKG – das sind Tim, Karl, Klößchen und Gabi, vier erfolgreiche Jungdetektive, die mit Unterstützung von Hund Oskar jeden noch so kniffligen Kriminalfall meistern. Längst hat der Spielehersteller Tivola das Konzept der Detektivbande für seine Kindersoftware aufgegriffen. Seit 1997 sind in der TKKG-Computerspielreihe 15 erfolgreiche Adventure Games erschienen, die sich jeweils mit einem neu konzipierten Fall beschäftigen. Diesen gilt es zu lösen – zusammen mit den jungen Protagonisten. Das neueste Rätsel trägt den unheilschwangeren Titel ‚Das unheimliche Zimmer’ und reiht sich als Nummer 16 in die Abenteuer von TKKG ein. Nicht nur die altbekannte Titelmelodie zu Beginn des Spiels sorgt für einen Wiedererkennungseffekt – auch die einführende Vorgeschichte des Falls, die sowohl in Textform auf dem Display erscheint als auch vorgelesen wird, erinnert an die Hörspielserie: TKKG befinden sich auf einer Fahrradtour, als plötzlich ein Unwetter aufzieht. Die vier Jugendlichen beratschlagen, wiederum in Text- und Audioform für die Nutzerin bzw. den Nutzer ersichtlich, was zu tun ist. Nun gilt es, inmitten der einsamen Landschaft einen Unterschlupf für die Bande zu suchen. Gemäß dem Spieltitel stößt die Bande bald auf ein altes, verlassenes und mysteriös wirkendes Hotel, dessen Räumlichkeiten ein schauriges Geheimnis zu bergen scheinen. Die Indizienjagd beginnt. Dazu wird der Mauszeiger in eine Lupe umgewandelt. Sobald man ein Objekt in der Gegend betrachtet, erscheint ein Textfeld mit der jeweiligen Beschreibung, mitunter auch mit Hinweisen, die für den weiteren Spielverlauf hilfreich sind.
Stößt man auf ein aufzusammelndes Indiz, wandelt sich der Mauszeiger automatisch in eine Greifhand um, mit deren Hilfe man den Gegenstand in das Inventar aufnehmen kann. Die im Spiel integrierte Iconleiste bietet neben einer Auflistung des Inventars noch zwei weitere Anwendungsmöglichkeiten, auf die jederzeit zugegriffen werden kann: eine kurze, schriftliche Darstellung der aktuellen Situation, die jedoch keine Lösungsvorschläge offeriert und eine vogelperspektivische Übersicht der Orte, deren Zugang man sich im Spielverlauf selbst erschließen muss. Oft sind mehrere Ortswechsel nötig, um durch scharfsinnige Anwendung und Kombination der gesammelten Gegenstände immer weiter in den Kriminalfall vordringen zu können. Taktische Interaktion und Konversation mit anderen Charakteren des Spiels, seien es kostümierte Kinder, harmlose Dorfbewohner oder unheimliche Fremde, treiben die Handlung voran. Gelungene Grafiken und geschickt eingesetzte Soundeffekte begleiten das Geschehen. Nachwuchsdetektivinnen und -detektive werden ihre Freude an diesem kniffligen Rätsel haben, bei dem Taktik, Logik und Kombinationsgabe gefragt sind. Jedoch ist die Altersempfehlung von acht Jahren deutlich zu niedrig angesetzt. Es gibt keine Hilfestellung, sodass man angesichts der teils schier abwegigen Schlussfolgerungen schnell stecken bleibt. Zudem besitzt das Geheimnis um ‚Das unheimliche Zimmer’ eine leicht gruselige Komponente, denn TKKG bleiben nicht von der Konfrontation mit Friedhöfen und einem Monster verschont. Für Kinder ab dem Sekundarstufenalter, die Spaß am Rätseln haben, ist dieses Adventure Game jedoch sicher ein gelungener Zeitvertreib.
- Ilona Cwielong: „Ich sehe was, was du nicht siehst“
Ilona Cwielong: „Ich sehe was, was du nicht siehst“
Versteckt – Entdeckt! Der Konzentrationstrainer – Fantasy. Terzio 2008. Windows XP/Vista, Power Mac; Systemanforderung: Windows: P II Prozessor, 266 MHz/32 MB RAM; 20MB Festplattenspeicher; Grafikkarte: 800 x 600, 16-bit Farbtiefe; 24x speed CD-ROM-Laufwerk; Mac: 233MHz//32 MB RAM; 20MB Festplattenspeicher; Grafikkarte: 800 x 600, 16-bit Farbtiefe; 32768 Farben; 24x speed CD-ROM-Laufwerk; System Classic 9.1 oder höher, OS X 10.1 oder höher; USK: Freigegeben ab 6 Jahren; Preis: 14,95€
Der Computer- und Konsolenhype ist mittlerweile auch in die Kinderzimmer von Grundschülerinnen und Grundschülern eingedrungen. Eltern freuen sich, wenn der Markt mehr als nur ‚Killer-’ oder ‚Ballerspiele’ zu bieten hat. Terzio folgt dem Trend der Konzentrationsspiele und vermittelt den Kindern spielerisch Lesekompetenz. Versteckt – Entdeckt! Fantasy ist die dritte CD-ROM aus der Reihe, zu der die Vorgänger Das Geisterhaus und Die Schatzsuche gehören.Das Spiel ist aufgebaut nach dem Motto ‚Ich sehe was, was du nicht siehst’. Eine Weltraum-station, eine Ritterburg und eine Unterwasserwelt, eingebettet in 3D-Welten, warten darauf, von den Kindern ab sechs Jahren erforscht zu werden. Nachdem eine freundliche, deutlich sprechende Stimme ein gereimtes Rätsel vorgelesen hat, müssen die in dem Rätsel genannten Gegenstände, die in unterschiedlichen Erscheinungsformen dargestellt sind, in einem von 30 Bildern gesucht werden. Bei jedem Rätsel gibt es Gegenstände, die umgehend ins Auge springen, aber auch einige Gegenstände, zum Beispiel integriert im Dekor eines anderen Gegenstandes oder im Hintergrund angesiedelt, die etwas kniffliger zu finden sind. Hilfestellung zur Bedienung finden die kleinen Spielbegeisterten oben rechts in Form eines Fragezeichenbuttons, für das wiederholte Vorlesen von Reimen gibt es einen Ohrbutton. Allerdings gibt es keine Unterstützung von Seiten des Spiels, falls Gegenstände nicht gefunden werden. Die Kinder erhalten, nachdem sie einen Gegenstand gefunden haben, direkte Rückmeldung in Form von einer kleinen Animation mit Musik. Der gefundene Gegenstand wird in dem Rätsel, das zum Mitlesen in einem kleinen Textfeld erscheint, farblich abgesetzt. Die Sprache ist kindgerecht, fantasieanregend und spielerisch, zum Beispiel ist der Zahlenwert Zwei bildlich dargestellt als Augenzahl auf einem Würfel oder ‚ein Süßes Herz’ gelegt aus verschiedenen Süßigkeiten. In jeder Fantasiewelt muss zum Abschluss ein Rätsel gelöst werden, in dem Gegenstände aus allen Bildern der gespielten Welt aufgesucht werden müssen. Nachdem das Spiel durchgespielt wurde, kann es noch zweimal mit jeweils anderen Rätseln durchgespielt werden, wobei sich auch die Reime verändern. Das Spiel kann der ganzen Familie großen Spaß bereiten. Durch die Option, dass sich auch Spielerinnen und Spieler mit (noch) unzureichender Lesekompetenz die Reimrätsel immer wieder vorlesen lassen können, ist es auch schon für Grundschulkinder geeignet. Somit ist Versteckt – Entdeckt! Fantasy ein rundum gelungenes Spiel, das das Sprachgefühl, die visuelle Wahrnehmung und das logische Denken trainiert.
- Karl-Heinz Behr: Verführung zum Vorlesen
Karl-Heinz Behr: Verführung zum Vorlesen
„Es waren einmal zwei grimmige Räuber mit großen …“ „Lies richtig!“ „Es waren einmal drei grimmige Räuber mit kleinen roten Hüten und engen roten Mänteln …“ Der Dreijährige schlägt mit den Händen auf die Bettdecke: „Lies endlich richtig!“ „Es waren einmal …“ und natürlich hatten die Räuber große Hüte und weite Mäntel und beides war schwarz. Und der Kleine weiß das. Die drei Räuber (Ungerer 2007) ist sein Lieblingsbuch und er kann es auswendig. Und wenn er nicht immer aufpassen müsste, dass Papa nicht falsch vorliest, absichtlich, dann könnte er auch ruhig und müde und schläfrig werden.
Neuankömmlinge in der Welt und in der Sprache müssen darauf bestehen, dass Mond auch morgen noch Mond und schwarz weiterhin schwarz heißt. Das eben begonnene Verstehen der Welt mit Händen und Begriffen braucht eine gesicherte Basis. Schon dem anderthalbjährigen Kind „wird klar, dass einzelnen Reihen von Sprachlauten einzelne Bedeutungen zugeordnet sind; und bald auch, dass diese Bedeutung tragenden Laute nicht an bestimmte Situationen geknüpft sind, sondern allen gleichartigen Situationen angemessen sind“ (Zimmer 1986). Lewis Carroll sagt das so: „Aber ‚Glocke’ heißt doch gar nicht ein einmalig schlagender Beweis“, wandte Alice ein. „Wenn ich ein Wort gebrauche“, sagte Goggelmoggel in recht hochmütigem Ton, „dann heißt es genau, was ich für richtig halte – nicht mehr und nicht weniger.“ „Es fragt sich nur“, sagte Alice, „ob man die Wörter einfach etwas anderes heißen lassen kann.“ (Carroll 1963) Kleine Kinder ärgert das. Die Freude an Variationen, am Spiel mit Wörtern und Bedeutungen kommt später.Vorlesen ist eine Veranstaltung von Erwachsenen für Kinder, von Anfang an. Erwachsene erfinden die Geschichten und Bilder, Erwachsene wählen die Geschichten aus, die zu Büchern werden, Erwachsene suchen die Bücher aus und kaufen sie. Erwachsene lesen vor. Möglichst oft, möglichst täglich. Was bewegt Väter, Mütter, Onkels oder Omas Kindern vorzulesen? Die Gute-Nacht-Geschichte aus der eigenen Kinderzeit ist vielleicht noch in guter Erinnerung. Vielleicht soll am Ende des Tages Ruhe einkehren, Besinnlichkeit gar. Wo regelmäßig vorgelesen wird, gibt es dafür einen bestimmten Platz in der Wohnung, einen kuscheligen am besten. Alle sitzen so, dass während des Lesens die Bilder im Buch betrachtet werden können. Und Vorlesen hat seine bestimmte Zeit im Tagesverlauf, gehört zum Mittagsschlaf, zum Warten aufs Essen, zum abendlichen Einschlafen, je nachdem. Kinder mögen solche Rituale. Sie bieten Orientierung und bestärken Gemeinschaft. Vorlesen braucht Nähe. Ärger muss erst ausgeräumt sein, bevor wieder vorgelesen werden kann.
Der Tag geht zu Ende. Die Kinder liegen im Bett, erwartungsvoll, die Katze streckt sich auf der Bettdecke aus. Vorlesezeit: Wo die Wilden Kerle wohnen, Oh, wie schön ist Panama, Krokodil, Krokodil, Der glückliche Prinz, Die Regenbogenkobolde, Die kleine Hexe – der Geschichtenhunger der Kinder wird mit den Jahren nicht weniger. Immer wieder auf der Suche nach neuem Vorlesestoff geraten auch mal die Bücher aus der Kindheit des Vorlesers dazwischen: Peterchens Mondfahrt, Die dicke Dora oder Die Schule im Walde, die man nun beim besten Willen – also wirklich – nicht mehr vorlesen kann. Warum eigentlich nicht? Was ist ein gutes Vorlesebuch, was ist ein passendes? Monika Osberghaus legt ihre Auswahlkriterien für gute Bilderbücher dar. „Bei der Vorstellung des einzelnen Buches habe ich mich dann vor allem an seinen Wirkungsmöglichkeiten orientiert und an der Frage, was ein Kind wohl gerade umtreiben mag, das auf dieses spezielle Bilderbuch besonders stark reagiert.“ (Osberghaus 2006, S. 6) Warum also nicht Die Schule im Walde, wo der Große im nächsten Herbst in die erste Klasse kommt und der Kleine sich an Reimen begeistert? Was wirkt in Bilderbüchern und wie wirken sie? Wie immer in der Medienpädagogik kann mit Sicherheit nur festgestellt werden: Sie wirken. Die Medienpsychologen Michael Charlton und Klaus Neumann „wiesen nach, dass kindliche Bedeutungszuweisung an Figuren, Handlungsverläufe und Bildangebote in Bilderbüchern in entscheidendem Maße von den (auch medial geprägten) Sozialisationsbedingungen eines Kindes abhängen und dass Wirkungen von Bilderbüchern nicht direkt von Produktanalysen abgeleitet werden können“ (Thiele 2007, S. 9). Übersetzt heißt das: Ein Bilderbuch wie Königin Gisela von Nikolaus Heidelbach kann trotz Jugendbuchpreis und Empfehlung des Buchhändlers gähnende Langeweile auslösen, wenn das Thema, ‚Wer ist Be-stimmer im Kinderzimmer?’ gerade nicht aktuell ist. „Welche Fragen stellt dieses Buch, welche Antworten gibt es, welchen Trost und welche Art von Belebung? Welche Imaginationen entstehen durch die Bilder und Worte, und zu welchen Träumen liefern sie die Eingangsszenen?“ (Osberghaus 2006) Wie würden Kinder ihre Bücher auswählen, wenn sie es selbst und ganz alleine dürften? Man sollte das ausprobieren, wann immer es möglich ist, vielleicht durch gemeinsames Stöbern in Buchhandlungen und öffentlichen Büchereien. Ansonsten bleibt den Kindern nur die Wahl aus der Vorauswahl der Erwachsenen. „Das Bilderbuch entdeckt die Erwachsenen und vergisst die Kinder“, sagt Jens Thiele dazu. Würden Kinder in der Buchhandlung zu Wolf Erlbruchs Ente, Tod und Tulpe greifen oder zu Schwester von Jon Fosse/Aljoscha Blau, auch wenn das von der Jugendbuchjury 2007 empfohlen wurde? Wahrscheinlich nicht. Dennoch, solche Bücher stehen zu Recht im kindlichen Bücherschrank – Bücher, die über die aktuellen Fragen hinausweisen, die auch mal ablagern dürfen, bis die Zeit reif für sie ist und die den Dialog zwischen Kind und Erwachsenem brauchen, auch wenn das Ergebnis der Beschäftigung nur ist: Ach, so was gibt’s auch – solche Bilder, solche Geschichten.
Am Anfang waren Geschichten. „Die mündlich komponierten Dichtungen der Atoin Meto in Westtimor sind eine epische Literatur, die Themen der regionalen Geschichte tradiert. … Im rituellen Kontext entstehen mündliche Dichtungen als spontane Schöpfungen der Dichter-Sprecher aus dem Stegreif, als deren kreative Improvisation …“1 Oral Poetry – Mündliche Dichtung wird bis heute noch in manchen Kulturkreisen gepflegt. Erzählte Geschichten sind der Rohstoff für das Vorlesen „‚Erzähl uns doch eine Geschichte!’ bitten wir Papa. ‚Ja. Aber ihr müsst alles aufessen. Welche Geschichte wollt Ihr heute hören?’ ‚Die von der Prinzessin’, sage ich. Oder ich wünsche mir eine von den Arnold-Geschichten. Ronny will natürlich lieber die von den FBI-Agenten hören, die im underground arbeiten und sich mit „Unheil Hitler!“ grüßen. Es sind die vierziger Jahre und auch der Zweite Weltkrieg kommt in Vaters Geschichten vor. Ich liebe die Arnold-Geschichten.“ Der Komponist Arnold Schönberg erfand zum Mittagessen Geschichten, berichtet seine Tochter Nuria. „... Nur solange man aß, ging die Geschichte weiter. Hörte man auf zu essen, war auch mit dem Erzählen Schluss ... ‚Fertig? Aufgegessen? Die Milch ausgetrunken? So, dann geht die Geschichte morgen weiter. Bringt eure Teller in die Küche!’“ (Schoenberg Nono 2006, S. 36 ff.) Wer Geschichten erfindet, teilt mit, was ihn bewegt, was ihn interessiert, was er weitergeben möchte. Geschichten sind Informationen über die Welt ‚draußen’, die Kultur, in der sie leben. Und nebenbei erfahren Kinder, was Geschichten überhaupt sind, wie Geschichten erzählt werden, bei uns zu Hause, in dieser Kultur, erleben die unterhaltsame Seite der Sprache. „Der Papa fon Moni möchte in di Dinowelt, um Dinos zu erforschen. Er hat dafür ein Zauberor. Wen er dorschkukt, sit er di Dinos über al … Dabei ist er (in die) Geheimfalle der Dinos (gefallen). Monis Fater schtekt im Fangnez des feurigen Dinos. Der feurige Dino frist gar zu gern krose Menschen …“ „Kinder lieben Geschichten – denken sich welche aus – und vergessen sie irgendwann …“ (Haußner 2005). Johannes Haußner war sieben Jahre, als er die Dinogeschichte erfunden hat. Zum Vorlesen braucht es Geschichtenerfinder. Die bedeutendste Erfindung des letzten Jahrhunderts ist die elektronische Geschichtenerfindungsmaschine, das Fernsehen. Fantastische Abenteuer, Reisen und Berichte und unvorstellbare Bilder – mit offenen Augen und Mündern sitzen die Kleinen vor dem Apparat. Und die Freiheit steigert die Faszination: Kinder sind nicht mehr darauf angewiesen, dass Erwachsene Zeit und Lust haben, ihnen zu erzählen oder vorzulesen. Sie können sich innerhalb des Programms aussuchen, was sie interessiert. Unser kleiner Tomi-Ungerer-Drei-Räuber-Liebhaber suchte sich später in der Grundschulzeit Johann Lafers Kochsendungen aus, wenn niemand schaute. Der große Bruder verarbeitete in zig Wiederholungen American Werewolf – auf Video aufgenommen wird die Verfügbarkeit noch deutlich besser. Wie Geschichten erzählt werden, was spannend ist, welche Bildwelten vorstellbar und erwartbar sind – Kinder erfahren eine Menge über sich und die Welt von dieser Geschichtenerfindungsmaschine. Wenn sie Glück haben und sich ein bisschen auskennen, finden sie, was sie gerade umtreibt, Antworten, Trost, Belebung, Träume. Geschichten erzählen kann der Apparat wunderbar – nur, das ist nicht Vorlesen. Aber Vorlesen ist doch Kinderkram. Sobald die Kinder selbst lesen können, sind wir Erwachsenen ‚zum Glück’ dabei nicht mehr nötig, können nach dem Gute-Nacht-Kuss die Kinder auf ihre Bücher verweisen und in Ruhe Tagesschau und Tatort gucken. Vorlesezeit wird nicht mehr reserviert. Schwierig, wenn es nicht so klappt mit dem selber Lesen. Die Schule, die Lehrerinnen und Lehrer bemühen sich, aber wie das so ist mit dem Bemühen – manchmal reicht das nicht. Manche Kinder lesen trotzdem nicht. „Die Eltern sind schuld!“ „Zu Hause wurde nicht gelesen, vorgelesen schon gar nicht!“ Lehrer zählen diese Kinder zur eigenen Entlastung zu den „bildungsfernen Schichten“, aber die Aufgabe bleibt: Unsere Gesellschaft braucht kompetente Leserinnen und Leser, Betriebe brauchen lesekundige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ohne ausreichende Kenntnis der Schriftsprache ist halt auch kein Staat zu machen. Panische Berichte bezüglich mangelnder Lesefähigkeit kommen auch aus anderen Ländern. Eine US-Studie des National Endowment for the Arts study (NEA) stellt fest, dass das Lesen dramatisch abnimmt: „The NEA makes a convincing case that both children and adults are reading fewer books. ‘Non-required’ reading – i. e., picking up a book for the fun of it – is down 7 % since 1992 for all adults, and 12 % for 18-24 year olds.“ (Johnson 2008, S. 31) Und die schlimmsten sind die Jungen: „Aus dem Jahr 1999 datiert die interessanteste Studie zum Leseverhalten von Jungs, durchgeführt vom Institut für angewandte Kindermedienforschung IfaK. Danach lesen rund 55 Prozent aller Jungen im Alter zwischen zehn und 16 Jahren keine erzählende Literatur. Rund acht Jahre später sind die Zahlen noch niedriger.“ (Sommer 2007)
Die Forschungen von Michaela Ulich am Münchner Institut für Frühpädagogik zur Literacy-Erziehung scheinen die Perspektive der Lehrkräfte zu stützen: „Es ist eindeutig erwiesen, dass Leseförderung in den ersten Lebensjahren für den Spracherwerb und die Lesekompetenz sehr wichtig sind. Schon Drei- bis Sechsjährige entwickeln ihre Sprache ganz anders, wenn sie eine entsprechende Leseförderung erhalten. Leseförderung sollte man allerdings im weiteren Sinne verstehen. Ich benutze dafür den Begriff der Literacy-Erziehung. … Erzählkompetenz, Textverständnis, Abstraktionsvermögen. Schon in der frühen Kindheit gibt es lernende Literacy, kindliche Erfahrungen rund ums Buch, um Erzähl-, Reim- und Schriftkultur.“ (Ulich 2007) Michaela Ulich verweist darauf, dass allein schon das mehrmalige Vorlesen eines Bilderbuches den sprachlichen Lerneffekt bei sprachlich weniger kompetenten Kindern deutlich steigert. (Schraml 2007) Da man die Kinder, die nicht lesen können, nicht einfach vergessen kann, gibt es eine Fülle von Initiativen und Programmen zur Leseförderung. Es gibt in Baden-Württemberg im Oktober einen Frederick-Tag, bundesweit lesen Promis jährlich im November auf Initiative der Wochenzeitung Die Zeit und der Stiftung Lesen in Schulen und Kindergärten vor, der UNESCO-Welttag des Buches ist im Jahr 2008 am 23. April und die Stiftung Lesen will alle jungen Nicht- und Wenig-Leser mit dem Geschichten-Erfinder-Bastelwettbewerb, der Türkischen Bibliothek und dem Projekt Vorlesepaten oder mit der Initiative Lesestart zum Lesen verführen. Vom Frühsommer 2008 an will die Lesestart-Initiative über Kinderarztpraxen Lesesets an Eltern verteilen, die mit ihren Kindern zu den Vorsorgeuntersuchungen kommen (vgl. Bonewitz in diesem Heft). Und die Idee der Vorlesepaten scheint in Schulen anzukommen. Mitunter entstehen aber auch Panikprodukte wie die folgende Wettbewerbsausschreibung vom Februar 2008: kicken & lesen – das innovative Leseförderprojekt für Jungen: „Jungen sind unruhig, trotzig und unmotiviert. Und lesen ist ‚uncool’. Gängige Vorurteile, mit denen die Landesstiftung Baden-Württemberg und der VfB Stuttgart 1893 e. V. aufräumen wollen: … Jungen aus bildungsfernen Elternhäusern mit erschwertem Zugang zum Bildungssystem sollen durch Fußball zum Lesen motiviert werden.“2 Vielleicht haben aber gerade solche Umwege hin und wieder eine Chance: Wenn es gilt, die Gebrauchsanweisung des mp3-Players richtig zu verstehen, sich im Internet zurecht zu finden oder einen sinnvollen und witzigen Eintrag in einem Forum zu machen, wird mancher und manchem klar, lesen und schreiben können hilft. Verführung zum Lesen eben. Vielleicht sollte auch die Schule die Verführung zum Lesen ebenso wichtig nehmen wie das Lesetraining, vielleicht durch regelmäßiges Vorlesen.Erwachsene können sich ihre Vorleser kaufen. Das erste bestverkaufte deutsche Hörbuch war Sofies Welt von 1995. Der HörVerlag kam auf knapp 100.000 Exemplare. 7.000 bis 8.000 Hörbuch-Titel sind in Deutschland lieferbar und jährlich kommen etwa 800 Neuerscheinungen hinzu. Inzwischen werden jährlich fast 50 Millionen Euro Umsatz mit Hörbüchern in Deutschland erzielt, und der Anteil der Hörbücher am Gesamtumsatz des Buchhandels beträgt damit etwa zwei Prozent.3 Und dies sind lediglich die offiziellen Zahlen. Was an Kopien und Mitschnitten weitergegeben und angehört wird, ist sicherlich ein Vielfaches. Ein Novum in der deutschen Literatur: Peter Kurzeck hat im Herbst 2007 sein autobiografisches Werk Der Sommer, der bleibt lediglich erzählt. Es ist nicht in gedruckter Form erhältlich.
Im Auto das Hörspiel Der Schwarm anhören, sich beim Bügeln, Geschirr spülen oder einem Glas Wein Das Herz der Finsternis oder Tannöd von der vielstimmigen Monika Bleibtreu vorlesen lassen – Hörbücher scheinen Erwachsene ebenso zu faszinieren wie Kinder, die Nachmittage lang mit dem Ohr auf dem Kassettenrekorder Räuber Hotzenplotz, Benjamin Blümchen oder TKKG-Geschichten lauschen. Wir sind aufs Zuhören eingestellt: Im Radio, selbst im Fernsehen werden die Nachrichten vorgelesen, Ansprachen werden verlesen. Tief bewegt waren die Zuhörerinnen und Zuhörer einer Rede im Oktober 2007 in der Frankfurter Paulskirche. Vorgelesen wurden letzte Briefe von in Auschwitz ermordeten Deutschen: „Madame, … ich schreibe Ihnen dies aus dem Zug, der uns nach Deutschland bringt. Im letzten Moment habe ich einem Vertreter der Quäker 6.000 Francs und ein Armband mit Anhängern und ein Briefmarkenalbum zum Weitersenden an Sie übergeben. Heben Sie alles auf für den Kleinen und nehmen Sie zum letzten Mal unseren unendlichen Dank und die herzlichsten Wünsche für Sie und Ihre ganze Familie entgegen. Verlassen Sie nicht den Kleinen!“ Der ‚Kleine’ war Saul Friedländer, der bei seiner Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels die letzten Briefe seiner Eltern vorlas.Wer gerne liest, genießt es, Geschichten zu hören, glaube ich. Kindern sollte man diesen Genuss nicht vorenthalten. Faszinierend sind Kinder, die zuhören können: Aufmerksam, ganz aufs Hören konzentriert, mit großen Augen ins Leere schauend, inneren Bildern nachsinnend. Der Weg ins Herz ist weit geöffnet. Vorlesen braucht einen besonderen Raum, braucht Nähe, vielleicht gar Intimität. Vorlesen hat, ganz abgesehen von der Bedeutung für den Spracherwerb und die Lesekompetenz einen ganz eigenen Wert.Wir haben unseren Kindern vorgelesen, fast von Anfang an, fast täglich. Vom Maulwurf Grabowski, über Krabat, Grimms Märchen, Die Brüder Löwenherz, Schwabs Odyssee für Kinder bis zu Jan Graf Potockis Abenteuer in der Sierra Morena, bis weit ins Teenie-Alter. Bis wir nicht mehr abends vor dem Einschlafen am Bett saßen, die Tagesprogramme immer mehr ausein-ander liefen und wir keine gemeinsame Lese-Zeit mehr gefunden haben. Seitdem liest jeder in der Familie für sich. Schade eigentlich.
Anmerkungen
1 de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BCndliche_Dich-tung_der_Atoin_Meto [Zugriff: 06.07.2007]
2 Wer Genaueres erfahren möchte, auch über den Fortgang des Wettbewerbs, kann unter www.kickenundle-sen.de oder bei Dr. Margrit Wienholz, Landesinstitut für Schulentwicklung Baden-Württemberg, Tel: 0711/ 6642107 vielleicht fündig werden
3 vgl. www.hoerjuwel.de/ [Zugriff: 02.03.2008] - Sabine Bonewitz: Frühkindliche Bildung beginnt mit dem Vorlesen und mit Lesestart
Sabine Bonewitz: Frühkindliche Bildung beginnt mit dem Vorlesen und mit Lesestart
Für Goethe war es die Mutter des Lesens und für viele Entwicklungspsychologen ist es die beste Form der frühkindlichen Sprachförderung: Das VorlesenJe früher Menschen Zugang zu Büchern und zum Lesen finden, umso selbstverständlicher wird ihr Umgang damit sein. Das fängt schon bei Kleinkindern an. Seit den 90er Jahren haben Neurologen auf vielfältige Arten nachgewiesen, wie wichtig frühe Förderung ist, wie durch positive Anreize die Ausbildung des Gehirns aktiviert wird. So werden kontinuierlich neue Verzweigungen gebildet, die die Leistungsfähigkeit des Gehirns steigern. Das Vorlesen und Bilderbuch-Betrachten ist dabei ein idealer Weg, um die kognitive und sprachliche Entwicklung von Kleinkindern ab circa zehn Monaten optimal zu begleiten.
Vorlesen – eine der wichtigsten Lernmöglichkeiten
Das Vorlesen im Vorschulalter bzw. das gemeinsame Bilderbuch-Anschauen ist wohl eine der wichtigsten Lernmöglichkeiten für das Kind, stellt der Entwickungspsychologe Prof. Dr. Michael Charlton fest. Erstens sind sich das Kind und die vorlesende Person dabei meist sehr nahe, das Kind sitzt vielleicht auf dem Schoß der Mutter oder es schaut Kopf an Kopf zusammen mit einem Erwachsenen in ein Buch.
Körperliche und geistige Nähe werden so miteinander verbunden. Dann – zweitens – wird dabei gesprochen. Die Forschung zum Spracherwerb im Kindesalter belegt, dass das Sprechen-Lernen beim gemeinsamen ‚Lesen’ in einem Bilderbuch besonders intensiv gefördert wird. Drittens bildet das Vorlesen einen hervorragenden Anlass zum Erzählen: Das Kind lernt, wie man eine Geschichte so erzählen kann, dass andere sie verstehen können. Was man alles in welcher Reihenfolge erwähnen sollte (also wer was wann wie wo tut). Und schließlich – viertens – erkennt das Kind, dass es mit seinen Erfahrungen und Erlebnissen nicht allein ist. Wo gibt es Parallelen zwischen der vorgelesenen Situation oder Geschichte und den eigenen Erfahrungen des Kindes? Wünsche nach Selbständigkeit und Abenteuer, nach Geborgenheit und Schutz kennen die Figuren im Buch genauso wie das Kind selbst. Diese Erkenntnis hilft dem Kind, den eigenen Alltag aus der Distanz zu betrachten und schöne wie schlimme Erfahrungen einzuordnen und zu bewältigen.
Das Modell Lesestart
Sowohl dem literarischen, als auch dem pädagogischen Fachurteil kann sich die Stiftung Lesen nur aus vollstem Herzen anschließen. Seit mittlerweile 20 Jahren ist die Leseförderung in den verschiedensten Facetten die zentrale Aufgabe der Stiftung Lesen. Dabei haben Projekte für Kinder und Jugendliche oberste Priorität und sollen vor allen Dingen eines bewirken: die ‚Leselust’ bei Kindern steigern. Und das Vorlesen hat daran einen wichtigen Anteil.Wer mit Spaß die spannende Welt der Bücher entdeckt, wird davon nicht genug bekommen und meist viel leichter Zugang zum selber Lesen finden – einer unverzichtbaren Fertigkeit in unserer modernen Wissensgesellschaft. Ob im Internet, beim Prüfen der Sonderangebote im Supermarkt, beim Blättern in der morgendlichen Tageszeitung oder beim Schmökern auf dem Sofa – ohne Lesen geht das alles nicht.Vor diesem Hintergrund startet die Stiftung Lesen am 29. Mai 2008 gemeinsam mit vielen Unternehmen der Druck- und Papierbranchen, dem VDMA (Verband Deutscher Maschinen und Anlagenbau), mit Verlagen und Sozialinstitutionen die bundesweit größte Sprachförderungsmaßnahme für Kleinkinder: Lesestart – Die Lese-Initiative für Deutschland.Im Laufe von zwei Jahren können 500.000 Familien in ganz Deutschland mit einem kostenlosen Lesestart-Set ausgestattet werden. Das erhalten die Eltern von einjährigen Kindern bei Kinder- und Jugendärzten im Rahmen der U6-Vorsorgeuntersuchung. Im Freistaat Sachsen läuft seit November 2006 mit großem Erfolg das Pilotprojekt, das vom Lehrstuhl für Medienpädagogik und Weiterbildung der Universität Leipzig unter der Leitung von Prof. Dr. Bernd Schorb wissenschaftlich begleitet wird. Die ersten Ergebnisse bestärken die Initiatoren darin, dass in Lesestart eine echte Chance liegt, um Eltern, egal welcher Herkunft und Bildung, zu erklären, wie wertvoll das (Vor-)Lesen für die Förderung ihrer Kinder ist. Laut der Studie, die das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) in Auftrag gegeben hat, haben zehn Prozent der sächsischen Eltern angefangen, ein Bilderbuch mit ihren kleinen Kindern anzuschauen. Eine Sache, die sie zuvor nie gemacht haben, und 30 Prozent nehmen sich im Familienalltag nun viel öfters Zeit fürs Vorlesen. Kleine Kinder nehmen Bilderbücher mit all ihren Sinnen wahr, sie begreifen sie im wahrsten Sinn des Wortes. Denn das ‚Ding’ mit den bunten Seiten kann man in die Hand nehmen, dran knabbern, in die Luft werfen, Türme bauen, Seiten umblättern und vor allem, man kann darin die Sachen wiedererkennen, die einem Tag für Tag begegnen. Dabei ist besonders wichtig, dass die oder der Vorlesende – ob Eltern, Großeltern oder ältere Geschwister – das, was auf den Bilderbuchseiten zu sehen ist, sprachlich begleitet, erzählt, was da zu sehen ist, die Geschichte langsam und packend vorliest. Über dieses dialogische Kommunizieren lernt das kleine Kind die Melodie und den Rhythmus der Sprache kennen. Ohne dass sich die Eltern darüber bewusst sind, setzen sie auf diese Weise das um, was Fachleute „Literacy-Erziehung“ nennen. Diese spielerische Heranführung von Kleinkindern an Sprache und Bücher lässt sich anschaulich in fünf Bausteine aufgliedern: „Fühl mal“, „Schau mal“, „Hör mal“, „Mach mit“ und „Das kann ich auch“.
Vorlesen ist ein ganzheitliches Erleben, bei dem jeder Baustein einen anderen Sinn anspricht: „Fühl mal“ zielt auf den Tastsinn ab, der besonders durch „Fühlbücher“ angeregt wird, und „Schau mal“ berücksichtigt, was die Kinder wahrnehmen und erkennen. „Hör mal“ umreißt die phonologische Entwicklung, die Lautmalerei durch Reime, Lieder oder Singspiele, „Mach mit“ geht auf die aktive Beteiligung des Kindes ein, die besonders durch so genannte Wimmelbilderbücher und Pop-up-Bilderbücher mit beweglichen Elementen angeregt wird. Mit „Das kann ich auch“ wird dem Nachahmungstrieb Rechnung getragen, der Kindern naturgemäß in die Wiege gelegt ist. Wenn Eltern selbst lesen, in der Zeitung blättern und Bücher einen festen Platz im Alltag haben, werden Kinder das ganz automatisch übernehmen und nachmachen. Diese Elemente verdeutlichen, wie einfach, selbsterklärend und wirkungsvoll Vorlesen für Kleinkinder ist. Und der große Spaß, den das Vorlesen allen Beteiligten bringt, stellt sich ganz von alleine ein.
Aufs Vorlesen kommt es an
Für Prof. Dr. Stefan Aufenanger, Leiter der Arbeitsgruppe Medienpädagogik an der Universität Mainz und wissenschaftlicher Direktor der Stiftung Lesen, ist das Vorlesen der erste Schritt, um Kinder auf einen selbstbewussten und bereichernden Umgang mit anderen Medien vorzubereiten. Allerdings ist auch das ‚Wie?’ nicht ohne Bedeutung. Denn im frühen Alter spielen nicht Texte und Bilder eines Buches eine besondere Bedeutung, sondern das Vorlesen selbst. Es handelt sich ja um eine Kommunikationssitua-tion und gibt damit auch Anregungen für das beteiligte Kind, wie Kommunikation organisiert werden kann. Jedoch hängt genau dies von der Art und Weise des Vorlesens ab. Es lassen sich zwei Formen unterscheiden: die geschlossene und die offenen Form beim Vorlesen. Die geschlossene Form ist durch eine sehr einseitige Kommunikation der Vorlesenden gekennzeichnet, die sich rein an dem Buch orientiert und dem Kind wenig Raum für Fantasie und Dialog lässt. Die offene Form eröffnet dagegen einen Dialog mit dem Kind über die Geschichte des Buches und sieht eher das Gespräch darüber als wichtig an. Lesestart möchte mit seinen Materialien den Eltern genau diese Perspektive aufzeigen und sie dazu anregen, sich dieser Form des Vorlesens anzunehmen. So lernt das Kind, dass Bücher nicht nur zum Lesen da sind, sondern Kommunikation ermöglichen. Damit bekommen Medien den Status als Kommunikationsmittel und das Kind kann lernen, Medien angemessen in Kommunikationssituationen einzubeziehen.
Ausführliche Informationen:
publikationen
- Amman, Senta/Kegel, Dietmar/Rausch, Bernhard/Siegmund, Alexander: Erfolgreich präsentieren. Ein Praxistraining für Schule und Ausbildung.
Amman, Senta/Kegel, Dietmar/Rausch, Bernhard/Siegmund, Alexander: Erfolgreich präsentieren. Ein Praxistraining für Schule und Ausbildung.
Überall im Leben begegnen einem Situationen, in denen man seine Ideen, sein Wissen, seine Arbeitsresultate und sich selbst optimal vor anderen präsentieren muss. Ob Vorträge in der Schule, Referate im Studium oder Projektpräsentationen im Beruf – erfolgreich sind letztendlich nur diejenigen, die ihre Inhalte für ihr Publikum interessant aufbereiten und dabei selbstbewusst und überzeugend auftreten. Das Trainingsbuch möchte den Weg für eine erfolgreiche Präsentation weisen. Was ist bei der Planung zu beachten? Warum ist die Zuhörerinnen- und Zuhörerorientierung des Vortrags so bedeutend? Wie gehe ich bei der Informationsrecherche vor? Was ist beim Aufbau und der Gestaltung eines Referats zu beachten?
Neben den Antworten auf diese Fragen gibt es gleichzeitig auch praktische Hinweise zum richtigen, angemessenen Einsatz von auditiven, visuellen, audiovisuellen und haptischen Medien. Darüber hinaus finden sich Tipps für eine ausdrucksstarke Körpersprache, die angemessene Kleidung für eine Präsentation und was gegen das allseits bekannte Lampenfieber hilft. Eine beiliegende CD-ROM enthält Musterpräsentationen, Videosequenzen, Texte und Lösungsvorschläge. Praxisnah und mit vielen hilfreichen Tipps ist das Trainingsbuch insbesondere für Schülerinnen und Schüler, Auszubildende sowie Studentinnen und Studenten empfehlenswert.
- Bilden, Helga/Dausien, Bettina (Hg.): Sozialisation und Geschlecht. Theoretische und methodologische Aspekte.
Bilden, Helga/Dausien, Bettina (Hg.): Sozialisation und Geschlecht. Theoretische und methodologische Aspekte.
Es ist kaum zu übersehen: In der Öffentlichkeit, im medialen Zirkus haben geschlechtsspezifische Zuschreibungen Hochkonjunktur. Von schlauer Populärwissenschaft in den Nachrichtenarchiven der E-Mail-Anbieter, über Fakten und Meinungen in Kultur- und Wissensrubriken der Wochenzeitschriften bis hin zu den humorähnlichen TV-Plattitüden eines Mario Barth – wir wissen: Männer sind nun mal Machos, sozusagen von Natur aus, die Frau an sich hingegen feinfühlig, shopping-süchtig und ein Fußballmuffel! Nun ist das selbstverständlich alles nicht so einfach und glücklicherweise gibt es auch seriösere Akteurinnen und Akteure der Wissensproduktion, die sich mit dem Thema Geschlecht befassen. Gemeinhin galt neben den Naturwissenschaften vor allem die Sozialisationsforschung als Austragungsort eines Diskurses darüber, wie der Mensch zum geschlechtlichen Wesen wird und was dies an Konsequenzen mit sich bringt. Helga Bilden und Bettina Dausien haben in dem von ihnen herausgegebenen Band Sozialisation und Geschlecht einen Versuch unternommen, die Diskussion um Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Sozialisation wieder neu aufzugreifen.
Sozialisation und Geschlecht – ein problematisches Verhältnis
Neu ist die Behandlung dieser Beziehung vor allem vor dem Hintergrund einer von den Herausgeberinnen konstatierten und seit den 1990er Jahren zunehmenden Abkehr von der geschlechtsspezifischen Sozialisationsforschung. Diese beruhe auf den Irritationen des „klassischen Sozialisationsparadigmas“ durch poststrukturalistische Denkansätze: Die Untersuchung geschlechtsspezifischer Bedingungen von Sozialisation vernachlässige, so die Kritik, dass auch ‚Geschlecht’ lediglich ein diskursiver Effekt, das heißt, in historisch-gesellschaftlichen Verhältnissen entstanden ist. Der zu untersuchende Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Sozialisation, die Dichotomie der Geschlechter, wird dadurch von der Forschung unkritisch (re-)produziert, statt das Phänomen Geschlecht im Kontext seiner sozialen Konstruktion und Genese zu untersuchen. Infolge dieser Kritik, so die Herausgeberinnen in Anlehnung an Andrea Maihofer, sei es zu einer Problematisierung gängiger Begriffe wie „weibliche/männliche Geschlechtsrolle“, wie „geschlechtsspezifisch“ oder „Identität“ gekommen, die gleichsam eine Tabuisierung des Themas mit sich brachte (vgl. Maihofer 2002). Vor diesem Hintergrund will die Publikation, basierend auf Beiträgen zu einer Klausurtagung zum selben Thema, die mit Sozialisation und Geschlecht in Beziehung stehenden Diskurse, theoretischen Perspektiven und methodischen Ansätze aufarbeiten und weiterentwickeln. Damit soll einerseits die Kritik am Sozialisationsparadigma berücksichtigt, andererseits aber das Thema Geschlecht wieder in die aktuelle Sozialisationsforschung integriert werden.
Multidisziplinäre Annährungen an ein vieldimensionales Thema
Der Band versammelt Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen (Soziologie, Psychologie, Erziehungswissenschaft) und „Denktraditionen“ (Kritische Theorie, Psychoanalyse, Sozialkonstruktivismus, psychologische Subjekttheorien, soziologische Gesellschaftstheorien, Praxistheorien et cetera). Zudem geht er auf unterschiedliche methodische Ansätze ein. Die Beiträge stellen dabei neben historischen Überblicken über den Verlauf der Forschung und Theorie der Geschlechtssozialisation auch neuere Ansätze vor. So erörtert Bettina Dausein beispielsweise ihren Ansatz der biografischen Konstruktion von Geschlecht. Dieser versucht, die im Sozialisationskonzept relativ streng getrennten Ebenen Individuum und Gesellschaft sowohl konzeptionell als auch methodisch zu verbinden, wobei „Produkt und Prozess“ der Konstruktion von Geschlecht in der Sozialisation als nicht isoliert zu verstehende Aspekte der Sozialisation begriffen werden. Helga Kelle diskutiert den kulturanalytischen Ansatz ethnografisch-konstruktivistischer Forschungen und Jutta Hartmann erläutert diskurstheoretische Zugänge zum Thema „Subjektkonstitution entlang der Grenzen von Geschlecht, Sexualität und Generation“. Beide gehen damit auf die Analyse der Konstruktion von Geschlecht in alltäglichen Interaktionen innerhalb bestimmter Kulturen oder Gesellschaften ein.
Dabei wird deutlich, dass Geschlecht als dynamisches Konstrukt begriffen werden muss: (Geschlechts-)Sozialisation ist kein einseitiger Prozess. Rollen werden nicht lediglich aufgezwängt und dann eins zu eins umgesetzt. Stets kommt es zu einer je individuellen Ausgestaltung der verfügbaren Rollen durch das Subjekt, die wiederum Kultur und Gesellschaft rückwirkend zu modifizieren vermag. Dies bedeutet auch, dass das, was ‚Geschlecht’ in einer Kultur bedeutet, infrage gestellt werden kann und muss. Die Hegemonie einer heteronormativen, androzentristisch geprägten Zweigeschlechtlichkeit ist nicht ohne Alternative, sondern steht neben anderen geschlechtlichen Existenzweisen, die sich beispielsweise einer klaren Zuordnung männlich/weiblich entziehen – sei es durch Verhalten oder körperliche Beschaffenheit. Neben diesen begriffs- und gesellschaftsanalytischen Dimensionen der Debatte um Geschlecht werden auch entwicklungspsychologische (Hanns-Martin Trautner) und pädagogische (Carol Hagemann-White) Perspektiven berücksichtigt. Sie zeigen, wie unterschiedliche sozialisationstheoretische Annahmen Strukturen und Verhaltensweisen von Personen in Lehr- und Lernumfeldern prägen und welche Alternativen dazu möglich sind.
Breite statt Tiefe
Besonders hervorzuheben ist bei all dem die gelungene Zusammenführung verschiedener Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die kohortenspezifisch je andere geschlechtsspezifische und akademische Sozialisationshintergründe einbringen. Dieser Versuch einer Zusammenfassung der Debatte um Sozialisation und Geschlecht wird von den Herausgeberinnen allerdings explizit und wohl-weislich bescheiden formuliert. Sie beanspruchen nicht, die diskursive Landschaft in allen Facetten abzubilden. Auch wenn dies wünschenswert (und an der Zeit) wäre, kann es von einem Tagungsband vielleicht auch nicht erwartet werden. Bedauernswerterweise wird allerdings – sogar bewusst – gerade auf einen Aspekt kaum eingegangen, der weitreichende Auswirkungen auf die Debatte um Geschlechtssozialisation besitzt: Unbeleuchtet bleibt die Auseinandersetzung darüber, „welche Bedeutung biologische Forschung bzw. die Dimension der biologischen Verfasstheit menschlicher Individuen für die Sozialisationsforschung hat und welche innovativen, nicht biologisierenden Konzepte entwickelt werden können, um diese Perspektive in aktuelle sozialisations- und/oder geschlechtertheoretischen Ansätze einzubeziehen.“ (Einleitung, S. 14)
Bei aller Ausschnitthaftigkeit und Schwerpunktsetzung der Beiträge gelingt es den Herausgeberinnen dennoch, Problematiken bei der Erforschung eines Zusammenhangs zwischen Sozialisation und Geschlecht vor dem Hintergrund der neueren Geschlechterforschung deutlich zu machen. Ohne vor „prinzipiellen Schwächen des Sozialisationskonzepts“ zu kapitulieren, werden Probleme als Herausforderungen an die Sozialisationsforschung verstanden und versucht, konstruktiv anzugehen. Vor allem für Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie allgemein an der Geschlechtsthematik Interessierte ist der breite, inhaltlich vielfältige Überblick daher von Interesse. Und auch wenn die aufgeworfenen Problematiken nicht von allen Beiträgen befriedigend – das heißt vor allem: konstruktiv – gelöst werden, ermöglichen die Herausgeberinnen doch wichtige Einblicke in die aktuelle Debatte um Theorie und methodische Untersuchung der Geschlechtssozialisation. Darüber hinaus beteiligen sie sich erfolgreich daran, dem Thema „Geschlecht“ – neben an-deren zentralen sozialen Kategorien – wieder mehr Gewicht zu verleihen und auf die Agenda der Sozialisationsforschung (zurück) zu heben.
Literatur
Maihofer, Andrea (2002). Geschlecht und Sozialisation. Eine Problemskizze. In: Erwägen Wissen Ethik, 13, 1, S. 13-26
- Görl, Carmen: Computervermittelte Kommunikation. Kulturelle und sprachwissenschaftliche Aspekte.
Görl, Carmen: Computervermittelte Kommunikation. Kulturelle und sprachwissenschaftliche Aspekte.
Im Zeitalter der Globalisierung schreitet die Vernetzung immer weiter voran. Auch vor der Kommunikations- und Informationstechnologie macht sie nicht Halt – immer mehr Menschen haben Zugang zu Computer und Internet. Die neuen Medien heben zeitliche und räumliche Barrieren auf; im sogenannten global village treten Menschen aus aller Welt miteinander in Kontakt, um zu kommunizieren. Das Internet ist zu einer eigenen Welt geworden, hat eine eigene Sprache, eigene Sitten, eine eigene Kultur. Doch Kultur existiert nicht ohne Kommunika-tion und Kommunikation nicht ohne Kultur – was der Kulturanthropologe Edward T. Hall schon seit Jahren predigt, greift Carmen Görl in ihrer Publikation auf. Sie stellt Aspekte der mündlichen Kommunikation denen der computervermittelten Kommunikation gegenüber und bringt diese mit diversen Theoretikern der Interkulturellen Kommunikation in Zusammenhang – neben Hall führt sie auch die Klassiker Hampden-Turner, Hofstede sowie dessen Schüler Trompenaars an. Deren kulturelle Dimensionen sollen helfen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten einzelner Kultursysteme herauszukristallisieren und dienen Görl dann auch als Grundlage ihrer Untersuchung von deutschen und französischen Newsgroups.
So lässt sich das typische Kommunikationsverhalten deutscher Internetnutzerinnen bzw. -nutzer analysieren, die sich in Newsgroups mit anderen Debattierfreudigen über die verschiedensten Themen austauschen: Sie äußern sich klarer, offener und wortreicher als die Diskussionsbeteiligten aus der Grande Nation – so entstehen allerdings auch häufiger Konflikte mit denselbigen. Dieses Untersuchungsergebnis lässt sich laut Autorin nicht nur auf das Kommunikationsverhalten Deutscher im virtuellen, sondern auch im realen Leben übertragen. Eine Erklärung bietet die Hall’sche Kulturdimension des Kontextbezugs, der bei der deutschen Kultur relativ schwach ausgeprägt ist: Deutsche setzen beim Empfänger weniger Informationen und Hintergrundwissen voraus und bevorzugen daher einen expliziten, verbalen Kommunikationsstil. Doch obwohl Regeln, Sitten und Normen der jeweiligen Kultur deren spezifisches Kommunikationsverhalten im Internet erheblich beeinflussen, reichen die bisherigen Modelle der kulturellen Dimensionen kaum aus, um die bisher wenig erforschte, computervermittelte Kommunikation zu untersuchen. Carmen Görl verknüpft in ihrer reichhaltigen Publikation jedoch nicht nur das beliebte Medium Internet mit komplexen Disziplinen wie der Sprach-, Kultur-, und Kommunikationswissenschaft, sondern bietet auch zahlreiche Ansätze für weiterführende empirische Arbeiten.
- Hafner, Verena: Politik aus Kindersicht. Eine Studie über Interesse, Wissen und Einstellungen von Kindern.
Hafner, Verena: Politik aus Kindersicht. Eine Studie über Interesse, Wissen und Einstellungen von Kindern.
Kinder und Politik, das passt nicht zusammen. Oder vielleicht doch? Was bedeutet Kindern Politik? Mit einer schriftlichen Befragung von Kindern der vierten und siebten Klasse (Hauptschule und Gymnasium) wollte Verena Hafner der Frage, „Wie nehmen Kinder Politik wahr und wie bewerten sie diese?“, auf den Grund gehen. Dabei stellt sie einerseits fest, dass die meisten Kinder mit Politik im eigentlichen Sinne nicht viel anfangen können. Andererseits interessieren sie sich jedoch für politische bzw. gesellschaftlich relevante Themen wie zum Beispiel Terror und Krieg oder Umwelt.
Die Autorin stellt fest, dass der Grundstein für „das spätere politische Denken und spätere politische Orientierungen“ in der Kindheit gelegt wird. Bei der Wahrnehmung von und Einstellung zu Politik spielen auf der einen Seite das Elternhaus, auf der anderen Seite aber auch die Medien eine Rolle. So ist das Wissen über und Interesse für Politik bzw. politische Themen größer, wenn im Elternhaus über Politik gesprochen wird und/oder Me-dienangebote mit politischen Inhalten rezipiert werden. Während jedoch der Austausch über Politik mit den Eltern eher eine negative Einstellung zu Politik im Allgemeinen unterstützt, stehen Kinder, die sich in den Medien über Politisches informieren, Politik eher positiv gegenüber.
- Kloock, Daniela: Zukunft Kino. The End Of The Reel World.
Kloock, Daniela: Zukunft Kino. The End Of The Reel World.
Die Digitalisierung werde das Kino stärker verändern als jede andere technische Innovation, sagen die einen; die anderen gehen davon aus, dass auch in Zukunft nicht die Bilder, sondern die jeweilige Geschichte über Erfolg oder Misserfolg eines Films entscheiden. Tatsache ist jedenfalls, dass eine Ära zu Ende geht, wenn Filme nicht mehr auf riesigen Spulen, sondern in digital komprimierter Form kursieren. Herausgeberin Daniela Kloock gab ihrer Aufsatzsammlung daher den spielerischen Untertitel The End Of The Reel World (Das Ende der Rollenwelt).
Zukunft Kino heißt das Buch, was ja durchaus eine gewisse Zuversicht vermittelt. Nicht alle Autorinnen und Autoren teilen diese Haltung, wobei die größte Skepsis interessanterweise im Interview mit einem künstlerischen Handwerker zur Sprache kommt: Der vielfach ausgezeichnete Kameramann Benedict Neuenfels, bekannt geworden durch seine Bildgestaltung verschiedener Filme von Dominik Graf (Der Skorpion, Der Felsen), fürchtet um den „sinnlichen Zugang“ etwa zu den Gesichtern der Schauspielerinnen und Schauspieler; er glaubt, digitalen Bildern mangele es an „Spirit“. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie in einer Diskussion zwischen Neuenfels und Peter Greenaway (Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber) zwei unversöhnliche Standpunkte aufeinander prallten: Der Regisseur spricht in seinem Beitrag von der „Tyrannei der Kamera“ und möchte das Gerät am liebsten abschaffen; und die Darstellerinnen und Darsteller gleich mit. Unter solchen Bedingungen wäre es um die Zukunft des Kinos dann doch eher schlecht bestellt. Aber so weit wird es ohnehin nicht kommen; zumindest nicht so rasch. Dafür sorgen nicht zuletzt Bücher wie dieses, das schon allein durch die Aufmachung große Lust auf Kino weckt. Vierhundert große und kleine Fotos quer durch alle Genres und Zeiten sorgen dafür, dass man nie vergisst: Film ist ein Bildmedium, das erst durch die Komposition seinen großen Reiz entfaltet.
17 Autorinnen und Autoren, unter ihnen einige der namhaftesten Filmtheoretiker (Thomas Elsaesser, Georg Seeßlen, Norbert Grob), versuchen, diesen Reiz zu erfassen und zu beschreiben. Ihnen gegenüber stehen die Praktiker: Geschickt mündet die Binnendramaturgie des Buches in die Befragung von Regisseuren wie Edgar Reitz (Heimat) oder Tom Tykwer (Lola rennt). Nur eine Spielerei, aber auch Ausdruck der Liebe zum Detail ist die grafische Gestaltung: Jedes der sechs Kapitel ist in einer anderen Farbe gehalten. Die einzelnen Bereiche bieten unter anderem eine Einführung in Historie und Technologie, suchen nach der Seele des Kinos, beschreiben die Wechselwirkung zwischen Film und interaktiven Bildschirmmedien (Spielekonsole, Computer) oder feiern das Kino als Ort soziokultureller Erlebnisse. Vieles ist Theorie, anderes Liebhaberei: Natürlich richtet sich das Buch vor allem an Menschen, die den Kinofilm nicht bloß als Mittel des Zeitvertreibs betrachten. Wem es relativ egal ist, dass das Medium durch die Digitalisierung „arbiträr manipulierbar“ ist, wird mit einigen Aufsätzen wenig anfangen können. Die Hommage von Norbert Grob an den ‚film noir’ oder Herbert Schwabs Liebeserklärung an das Kino der Effekte sind allerdings durchaus sinnliche und handfeste Beiträge.
- Landesmedienzentrum Baden-Württemberg (Hg.): Ganztagsschule: Der kürzeste Weg zur Medienkompetenz?!
Landesmedienzentrum Baden-Württemberg (Hg.): Ganztagsschule: Der kürzeste Weg zur Medienkompetenz?!
Kinder und Jugendliche wachsen zweifelsohne in einer medialisierten Umgebung auf. Hier bietet gerade die Ganztagsschule Chancen, die Medienkompetenz von Jungen und Mädchen auszubauen. Doch wie lassen sich medienpädagogische Angebote am besten in den Alltag von Ganztagsschulen, aber auch anderen Schulformen, integrieren?
Die Publikation präsentiert Ergebnisse aus dem baden-württembergischen Projekt „Multimedia im Rahmen von Ganztagsangeboten an Schulen“. Neben grundlegenden Gesichtspunkten der Medienpädagogik und -bildung werden schulisch erprobte Praxisbeispiele Schritt für Schritt aufbereitet. Vom Dokumentarfilm über Schulradio bis hin zum Medienatelier – die vorgestellten Konzepte bieten zahlreiche Anregungen und versprechen Erfolg. Im Serviceteil finden sich außer Mustervorlagen auch Kontaktadressen zum Austausch und zur Kooperation mit beteiligten Schulen sowie medienpädagogischen Einrichtungen, die die Publikation als Gestaltungshilfe modernen Medienunterrichts abrunden.
- Schierl, Thomas (Hg.): Prominenz in den Medien.
Schierl, Thomas (Hg.): Prominenz in den Medien.
Sie sind allgegenwärtig, alltäglich und so manchem bzw. mancher näher und vertrauter als der eigene Freundeskreis: Prominente. Ob neue Topmodels oder alte Stars im Dschungel, deutsche Sternchen oder internationale Bekanntheiten, sie alle sind Dauergäste in unseren Medien. In der Forschung dagegen sind sie eher selten Gegenstand des Interesses. Das veranlasste Thomas Schierl vom Institut für Sportpublizistik an der Deutschen Sporthochschule Köln (dshs) 2005 dazu, ein Forschungsprojekt zum Thema Prominenz zu initiieren: den Workshop „Stars, Helden und Möchtegerne“.
Die Vorträge und Diskussionen dort fand der Wissenschaftler so mitteilenswert, dass er sie gleich im Reader „Prominenz in den Medien“ abdrucken und veröffentlichen ließ und damit für Wissenschaft, Studierende und Interessierte das erste grundlegende Werk über Prominenz vorlegte. Auf 359 Seiten und in 14 Aufsätzen beschäftigen sich verschiedene Autorinnen und Autoren mit Berühmtheiten und beleuchten dabei alle denkbaren Facetten: Prominenz früher und heute, Prominenz als ökonomischer Faktor, juristische Sichtweisen auf Prominente, „Produktlebenszyklus“ und „Halbwertszeit“ von Prominenten, Stars der Kinder, Beziehung von Fans zu ihren Prominenten, Prominenz von Sportlerinnen und Sportlern und viele weitere. Umfassend und verständlich befassen sich die Aufsätze mit dem Phänomen Prominenz, stellen Studien vor, diskutieren Thesen und bieten ausführliche Linklisten. Ein interessanter Einstieg in das Thema – aus einer bisher gänzlich unprominenten Perspektive.
- Schultz, Tanjev: Geschwätz oder Diskurs? Die Rationalität politischer Talkshows im Fernsehen.
Schultz, Tanjev: Geschwätz oder Diskurs? Die Rationalität politischer Talkshows im Fernsehen.
fältige und oft anspruchsvolle Erwartungen an die politische Kommunikation, an das Angebot der Medien und den Zustand der Öffentlichkeit zirkulieren, ist (…) ein Faktum.“ (Einleitung, S. 15) Inwieweit diese Erwartungen in politischen Talkshows erfüllt werden, untersucht Tanjev Schultz anhand der vier Polit-Talk-Formate Christiansen, Berlin Mitte, 19:10 und Presseclub. Diese klopft er auf ihre Themenagenda und Teilnehmerstruktur ab und unterzieht die Gesprächs- und Argumenta-tionsstrukturen einer Analyse. Dadurch nähert er sich der über allem stehenden Forschungsfrage nach der Rationalität und damit der Rechtfertigung des Fernsehformats Polit-Talk. Er stellt schließlich fest, dass diese zwar vorhanden ist: Obschon der Sender primär am ökonomischen Erfolg einer Sendung entlang kalkuliert und der einzelne Gast eigene Interessen verfolgt, kommt es dennoch immer wieder zu echten diskursiven Momenten.
Die Analyse bringt aber auch an den Tag, worin die Schwachstellen der Polit-Talks bestehen, nämlich beispielsweise in zu großen Gesprächsrunden. Diese verlangen eine stringente, kritische Moderation, was aber oftmals schon deshalb nicht gelingt, weil die Redeanteile der Gäste möglichst im Gleichgewicht sein sollten. Eine politische Talkrunde im Fernsehen steht und fällt jedoch mit der Moderation. Deshalb empfiehlt der Autor, die Rolle der Moderatorinnen und Moderatoren als kritische und kompetente Journalistinnen bzw. Journalisten auszubauen sowie die journalistischen Anteile zu erhöhen, zum Beispiel durch Einspielfilme oder Wechsel von Einzel- und Gruppeninterviews. Dadurch könnten der Verlauf der Diskussion sowie die Informationen, die beim Publikum ankommen, besser gesteuert werden.
kolumne
- Jürgen Bofinger: Nachhaltigkeit – ein frommer Wunsch?
Jürgen Bofinger: Nachhaltigkeit – ein frommer Wunsch?
Noch vor kurzem (und immer wieder in Wellen) waren jugendliches Medienverhalten, (gewaltfördernde) Medienwirkungen, übermäßiger Medienkonsum, Medien in der Schule und der Jugendarbeit, Mediendidaktik und -pädagogik Topthemen in der öffentlichen Diskussion, in Verwaltungen und Politik. Folgerichtig wurden Modellvorhaben mit beachtlicher finanzieller Ausstattung aufgelegt, aus denen man Schlüsse für das weitere Vorgehen ziehen wollte. Mit zeitlichem Abstand kommt man jedoch zu einem ernüchternden Urteil.
Ja, es stimmt: Viele Modellvorhaben sind heute noch vorzeigbare Glanzlichter. Aber ihre konsequente Weiterentwicklung und Breitenwirkung bleiben in der Regel hinter den Hoffnungen und Erwartungen zurück. Ihre Nachhaltigkeit ist begrenzt.Vielen Auftraggeberinnen und Auftraggebern – egal, ob aus Politik, Verwaltung oder Wirtschaft – sind schnelle, vorzeigbare und öffentlichkeitswirksame Erfolge wichtiger als sorgfältig geplante Projekte mit Langzeitwirkung. Die reflexartigen und kurzatmigen Reaktionen auf schulische Gewalttaten mit vermeintlichem Medienhintergrund sind nur ein Beispiel dafür. Die Finanzierung geht meist vom erhöhten Finanzbedarf eines Versuches, von begrenzten Teilnehmendenzahlen und Laufzeiten aus. Für längerfristige und umfassendere Wirksamkeit gewonnenener Erkenntnisse, für Übertragbarkeit und Nachhaltigkeit ist das ein sehr enges Korsett. Dabei spielen Wahl- und Haushaltsperioden keine unerhebliche Rolle. Viele Modellvorhaben lassen daher tragfähige Konzepte für die Zeit danach vermissen.
Das spiegelt sich auch bei den Macherinnen und Machern wider: Nicht wenige Modellvorhaben erschöpfen sich in umfänglichen Abschlussberichten, die Erfolge betonen (Financiers müssten sich sonst auch fragen, wie mit ihrem Geld umgegangen wurde). Weniger wird von eigenen Planungsfehlern, Erfolgs- und Irrwegen, von Anregungen für die Übertragbarkeit gesprochen. Und Modellvorhaben werden nicht nur aus Sachinteresse beantragt. Sie dienen dazu, die Existenz der Antragsinstitution zu begründen, die Zahl der Veröffentlichungen und das eigene Prestige in Fachkreisen zu vermehren, die Entlohnung von Beschäftigten und für die Sachausstattung zu sichern. (Das heißt nicht, dass die Produkte schlecht sind, aber sie werden durch solche Zwänge erheblich belastet.) Ist der Finanzrahmen des Modellvorhabens ausgeschöpft, der Abschlussbericht abgeliefert, stehen andere, politisch aktuellere und publikumswirksamere Themen an, ausgestattet mit neuen Geldtöpfen.
So bringt die zunehmende Drittmittelfinanzierung an den Universitäten nicht nur eine stärkere Praxisnähe mit sich, sie fördert auch ein solches Produktionskarussell. Kurzlebigkeit und relative Folgenlosigkeit von Modellvorhaben führen dazu, dass ihre Bedeutung kaum noch wahrgenommen wird. Parallelveranstaltungen und Neuauflagen zum gleichen Thema sind daher nicht selten. Nachhaltigkeit? In einer Zeit, da Aktionismus, äußere Form und öffentliches Aufsehen wichtiger sind als Sachbezogenheit und Wissenschaftlichkeit, systemisches Denken und Weitsicht? Wie ernsthaft gehen Entscheidungsträger mit wissenschaftlicher Arbeit um, wenn ihnen die naheliegenden, ja, zwingenden Folgerungen aus den gewonnenen Erkenntnissen nach einer Veröffentlichung der Endberichte als Tätigkeitsnachweis eigentlich nicht mehr so wichtig sind, getreu dem Motto: Es muss (immer) etwas geschehen, aber es darf nichts passieren?
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