2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten
Die Medien transportieren ein Bündel von Vorstellungen, Bildern, Vorurteilen, Theorien in die Köpfe der Gesellschaftsmitglieder und tragen sie in unterschiedliche Diskurse und Diskursarenen. Das geschieht vornehmlich über Sprache. Rhetorische Formeln und Sprachfiguren schmiegen sich dabei organisch an bestimmte mediale Formate an, umgekehrt bilden neue Medien teilweise neue Sprachformen und -praktiken aus. Dabei entsteht auch eine neue Form von Sprachsensibilität, denn Sprache ist immer in Entwicklung.
Vor dieser Folie wurden für die merz 2022/02 einige ausgewählte Debattenbeiträge aus dem weitläufigen Forschungsfeld versammelt, die illustrieren, dass und inwiefern es sich zukünftig lohnt, den feinen und komplexen Wechselwirkungen zwischen Sprache als eigensinnigem System, Sprache als sozialer Praktik auf der einen Seite und den unterschiedlichen ‚alten‘ und ‚neuen‘ Medien auf der anderen Seite näher unter die Lupe zu nehmen.
aktuell
Swenja Wütscher: D21-Digital-Index 2021/2022
Der Gesellschaft fällt es nicht leicht, die Auswirkungen der Digitalisierung auf die ökologische Nachhaltigkeit und die zugrundeliegenden Wirkzusammenhänge einzuschätzen. So ein Ergebnis des D21-Digital-Index 2021/2022. Neben der Untersuchung des Digitalisierungsgrads der Bevölkerung erfasst die Studie in diesem Jahr auch systematisch die Perspektive der Bürger*innen auf digitale Nachhaltigkeit. Das jährliche Lagebild zeigt, dass die deutsche Bevölkerung unterschiedlich gut für die Herausforderungen des digitalen Wandels gerüstet ist. Niedrig Gebildete und Ältere profitieren aus eigener Sicht deutlich seltener von der Digitalisierung und der ‚Digital Skills Gap‘ besteht weiter – höher Gebildete sind deutlich versierter. Nur 56 Prozent trauen sich zu, Desinformationen im Internet zu erkennen, 28 Prozent sehen in Digitalisierung eine Gefahr für die Demokratie.
Ein gutes Drittel der Bevölkerung glaubt, dass die Digitalisierung insgesamt einen eher positiven Einfluss auf die Umwelt hat, für ein weiteres gutes Drittel überwiegen negative Auswirkungen. Den größten Hebel für ökologisch nachhaltigere Digitalisierung sehen 33 Prozent in wissenschaftlichem Fortschritt und neuen Technologien. Deutlich weniger Menschen setzen auf politische Regulierungen oder wirtschaftliche Maßnahmen.
Der aktuelle Digital-Index liegt bei 63 von 100 Punkten (+ 3 im Vergleich zum Vorjahr). Die Generationen Z, Y und X weisen mit 75,72 bzw. 70 Punkten einen hohen Digitalisierungsgrad, Babyboomer*innen und die Nachkriegsgeneration mittlere Werte (58 bzw. 51 Punkte), die Generation bis 1945 (aktuell 76 Jahre oder älter) steht deutlich im digitalen Abseits (27 Punkte). Der D21-Digital-Index ist eine repräsentative Studie der Initiative D21, die Menschen im digitalen Wandel begleitet und aufzeigt, wie die Gesellschaft mit den sich stetig ändernden und wachsenden Anforderungen durch die Digitalisierung zurechtkommt. Durchgeführt wird die Studie von Kantar, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.
www.initiatived21.de/d21index21-22
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Autor: Swenja Wütscher
Beitrag als PDFEinzelansichtKati Struckmeyer: SIM Studie 2021
Die ältere Generation ab 60 Jahren spaltet sich beim Thema Mediennutzung. Zu diesem und weiteren Ergebnissen kommt die ‚SIM Studie 2021‘ (Senior*innen, Information, Medien) des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest, der Arbeitsgruppe Gerontologie der Katholischen Hochschule Freiburg und der Universität Heidelberg. Die Studie wurde erstmals durchgeführt und bildet als Querschnittsuntersuchung den aktuellen Medienumgang der älteren Generation unter gerontologischen Aspekten in Deutschland ab.
Zu den Ergebnissen der Studie gehört, dass 81 Prozent der Personen ab 60 Jahren zumindest selten online sind. Der Anteil der Menschen, die online gehen, sinkt deutlich mit steigendem Alter. Bei Personen ab 80 Jahren ist jede*r Zweite online, in der Altersgruppe ab 85 Jahren sind knapp zwei Drittel nicht oder zumindest nicht selbstständig digital unterwegs.
Die ältere Generation informiert sich bei tagesaktuellen Themen wie Corona bedingt durch ihre Sozialisation eher in klassischen Medien wie Fernsehen und Tageszeitung. Die Tageszeitung ist auch bei regionalen Themen die beliebteste Informationsquelle. Das Internet entwickelt sich aber zur Alternative bei der Suche nach Informationen und liegt bei allen abgefragten Themengebieten unter den Top 3 der relevanten Informationsquellen. Wenn es um die Recherche zu neuen Produkten oder persönlichen Problemen geht, ist das Internet bereits die Quelle der Wahl älterer Menschen. Trotz dieser Entwicklung gibt es weiterhin große Defizite und Unsicherheiten im Umgang mit digitalen Geräten. Nur etwa jede vierte Person attestiert sich gute oder sehr gute Kenntnisse im Umgang mit einem Computer bzw. Laptop oder dem Internet. Für die repräsentative Studie wurden im Frühjahr 2021 insgesamt 3.005 Personen ab 60 Jahren, ohne Altersgrenze nach oben, deutschlandweit telefonisch befragt.
https://www.mpfs.de/studien/sim-studie/2021/
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Kati Struckmeyer
Beitrag als PDFEinzelansichtKati Struckmeyer: Stichwort: Sensitivity Reading
Sensitivity Reading ist ein ergänzender Vorgang zum Lektorat eines literarischen Werkes bzw. eines Werkes der akademischen Forschungsliteratur. Ziel ist es, einen sensiblen, diskriminierungs- und klischeefreien Umgang in der Darstellung marginalisierter Personen(gruppen) zu gewährleisten. Das können zum Beispiel BIPOC, queere Menschen oder Menschen mit körperlichen oder psychischen Krankheiten sein. Beim Sensitivity Reading gilt es, die Reproduktion von -ismen, Stereotypen, Vorurteilen und Stigmatisierungen aus den Texten zu entfernen bzw. diese dahingehend umzuschreiben. Das Produkt sollte die betroffenen Personengruppen sensibel repräsentieren und damit zum Abbau von Diskriminierung und Klischees beitragen.
Sensitivity Reader sind nahezu immer selbst Teil einer marginalisierten Personengruppe und kennen sich auch sehr gut mit aktuellen (medialen) Diskursen zum Thema aus. Da Teil der Qualifikation somit die eigene Lebenswelt ist, wird oft auch mit verschiedenen Sensitivity Readern zusammen gearbeitet. Dadurch sollen unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven eingebracht werden.
Von der Beratung vor dem Schreiben, über den punktuellen Blick bei einzelnen Textpassagen bis hin zum kompletten Sensitivity Reading eines fertigen Werkes gibt es unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten von Sensitivity Readern.
Die Idee kommt aus den USA und wird in Deutschland kontrovers diskutiert. Kritiker*innen sehen die Gefahr von Zensur und Einschränkungen der Freiheit der Literatur. Befürworter*innen sehen Sensitivity Reading als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem diskriminierungsfreien und sensiblen Sprachgebrauch.
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Autor: Kati Struckmeyer
Beitrag als PDFEinzelansichtAnna-Clara Pentz: KI für den digitalen Jugendschutz
In ihrem Alltag mit Social-Media-Plattformen, Chat-Portalen und Messenger-Apps sind Kinder und Jugendliche neben den vielen Möglichkeiten zur Kommunikation, Selbstdarstellung und Identitätsbildung vermehrt auch mit Gefahren und Problemen konfrontiert. Gut, wenn hier Technologien beispielsweise vor Sexting und Cybergrooming (digitale Kontaktaufnahme Erwachsener mit Minderjährigen, mit dem Ziel, diese zu missbrauchen) schützen können. Das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT) hat technische Möglichkeiten geprüft, die Minderjährige vor dem unachtsamen Verschicken von Nacktfotos (sogenanntes ‚Sexting‘) warnen könnten. Außerdem wurden Verfahren untersucht, mit denen etwa erwachsene Personen erkannt werden können, die sich in Online-Foren oder Chat-Portalen als Minderjährige ausgeben.
Die Studie ‚Technik für den digitalen Jugendschutz: Automatische Erkennung von Sexting und Cybergrooming‘ stellt unterschiedliche technische Ansätze vor, mit denen sich der Jugendschutz in der digitalen Welt verbessern lässt. So werden etwa Verfahren zur ‚Hauterkennung‘ in den Blick genommen, durch die mithilfe automatischer Bilderkennung verhindert werden könnte, dass Apps auf intime Bilder zugreifen und Minderjährige Nacktbilder versenden. Technische Verfahren aus der Textforensik, wie etwa Verfahren zur Chat-Analyse oder zur Identifizierung von Personen anhand ihres Schreibstils, können dabei helfen, potenzielle Täter*innen rechtzeitig zu erkennen. Die Studie zeigt auf, dass eine deutliche Verbesserung maschineller Lernverfahren zu beobachten ist, Künstliche Intelligenz aber hier auch an ihre Grenzen stößt.
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Autor: Anna-Clara Pentz
Beitrag als PDFEinzelansichtSwenja Wütscher: Videospiele in der Corona-Pandemie
Das Spielen von Videospielen hat sich während der Corona-Pandemie positiv auf das Wohlbefinden der Spieler*innen ausgewirkt. So lautet ein Ergebnis einer Online-Umfrage der University of Glasgow. Spiele sind ein angenehmes Mittel, um soziale Kontakte aufrechtzuerhalten, und ein stressabbauender und geistig anregender Ausgleich zu den Auswirkungen der Lockdowns.
Die Corona-Pandemie hat nahezu auf alle Lebensbereiche Einfluss genommen. Solche weitreichenden Veränderungen haben zwangsläufig Fragen zum Wohlbefinden und zur Bewältigung dieser beispiellosen Umstände aufgeworfen. Die Studie (N = 781) untersucht anekdotische Berichte, die darauf hindeuten, dass sich viele während der Pandemie dem Spielen von Videospielen zugewandt haben. Die Zeit, die sie mit Spielen verbringen, hat bei 71 Prozent der Befragten zugenommen. 58 Prozent der Befragten gaben an, dass sich das Spielen auf ihr Wohlbefinden ausgewirkt hat, wobei die überwältigende Mehrheit der Antworten auf positive Auswirkungen hinweist. Sieben Arten, wie Spiele die Spieler*innen beeinflusst haben, wurden herausgearbeitet – wie die Bereitstellung kognitiver Stimulation und Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen, einige Vorteile im Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit, einschließlich weniger Angst und Stress.
Es wurde wenig von negativen Auswirkungen auf das Wohlbefinden berichtet. In mehreren Fällen wurden negative Kommentare durch positivere Stimmungen ausgeglichen. Am häufigsten wurde als negativ benannt, dass das Spielen ein Mittel sei, um Zeit zu verschwenden oder weniger produktiv zu sein. Da auch frühere Untersuchungen diese Ergebnisse im Allgemeinen stützen, ist es bemerkenswert, dass die öffentliche Wahrnehmung von Videospielen den Anschluss noch nicht ganz gefunden hat.
www.doi.org/10.1177/15554120211017036
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Autor: Swenja Wütscher
Beitrag als PDFEinzelansichtIsabel Klotz: Jugendschutz in Online-Games
Die Schwerpunktanalyse ‚Jugendschutzrelevante Aspekte in Online-Games‘ der Medienanstalten bestätigt in 47 Fällen einen Anfangsverdacht auf einen Verstoß gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Als vorwiegende Problemfelder wurden abweichende Altersangaben, Kostenrisiken und die Förderung exzessiver Nutzung identifiziert. Die Alterseinstufungen von identischen Games im Google Play Store und im Apple Store variieren im Schnitt um mehr als 3,5 Jahre, wie die Studie zeigt. Bei nur zehn Prozent der Spiele stimmt die Einstufung überein. Auf Steam wurden 34 Angebote ausgemacht, die nach dem Jugendschutzgesetz nicht oder falsch gekennzeichnet waren.
Auch in zunächst kostenlosen Angeboten wird oft enormer Kauf- und Werbedruck aufgebaut, mitunter in Form von glücksspielähnlichen Elementen. In 23 Fällen wurde interessenschädigende Werbung oder unzulässige Kaufaufrufe an Kinder oder Jugendliche nachgewiesen. Zudem können Push-Nachrichten, öffentliche Bestenlisten und Belohnungen für tägliches Spielen und Ähnliches exzessives Nutzungsverhalten fördern. Sie sind allerdings existenzieller Bestandteil zahlreicher Online-Games, darunter auch expliziter Kinderspiele. Zudem deckt die Untersuchung unzulässige und jugendgefährdende Inhalte, wie zum Beispiel Pornografie, verfassungsfeindliche Kennzeichen, Verharmlosung der nationalsozialistischen Ideologie sowie zu Gewalt, Selbstjustiz und Hass anreizende Inhalte auf.
Die Schwerpunktanalyse der Landesmedienanstalten wurde unter anderem im Auftrag der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) durchgeführt. Dabei wurden 389 Spiele durch ein mehrstufiges Verfahren recherchiert, von denen 68 exemplarische Angebote vertiefend geprüft wurden. Auswahlkriterien waren unter anderem Reichweite, Aktualität, Wirkungsrisiko, Anfangsverdacht und Schwere des Verstoßes. Im Fokus stehen die Angebote der großen App-Stores und Spiele-Plattformen.
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Autor: Isabel Klotz
Beitrag als PDFEinzelansichtNicole Lohfink: nachgefragt: Maryanne Redpath, Leiterin Sektion Generation der Berlinale
Abschied von der Berlinale – mit einem 20-jährigen Jubiläum als Leiterin der Sektion Generation beendet Maryanne Redpath ihre Arbeit beim internationalen Filmfestival. Schon 1993 war sie das erste Mal bei der Berlinale tätig, seit 2002 dann als Leiterin des Kinder- und Jugendfilm-Segments. Das Aufgreifen der Lebenswelt junger Menschen über das Medium Film war schon immer ein Schwerpunkt ihrer Arbeit. Sie hat viele Entwicklungen der Sektion begleitet und Formate angestoßen, um das junge Publikum mit seinen Fragen und Interessen mitzunehmen.
merzIm letzten Jahr war die Berlinale pandemiebedingt zweigeteilt, ein Online-Teil zum gewohnten Zeitpunkt und im Sommer die Open Air Veranstaltungen vor Ort. Auch dieses Jahr musste das Festival mit herausfordernden äußeren Umständen umgehen. Wie hat das die Inhalte und Teilnahme im Bereich Generation beeinflusst?
Redpath 2021 waren es viel weniger Filme, wir haben die Kurzfilme aus Pandemie-Gründen ausgesetzt und circa 800 Langfilme gezeigt. Dieses Jahr sind es – mit den Kurzfilmen wieder dabei – insgesamt circa 2700 Einreichungen. Tatsächlich sind es im Vergleich zu 2020 und einem ‚normalen‘ Festival, sogar ein paar Hundert Einreichungen mehr. Natürlich war die Produktion von Filmen sehr stark eingeschränkt. Thematisch auffällig ist, dass es in sehr vielen der ausgewählten Filme um Bewegung und Tanz geht, und darum, sich mit Wörtern und Musik auszudrücken und einfach zusammen zu kommen. Es fühlt sich für die Zuschauer*innen gut an, Filme zu sehen, die einen lebendigen Geist haben, besonders für junge Menschen, die vielleicht noch stärker unter der Pandemie leiden. Gerade, wenn Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt ihre Schritte in den Prozessen des Aufwachsens nicht normal machen können, weil sie mit von Erwachsenen gemachten Regeln eingeschränkt werden, dann müssen sie vielfach Schritte überspringen. Dabei finden sie oft nicht die Worte, ob im Film oder in der Realität, um zu erklären, was mit ihnen und in ihrer Welt los ist. Das drückt sich oft in Musik und Bewegung aus. Und das wiederum verändert dann die Lesart solcher Filme.
merz Ist es also auch ein Angebot an die Kinder und Jugendlichen, über die Filme einen Umgang mit den vielen Pandemie-bedingten Ereignissen zu finden?
RedpathEs sind sehr vielfältige Filme, auch ganz viele dokumentarische Arbeiten, wo man sieht – die Protagonist*innen ringen mit Worten, um sich auszudrücken. Ihnen fehlen die Worte, aber sie spüren das. Man sieht, wie sie in diesen Filmen, die mal fiktiv, mal nicht fiktiv sind, andere Formen und Mittel suchen, um sich mitzuteilen. Es ist spannend, wie die jungen Leute auf diese Prozesse auf der Leinwand reagieren. Sie identifizieren sich mit dem, was sie sehen und bekommen dadurch Impulse, was ihnen auch in ihrem alltäglichen Leben helfen kann.
merzGerade die gesellschaftlichen Auswirkungen sind für Heranwachsende einschneidende Erfahrungen während prägender Phasen des Aufwachsens – ist Filmkultur hier auch eine Möglichkeit des Verarbeitens?
Redpath Es ist auf jeden Fall ein Angebot bei der Berlinale. Es ist natürlich auf eine gewisse Weise auch gewagt, zu versuchen, mitten in einer Pandemie ein Festival anzubieten, das nicht virtuell ist, sondern für die Zuschauer*innen physisch in den Kinos stattfindet. Aber es ist für Erwachsene nicht anders als für Kinder und Jugendliche, diese Freude und den Genuss zu erleben, die man haben kann, wenn man zusammen kommt und gemeinsam ein gutes Filmerlebnis hat. Man ist nicht mehr so alleine in der Welt. Die Berlinale hat auch alle Anstrengungen unternommen, um die strengen Kontrollen, die Sicherheit und die Kontaktbeschränkungen einzuhalten. Wir glauben, dass es für die jungen Leute wichtig ist, bewegen uns hier im Grunde jedoch auf Neuland. Ich bin keine Politikerin und keine Medizinerin, ich bin Kulturmacherin, ich kann nur im Rahmen des Möglichen ein Angebot an die jungen Menschen machen. Darüber hinaus glaube ich, dass Kultur sehr wichtig ist, für alle Menschen, aber besonders für die jungen, für die es gerade ganz schön hart ist.
merz Braucht es überhaupt ein Festival in Krisen-Zeiten? Braucht es da Filme?
Redpath Das wird nicht für jede*n wichtig sein, aber wenn man zusammen in einem Kino einen Film ansieht, ist das ein gemeinschaftliches Erlebnis, bei dem man vielleicht auch mal die Herausforderungen und Probleme einer Pandemie für eineinhalb Stunden hinter sich lassen kann. Man lässt sich auf den Film ein; man kann sich mit sich selbst auf einer ganz anderen Ebene beschäftigen, je nachdem, was auf der Leinwand zu sehen ist, ob und wie man sich damit identifiziert. Bei einem offenen Ende kann man zum Beispiel weiterdenken und mit anderen diskutieren, und das machen die jungen Menschen auch gerne.
merz Sie haben zwei Jahrzehnte Generation geprägt, sind seit 2002 Leiterin der Sektion, aber auch insgesamt schon seit 1993 bei der Berlinale dabei – was hat sie so lange Zeit inspiriert?
Redpath Generation hat meine Leidenschaft für junge Menschen und für Kino zusammengebracht und das hat mich über die Jahre auch da gehalten. Ich habe viel Spielraum gehabt, mich und meine Kreativität zu entwickeln und viele tolle Begegnungen gehabt. Das war für mich so viele Jahre lang der perfekte Job – und ist es immer noch. Nun trete ich mit einem guten Gefühl zurück. Es kommen neue Generationen nach, mit sehr fähigen, guten Menschen, die das übernehmen können.
merz Wenn man so lange Gelegenheit hat, etwas intensiv begleiten zu können, welche Entwicklungen konnten Sie da beobachten?
Redpath Im Rahmen der Sektionsarbeit haben wir selbst sehr viel entwickelt, früher hieß es ja Kinderfilmfest. Dann haben wir mit 14+ einen neuen Wettbewerb dazu genommen und den Dachnamen umgewandelt in Generation. Das hat uns befreit, um mit jungen Menschen auf eine ganz andere Art über Filme zu sprechen. Dann sind die Entwicklungen auch Jahr für Jahr immer unterschiedlich, wir haben zum Beispiel kontinuierlich mehr Einreichungen bekommen. Bei den Einreichungen liegt die Frauenquote bei der Regie mittlerweile bei über 50 Prozent, das finde ich ermutigend. Inhaltlich gibt es jedes Jahr mehr Filme, die aktuelle Geschehnisse in der Welt spiegeln. Zum Beispiel haben wir dieses Jahr einen Dokumentarfilm, der in der Ukraine spielt: ‚Kinder und Krieg‘. Die Diskurse, die über all diese Dinge stattfinden, sind über die Jahre intensiver geworden. Es gibt so viele Bausteine und Anstöße, die Filme bieten können, gerade für ein junges Publikum, das sehr unterbewusst ist. Die Diskurse sind dann sehr gut, um vieles davon nach vorne, in die Wahrnehmung zu bringen. Das ist ein wichtiger Teil der Arbeit.
merz Was waren rückblickend die größten Herausforderungen in Ihrer Arbeit?
Redpath Auch die Herausforderungen waren immer im Fluss, für mich persönlich waren sie oft sehr anders, als für meine Mitarbeiter*innen, die Zuschauer*innen, Filmemacher*innen et cetera. Eine Herausforderung war es, zu lernen, mich zu artikulieren und in einer Klarheit zu beschreiben, dass es für mich nicht immer um Endprodukte geht. Das ist eine Herausforderung an sich – wir wohnen, arbeiten und leben in Deutschland in einer sehr produkt- und zielorientierten Gesellschaft. Ich komme aus Neuseeland und da sind Prozesse sehr wichtig und man weiß nicht immer, wie es ausgeht. Aber es gibt auch Erfahrungswerte aus herausfordernden Gesprächen, zum Beispiel darüber, dass wir zu harte Filme zeigen. Wir gehen an die Grenzen, auch über Grenzen, aber es sind nicht die jungen Menschen, die sich über harte Filme beschweren. Sie verlangen eher mehr Realität von uns und nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen.
merz Was sind Ihre Wünsche für die kommende Generation?
Redpath Ich wünsche ihnen, weiter spannende Filme zu sehen, den eigenen Platz im Leben zu finden, der ihnen gut tut; nicht aufzuhören, die erwachsenen Generationen herauszufordern, richtige Entscheidungen zu treffen. Ich wünsche mir von den Erwachsenen mehr Zuhören und Verständnis für die Perspektive der Kinder und Jugendlichen, man kann von Bewegungen wie ‚Fridays for Future´ lernen.
Das Interview führte Nicole Lohfink.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Nicole Lohfink
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Andreas Lange/Susanne Eggert: Editorial: Deutungshoheit und Sprachschlachten. Sprache in den Medien
Sei es das Gendersternchen, sei es die Flüchtlingsdebatte, sei es die Ökonomisierung weiter Bereiche der Gesellschaft: Die Medien transportieren ein Bündel von Vorstellungen, Bildern, Vorurteilen, Theorien in die Köpfe der Gesellschaftsmitglieder und tragen sie in unterschiedliche Diskurse und Diskursarenen. Obwohl die Visualität bzw. Ikonizität der Darstellungen in den öffentlichen Arenen auf dem Vormarsch ist, passiert der multisensorische Bedeutungstransport vornehmlich über Sprache. Die denunzierte Rede von der „Political Correctness“ (Degele 2020) ist hier ein, aber nicht das einzige wichtige Thema und es geht um Grundsätzliches: Wird von ‚Fremdbetreuung‘ im Umfeld der Kleinkindbetreuung gesprochen, werden andere Türen in unserem Bewusstsein aufgestoßen, als wenn wir von familienergänzender oder gar familienunterstützender institutioneller Betreuung sprechen. Ein ‚Konkubinat‘ mit seinem negativ konnotierten Bedeutungshorizont war noch in den 80er Jahren eine geläufige Bezeichnung für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft, die heute semantisch ‚upgegraded‘ auch als ‚partnerschaftliche Verantwortungsgemeinschaft‘ läuft.
Die Beispiele sollen verdeutlichen: Sprache ist das Prädikat, welches immer wieder als das Merkmal genannt wird, welches den Menschen als solchen auszeichnet. Seit der antiken Rhetorik wird über die Wirkmächtigkeit dieses humanspezifischen Zeichensystems nachgedacht. Wenn auch unbestritten ist, dass die Medien über ihre je eigene Materialität und sonstigen Eigenschaften inhaltliche Botschaften mitformatieren, darf daher die sprachliche Formulierung nicht außen vor der medienwissenschaftlichen Debatte gelassen werden.
MÄCHTIGER EIGENSINN DER SPRACHE
Es gibt eine Reihe von Konstruktionsprinzipien der menschlichen Sprache, die in Wechselwirkung mit der auf Sozialität und Gegenseitigkeit hin angelegten Kognition des Menschen (Tomasello 2020) für die ‚Macht und Magie‘ sprachlicher Zeichen sorgen, wie unter anderem Schramm/Wüstenhagen (2015) auf der Basis einer breiten Forschungsliteratur rekonstruieren:
1) LAUTMALEREI UND KLANG DER SPRACHE LEGEN BESTIMMTE BEDEUTUNGEN NAHE
Eigentlich dürfte es einen solchen Zusammenhang gar nicht geben. Die klassisch-linguistische Theorie behauptet, dass der Klang der Worte völlig willkürlich, ohne Zusammenhang zur Wortbedeutung steht. Neuere Arbeiten und Positionen vor allem auch aus experimentiellen Arbeiten postulieren und weisen zumindest partiell nach, dass bestimmte Lautkonglomerate, sogenannte Phoneme, Bedeutungen von Worten mit festlegen. So wird behauptet, dass das I wie in Liebe, Paradies, Frieden gute Laune macht. Die Autorinnen sammeln dann Belege für die zumindest partielle Ikonizität: In der Sprache scheinen mehr ikonische Anteile zu stecken als bislang bekannt war: „Tatsächlich lassen sich in vielen Sprachen zumindest vereinzelt solche Zusammenhänge finden. Kleine Dinge etwa klingen erstaunlich oft auch klein. Als beliebte Beispiele dienen oft: ‚diminutive‘ oder ‚teeny-weeny‘ im Englischen, ‚klein‘ oder ‚winzig‘ im Deutschen, ‚mikros‘ im Griechischen oder ‚chico‘ im Spanischen. Schon die Wörter an sich scheinen dem Klang nach einen Hinweis auf die physische Eigenschaft der bezeichneten Sache zu geben. Alle diese Worte haben etwas gemeinsam: den i-Laut. Sie haben dies gemeinsam mit Spitznamen und anderen Verniedlichungsformen, die hierzulande häufig auf i enden, wie Hansi, Claudi oder Steffi, oder in Spanien auf ito/ita wie Señorita. So hat das schmale unscheinbare i offenbar erhebliche Ausdrucksstärke – weil es so gut als Signal für die kleinen Dinge fungiert.“ (Schramm/ Wüstenhagen 2015, S. 24). Umgekehrt verhält es sich dann mit Wörtern, die Großes indizieren. Diese beinhalten oftmals ein a oder o. Man denke an ‚grand‘ im Französischen, ‚makro‘ im Griechischen, und ‚groß‘ im Deutschen.
2) WORTE, KONZEPTE UND INSBESONDERE METAPHERN ‚SCHIEBEN‘ UNSER DENKEN IN BESTIMMTE RICHTUNGEN
Ein einziges Wort kann unser Urteil, Denken und Handeln signifikant beeinflussen, das zeigt die inzwischen umfängliche Forschung zu den Metaphern, also den Bedeutungsübertragungen von einer Quelle in ein Ziel: Elisabeth Wehling (2016), die hierzulande im Umfeld der Framingdebatte bekannt geworden ist, verdeutlicht die Wirkungskaskaden beim Wort- und insbesondere Metaphernverständnis: Um Worte zu begreifen, aktiviert das Gehirn große Wissensbestände – konkret motorische Schemata, Bewegungsabläufe, Emotionen, Gerüche und visuelle Eindrücke. Das tut es, um linguistischen Konzepten eine Bedeutung verleihen zu können. Bestimmte Worte bestimmen also nicht eine genau zugeschnittene Bedeutung, sondern einen mehr oder weniger großen Bedeutungsradius. Diese Macht der Metaphern wird in unterschiedlichen Forschungsrichtungen und von unterschiedlichen Autor*innen unterstrichen. Einer der renommiertesten unter ihnen ist George Lakoff, ein Linguist. Er geht sogar so weit zu sagen, dass Metaphern töten können. Dabei bezieht er sich auf die Rahmung der Regierung Bush nach dem 11. September 2001; zuerst wurde von Opfern gesprochen, dann von Verlusten – mit diesem Sprachwechsel wurde der Krieg gegen den Terror eingeläutet. Die Anschläge wurden vom Verbrechen zu einer Kriegshandlung, was dazu führt, dass die entsprechenden Gegenmittel eingesetzt wurden.
3) DIE REKURSIVE SYNTAX MENSCHLICHER SPRACHE ERMÖGLICHT MÄCHTIGE WEITERE SPRACHWERKZEUGE: NARRATIVE, GESCHICHTEN UND CO.
In einem fesselnden Sachbuch zum Thema ‚Wie Geschichten unser Leben bestimmen‘ zeigen El Ouassil/Karig (2021), dass die Möglichkeit, eine Rückbezüglichkeit innerhalb von Sätzen herzustellen, zum Beispiel durch Neben- oder Schachtelsätze, Grundlage dafür ist, dass wir entlang eines Zeitstrahls Ereignisse anordnen und wiederholen können. Grammatik ermöglicht es erst, zum einen die fiktiven Welten, die wir beim Lesen und Hören von Geschichten mental erschaffen, überhaupt zu entschlüsseln und auch selbstständig zu generieren. Syntax ermöglicht insbesondere den Ausdruck unseres linearen Zeitempfindens – also unserer Fähigkeit, chronologisch und in Kausalzusammenhängen zu denken. Im Gegensatz zu Tieren haben wir nicht nur eine Vorstellung davon, wie ein Zeitstrahl verläuft, sondern auch ein Konzept für zeitliche Koordination, für die ‚Wanns‘ auf diesem Zeitstrahl, sowie ein Gefühl für ein Davor und Danach. Unsere Kommunikation besteht in großen Teilen aus Aussagen darüber, wann Dinge passiert sind und/oder passieren werden.
Dieser kleine sprachwissenschaftliche Exkurs, der sicherlich noch um vielfältige Aspekte ergänzt werden könnte, zeigt, dass die Sprache eigensinnige Bedeutungsüberschüsse in sich trägt, die dann mit den Medienspezifika in eine Wechselwirkung treten. Besondere rhetorische Formeln und Sprachfiguren schmiegen sich organisch an bestimmte mediale Formate an, umgekehrt bilden neue Medien teilweise neue Sprachformen und -praktiken aus (Marx/ Weidacher 2020, S. 119 ff.): Es entstehen unter anderem neue Wörter und Abkürzungen, um die spezifische Temporalität des Mediums zu bedienen, hybride Kommunikationsformen zwischen mündlich und schriftlich und – besonders erwähnenswert: anders als es die Kulturkritik insinuiert, eine neue Form von Sprachsensibilität!
Vor dieser Folie haben wir einige ausgewählte Debattenbeiträge aus dem weitläufigen, noch systematischer und vor allem interdisziplinär zu beackernden Forschungsfeld versammelt: Den Anfang machen Andreas Lange und Nicole Svorc, die danach fragen, was eigentlich Familie ausmacht, wie Familie ‚hergestellt‘ wird? Sie stellen die These auf, dass Sprache hieran einen großen Anteil hat. Medien wiederum sind eine zentrale Quelle dafür, wie, also mit welcher Sprache und welchen (Sprach-)Bildern Familien sich ‚herstellen‘ und ihre familienbezogenen Wertvorstellungen entwickeln, beispielsweise, indem sie sich von medial diskutierten und mit bestimmten Begriffen konnotierten Familienbildern abgrenzen, sich diesen unterordnen oder zugehörig fühlen (wollen). Problematisch daran ist, dass die medial vermittelten Vorstellungen von Familie und ihre sprachliche Darstellung eine starke Komplexitätsreduktion bedeuten, die den vielfältigen Ausprägungen von Familie nicht gerecht wird, jedoch das Bild von Familie in der Gesellschaft beeinflusst. Vor diesem Hintergrund plädieren Lange und Svorc für eine „fürsorgliche Kommunikation“ in den Medien, durch die „Räume des Denkens und Handelns […] nicht beschränkt und eingeengt, sondern geöffnet werden“ (S. 22).
Kathrin Englert, Dagmar Hoffmann und David Waldecker nehmen sich der Frage an, ob eine gewissermaßen ‚wirkliche‘ sprachliche Interaktion mit Alexa und Co. möglich ist. Den vollmundigen Behauptungen der großen Techfirmen setzen sie die geballte Macht der theoretischen und empirischen Ressourcen der Forschung entgegen. Eine grundlegende Charakteristik der Interaktion ist dabei die großflächige Vermenschlichung, zumeist in Richtung weibliches Gattungsexemplar, die die Nutzenden vornehmen und den Sprachassistenzsystemen nicht zuletzt auch Persönlichkeitsmerkmale zuschreiben. In seinem eigenen Projekt geht das Siegener Team den subjektiven Zuschreibungen theorieanaloger Art nach, die die Menschen im alltäglichen Austausch mit Alexa und Co. entwickeln. Durchaus modifizieren demnach die Sprachsysteme den Interaktionshaushalt in vielerlei Hinsicht. Allerdings wird dieser Beitrag relativiert und es bilden sich durchaus unterschiedliche ‚Beziehungen‘ zu den Sprachgerätschaften heraus. Diese Beziehungen bedeuten auch zusätzliche Kommunikations- und Emotionsarbeit, die aber in mehr oder weniger unaufgeregtem Modus erbracht wird; schließlich sind die Geräte nicht essenziell für die alltägliche Lebensbewältigung, sondern, immerhin, ‚nice to have‘.
Auf der sprachlichen Ebene der Diskursaustragung lokalisiert Sebastian Zollner für die Gegenwart zahlreiche digitale invektive Konstellationen – womit die herabsetzende, entwürdigende Form von Kommentaren in Hate Speech, Verschwörungstheorien und Fake News gemeint ist. Als eine wichtige Maßnahme in diesem Zusammenhang gilt gemeinhin die Counter Speech, die Gegenrede. Der Autor zeigt auf der Basis linguistischer Überlegungen erstens die Vielschichtigkeit des Begriffs auf. Er macht unter anderem deutlich, dass die Gegenrede nicht zwingend von den Invektierten, also Betroffenen ausgehen muss, sondern es auch Fürsprache von Dritten geben kann – eine Einsicht, die nicht nur didaktisch, sondern auch zivilgesellschaftlich relevant ist. Zweitens breitet er den Fächer der Wissensbestände zu Counter Speech aus. Da ist zu nennen die sprachlich-kommunikative Realisierung in Praktiken, die auf etablierte Formeln zurückgreifen können und daher auch systematisch trainierbar sind. Ebenfalls weiterführend sind die Funktionen, die Counter Speech im Interaktionshaushalt von Gruppen, Organisationen und Gesellschaften einnehmen kann: Von der Positionierungs- über Irritationsarbeit bis hin zur Empathie und Verständnisarbeit reicht das Spektrum. Vor allem aber hat systematische, breit getragene Gegenrede das Potenzial zu verhindern, dass Vorurteile und Hassschablonen Teil des unhinterfragten, geteilten Alltagswissens, vulgo, des ‚gesunden Menschenverstandes‘ werden.
Drittens verweist Sebastian Zollner auf erfolgversprechende Möglichkeiten, sowohl in der außerschulischen Jugendarbeit, vor allem aber im Schulunterricht insbesondere sprachliche Mittel zu lehren, die einen kompetenten Umgang mit Hate Speech in der Lebenswelt der Schüler*innen ermöglichen. Guido Bröckling und Fabian Hellmuth schließlich setzen sich damit auseinander, welche Rolle Sprache in medienpädagogischen Projekten spielt. Eine Prämisse der aktiven Medienarbeit ist es, ihrer Zielgruppe, den Kindern und Jugendlichen, auf Augenhöhe zu begegnen, sich auf ihre Themen einzulassen und sie ernst zu nehmen. Das heißt auch, ihre Sprache zu akzeptieren und einen guten Weg der Kommunikation zu finden und dabei authentisch zu bleiben. In einem Kiez-Projekt in Neu-Kölln sollte mit Sprache gespielt und experimentiert werden – ‚spoken word poetry‘ sollte entstehen, wohl gewählte Worte, um sich kritisch zum Beispiel mit gesellschaftlichen Entwicklungen auseinanderzusetzen und dafür Medien kompetent in Gebrauch zu nehmen. Die Jugendlichen aber wollten ein Rap-Projekt. Ihre Idole, denen sie hier nacheiferten, sprechen eine Sprache, die diskriminierend, beleidigend und grammatikalisch falsch ist. Für die Medienpädagogen bestand die Herausforderung darin, ohne erhobenen Zeigefinger mit den Jugendlichen über die Aussagen ins Gespräch zu kommen und sie zu einem kritischen Blick und zum Austausch mit anderen zu motivieren. Rückblickend reflektieren sie, inwieweit ihnen das gelungen ist und was ein medienpädagogisches Projekt ausmacht.
Die Aufsätze illustrieren, dass und inwiefern es sich zukünftig lohnt, den feinen und komplexen Wechselwirkungen zwischen Sprache als eigensinnigem System, Sprache als sozialer Praktik auf der einen Seite und den unterschiedlichen ‚alten‘ und ‚neuen‘ Medien auf der anderen Seite näher unter die Lupe zu nehmen. Und das nicht nur in grundlagenwissenschaftlicher Manier, sondern mindestens ebenso intensiv in medienpädagogischer Hinsicht: im analytischen Sinne einer zu schulenden Dekodierungskompetenz für sprachliche Verführungen, Herabsetzungen und Diskriminierungen und in der Dimension der Gestaltungkompetenz als immer mitlaufende sprachliche Sensibilität bei der Produktion von Medieninhalten. Und auch hier ist Interdisziplinarität zu wünschen und produktiv. So könnten die Einsichten der kognitiven Medienlinguistik hierzu beigezogen werden. Bleibt zu hoffen, dass es in naher Zukunft zu intentional betriebenen, intensiven Verschränkungen medienwissenschaftlicher und sprachwissenschaftlicher Expertise kommt!
Dr. Susanne Eggert ist stellvertretende Leiterin der Abteilung Forschung am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Familie und Medien, Medien in der Frühen Kindheit, Inklusion und Medien sowie Medienwandel und Bildung.
Dr. Andreas Lange ist Professor für Soziologie an der RWU Ravensburg-Weingarten an der dortigen Fakultät für Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Soziologien der Kindheit, Jugend und Familie, Medienwissenschaften sowie Zeitdiagnose.
Literatur
Degele, Nina (2020). Political Correctness – Warum nicht alle alles sagen dürfen – Mit einem Vorwort von Renate Künast. Weinheim: Beltz Juventa.
El Ouassil, Samira El (2021). Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien. Wie Geschichten unser Leben bestimmen. Berlin: Ullstein.
Marx, Konstanze/ Weidacher, Georg (2020). Internetlinguistik. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Tübingen: Narr Francke Attempto.
mediensprache.net | Das Medienlinguistik-Portal (o.J.). www.mediensprache.net [Zugriff: 25.02.2022]
Schramm, Stefanie/ Wüstenhagen, Claudia (2015). Das Alphabet des Denkens. Wie Sprache unsere Gedanken und Gefühle prägt. Hamburg: Rowohlt.
Wehling, Elisabeth (2016). Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Köln: Herbert von Halem Verlag.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Andreas Lange, Susanne Eggert
Beitrag als PDFEinzelansichtAndreas Lange/Nicole Svorc: Sprache und Medien in familienbezogenen Diskursen. Aufriss eines Forschungsfeldes
Im Beitrag wird zuerst der unter heftigem Druck stehende ‚Diskurskessel‘ der späten Moderne skizziert: Innerhalb dessen vollzieht sich die sprachliche und inhaltliche Gestaltung von Familiendiskursen. Vor dieser Folie werden die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Familie, Diskursen und Sprache angerissen. Die leitende These lautet, dass Familie lebenspraktisch und wissenschaftlich zu einem erheblichen Anteil diskursiv-sprachlich ‚hergestellt‘ wird. Resümierend formulieren wir die sich daraus ergebenden Aufgabenstellungen für Medienpädagogik – mit einer Anregung in Richtung eines fürsorglichen Sprachgebrauchs als Öffnung von Räumen des Denkens und Handelns.
Literatur
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Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Andreas Lange, Nicole Svorc
Beitrag als PDFEinzelansichtKathrin Englert/Dagmar Hoffmann/David Waldecker: „Tut mir leid, ich verstehe nicht ganz“. Smart Speaker als vermeintliche Gesprächspartner*innen
Smart Homes sind vernetzte Systeme in Wohnräumen, die Effizienz und Bequemlichkeit im Alltag versprechen. Kommuniziert werden kann mit den Systemen über Sprachassistenten, die versuchen auf Fragen zu antworten, auf Befehle zu reagieren und für Unterhaltung zu sorgen. Gleichwohl verläuft die Kommunikation und Interaktion mit den Geräten nicht störungsfrei und mitunter weniger responsiv als intendiert, müssen die Nutzer*innen ihren Sprachduktus der Technologie anpassen und sich ihr unterwerfen. Berichtet werden ausgewählte Befunde aus aktuellen Studien und aus einem laufenden Forschungsprojekt, in dem Nutzer*innen Auskünfte über das Sprachverständnis und die Dialog(un)fähigkeit der Geräte geben.
Literatur
Bitkom e.V. (2021). Die Zukunft der Consumer Technology – 2021. Marktentwicklung & Mediennutzung, Trends & Technologien. Berlin. www.bitkom.org/sites/default/files/2021-09/210817_ct_studie_2021.pdf [Zugriff: 18.03.2022]
Groeben, Norbert/Scheele, Brigitte (2010). Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien. In: Mey, Günter/Mruck, Katja (Hrsg.), Handbuch Qualitative Forschung in der Psychologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 151–165.
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Krummheuer, Antonia L. (2010). Interaktion mit virtuellen Agenten? Zur Aneignung eines ungewohnten Artefakts. Stuttgart: Lucius & Lucius.
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Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Dagmar Hoffmann, David Waldecker, Kathrin Englert
Beitrag als PDFEinzelansichtSebastian Zollner: Counter Speech als sprachlich-kommunikative Praktik in digitalen, invektiven Konstellationen. Ein Thema für Linguistik, Medienpädagogik und Politische Bildung
In diesem Beitrag geht es um die linguistischen Grundlagen des Konzepts Gegenrede bzw. Counter Speech. Ausgehend von gesellschaftlichen Vorstellungen, Erwartungen und Einstellungen wird Gegenrede als komplexe sprachlich-kommunikative Praktik charakterisiert. Vor dem Hintergrund dynamischer, invektiver Konstellationen wird eine Heuristik präsentiert, mit der Counter Speech in Interaktionen beschreibbar wird. Abschließend werden im Beitrag Wege der Vermittlung von Gegenrede in pädagogisch-didaktischen Settings mit Jugendlichen gezeigt.
Literatur
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Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Sebastian Zollner
Beitrag als PDFEinzelansichtFabian Hellmuth/Guido Bröckling: Ist das Medienpädagogik oder kann das weg? Ein Jugendhaus-Rap-Projekt unter der medienpädagogischen Lupe
Die Frage nach der Bedeutung und Rolle von Sprache in der medienpädagogischen Praxis ist schwieriger als man denkt. Umso mehr, wenn sich viele Pädagog*innen mit einem Sprachgebrauch auseinandersetzen müssen, der für sie zunächst befremdlich ist. Dann stehen schnell Fragen nach der Offenheit für jugendkulturelle Lebenswelten, Arbeit auf Augenhöhe und medienpädagogische Ansprüche im Raum. Im Beitrag wird versucht, sich diesen und weiteren Fragen am Beispiel des Projekts ‚A-D/D-A – spoken word poetry. analog. digital. fließend.‘ anzunähern.
Literatur
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Schell, Fred/Demmler, Kathrin (2013). Aktive Medienarbeit. In: Hartung, Anja/Lauber, Achim/Reißmann, Wolfgang (Hrsg.), Das handelnde Subjekt und die Medienpädagogik. Festschrift für Bernd Schorb. München: kopaed, S. 245–252.
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Sozialgesetzbuch, Achtes Buch (SGB VIII). Kinder- und Jugendhilfe, neugefasst durch Bek. v. 11.9.2012 I 2022; zuletzt geändert durch Art. 9 G v. 23.12.2016 I 3234. Paragraf 11. www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbviii/11.html [Zugriff: 05.05.2017]
Theunert, Helga (2015). Medienaneignung und Medienkompetenz in der Kindheit. In: Gross, Friederike von/Meister, Dorothee M./Sander, Uwe (Hrsg.), Medienpädagogik – ein Überblick. Weinheim, Basel: Beltz Juventa, S. 136–163.
Universal Music (o.J.). Chabos Wissen wer der Babo – Haftbefehl [Video]. Universal Music. www.universal-music.de/haftbefehl/videos/chabos-wissen-wer-der-babo-342914 [Zugriff: 24.01.2022]
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Fabian Hellmuth, Guido Bröckling
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spektrum
Andreas Lanig: Auf dem Weg zur Taxonomie des hybriden Unterrichts. Mediendidaktische Herausforderungen
Warum berichten Lehrende wie Lernende gleichermaßen von dem Gefühl der Leere im Distanzunterricht? Warum ist die scheinbar fehlende Präsenz aller Beteiligten immer wieder Thema in dieser Debatte? In diesem Beitrag soll dieser Bedarf anhand der mediendidaktischen Theoriebildung, aber insbesondere an der Empirie von Fernstudierenden diskutiert werden. Die Verallgemeinerung auf den Fernunterricht ist deswegen möglich, da es um die Aktivierung und die Integration der Einzelnen in die Lerngruppe geht. An diesem Punkt stellen sich pädagogische und ethische Fragen einer virtuellen Lehr-und Lernkultur, die der Artikel von Thomas Hanstein ‚Antinomien in digitalisierten Lernarrangements‘ online auf merz-zeitschrift.de in den Blick nimmt.
Literatur
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Hanstein, Thomas/Lanig, Andreas (2020a). Spirituelle Kompetenz in digitalen Lern- und Arbeitswelten. Baden[1]Baden: Tectum.
Hanstein, Thomas/Lanig, Andreas (2020b). Digital lehren. Das „Homeschooling”-Methodenbuch. Baden-Baden: Tectum.
Hanstein, Thomas/Lanig, Andreas (2021a). #Online-Lehre meets #Online-Coaching. Lehrhandeln und Coaching in virtuellen Lernräumen – Ein empirischer Beitrag zur Bildungsforschung im Corona-Jahr 2020/21. Münster, New York: Waxmann.
Hanstein, Thomas/Lanig, Andreas (2021b). Die hybride (Hoch-)Schule von morgen jetzt vorbereiten. Ein Credo für Reflexion statt (nur) Funktionalität. In: merz | medien + erziehung, 65 (4), S. 73–81.
Kerres, Michael (2016). Lernprogramm, Lernraum oder Ökosystem? Metaphern in der Mediendidaktik. In: Mayrberger, Kerstin/Fromme, Johannes/Grell, Petra, Hug,
Thomas (Hrsg.), Jahrbuch Medienpädagogik 13. Vernetzt und entgrenzt – Gestaltung von Lernumgebungen mit digitalen Medien. Berlin: Springer, S. 15–28.
Lanig, Andreas (2020a). Virtuelle Fernlehre in gestalterischen Fachbereichen. Vechta: VOADo. DOI: 10.23660/voado-151.
Lanig, Andreas (2021). The Intellectual Diet in Pastoral Spaces of Activity in Digital Design Education. In: Bohemia, Erik/Nielsen Liv Merete/Pan, Lusheng/ Börekçi, Naz A.G.Z./Zhang, Yang (Hrsg.), Proceedings of the DRS LEARNxDESIGN 2021.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Beitrag als PDFEinzelansichtONLINE EXKLUSIV: Thomas Hanstein: Antinomien in digitalisierten Lernarrangements. Lehren und Lernen mit (und in) Widersprüchlichkeiten
Der Online-Unterricht hat alte Fragen nach gutem Unterricht und professioneller Lehrer*innen-Rolle wieder auf den Plan gerufen. Neben technischen und mediendidaktischen Aspekten sind – für herkömmliche Lehrende – neuartige Spannungen und Widersprüchlichkeiten in Online- und hybriden Formaten eine grundlegende Herausforderung. Allerdings ist diese nicht neu, sondern wird in der Schulpädagogik seit Jahren unter dem Begriff der ‚Antinomien‘ beschrieben. Der vorliegende Beitrag macht deutlich, weshalb es aktuell und zukünftig wichtig ist, auf diese Grundlagen aus ‚vor-Corona-Zeiten‘ zurückzugreifen und diese für die Lehr- und Lernprozesse in online Kontexten fortzuschreiben.
Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.Zitierhinweis:
Hanstein, Thomas (2022). Antinomien in digitalisierten Lernarrangements. Lehren und Lernen mit (und in) Widersprüchlichkeiten. In: merz | medien + erziehung. www.merz-zeitschrift.de/fileadmin/user_upload/merz/PDFs/online-exklusiv-antinomien-in-digitalisierten-lernarrangements.pdf
Literatur:
Hanstein, Thomas/Lanig, Andreas (2020a). Spirituelle Kompetenz in digitalen Lern- und Arbeitswelten. Baden-Baden: Tectum.
Hanstein, Thomas/Lanig, Andreas (2020b). Digital lehren. Das „Homeschooling”-Methodenbuch. Baden-Baden: Tectum.
Hanstein, Thomas/Lanig, Andreas (2021a). Die hybride (Hoch-)Schule von morgen jetzt vorbereiten. Ein Credo für Reflexion statt (nur) Funktionalität. In: merz | medien und erziehung, 65 (4), S. 73–81.
Hanstein, Thomas/Lanig, Andreas (2021b). #Online-Lehre meets #Online-Coaching. Lehrhandeln und Coaching in virtuellen Lernräumen – Ein empirischer Beitrag zur Bildungsforschung im Corona-Jahr 2020/21. Münster/New-York: Waxmann.
Hanstein, Thomas (2021a). Coaching als Unterstützung schulischer Transformation. Bedarfsgerechte Weiterbildung von Lehrkräften „nach Corona“. In: Coaching Magazin, 2021 (3), S. 39–44.
Hanstein, Thomas (2021b). Konsequenzen für eine zeitgemäße Didaktik und Schulentwicklung. In: DIPLOMA Hochschule (Hrsg.), Pädagogik, Methodik, Didaktik I. Studienheft, 2. Auflage, S. 70–80.
Helsper, Werner (2016). Antinomien und Paradoxien im professionellen Handeln. In: Dick, Michael/Marotzki, Winfried/Mieg, Harald (Hrsg.), Handbuch Professionsentwicklung. Bad Heilbrunn: UTB, S. 50–62.
Lanig, Andreas (2020). Virtuelle Fernlehre in gestalterischen Fachbereichen. Dissertation. Vechta: VADo. DOI: 10.23660/voado-151.Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Thomas Hanstein
Beitrag als PDFUlrich Kumher: Die Rezeption des popkulturellen Films als Bildungsreise. Mediale Bildung als Förderung des Möglichkeitssinns
Anhand des Blockbusters ‚Jupiter Ascending‘ wird gezeigt, wie sich die Held*innenreise – ein Oberbegriff für bestimmte Baumittel einer Geschichte – und ein Bildungsverständnis, für das die Kategorie Möglichkeit und die Förderung des Möglichkeitssinns grundlegend sind, dafür eignen, das Bildungspotenzial speziell von Filmen der populären Kultur zu heben.
Literatur
Abraham, Ulf (2009). Filme im Deutschunterricht. Seelze-Velber: Klett/Kallmeyer (Praxis Deutsch).
Bohrmann, Thomas (2007). Die Dramaturgie des populären Films. In: Bohrmann, Thomas/ Veith, Werner/Zöller, Stephan (Hrsg.), Handbuch Theologie und populärer Film, Band 1. Paderborn: Ferdinand Schöningh, S. 15–39.
Dalferth, Ingolf U. (2011). Umsonst. Eine Erinnerung an die kreative Passivität des Menschen. Tübingen: Mohr Siebeck.
Fauser, Peter (2014). Ohne Vorstellung geht nichts. Über den Zusammenhang von Imagination und Lernen und einer Theorie der Vorstellung. In: Sowa, Hubert/Glas, Alexander/Miller, Monika (Hrsg.), Bildung der Imagination, Band 2: Bildlichkeit und Vorstellungsbildung in Lernprozessen. Oberhausen: Athena-Verlag, S. 61–97.
Fauser, Peter/Irmert-Müller, Gundela (1996). Vorstellungen bilden. Zum Verhältnis von Imagination und Lernen. In: Fauser, Peter/ Madelung, Eva (Hrsg.) unter Mitarbeit von Irmert-Müller, Gundela, Vorstellungen bilden. Beiträge zum imaginativen Lernen. Velber: Friedrich, S. 211–244.
Harten, Hans-Christian (1997). Kreativität, Utopie und Erziehung. Grundlagen einer erziehungswissenschaftlichen Theorie sozialen Wandels. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Hill, Grant/ Wachowski, Lana/ Wachowski, Lilly (Produktion), Wachowski, Lana/ Wachowski, Lilly (Regie). (2015). Jupiter Ascending [Spielfilm]. USA, Australien.
Musil, Robert (1987). Der Mann ohne Eigenschaften. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Vogler, Christopher (1998). Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Über die mythologischen Grundmuster des amerikanischen Erfolgskinos. Frankfurt a. M.: Zweitausendeins.
Ziebertz, Hans-Georg (2010). Woraufhin geschieht religiöse Erziehung? Aufgaben und Ziele religiösen Lernens. In: Hilger, Georg/Leimgruber, Stephan/Ziebertz, Hans-Georg (Hrsg.), Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf. München: Kösel, S. 155–173.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Ulrich Kumher
Beitrag als PDFEinzelansichtPaulina Domdey: Nutzung Sozialer Medien für geschlechtsbezogene Aushandlungsprozesse. Unsicherheiten und Orientierungsprobleme junger Frauen
Soziale Medien sind durchzogen von zahlreichen Rollenbildern und Geschlechterinszenierungen, die Norm- und Wertvorstellungen von Weiblichkeit repräsentieren und vermitteln. Diese ziehen junge Frauen als Orientierungsangebote und Vorbilder heran, um sich mit der eigenen Geschlechterrolle auseinanderzusetzen. Auf Basis qualitativer Studienergebnisse geht es im Beitrag um Unsicherheiten junger Frauen, die sich bei der Aneignung medialer Repräsentationen von Weiblichkeit ergeben.
Literatur
Bohnsack, Ralf (2003). Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. Opladen: Leske + Budrich.
Cohen, Rachel/Newton-John, Toby/Slater, Amy (2018). ‘Selfie’-objectification: The role of selfies in self-objectification and disordered eating in young women. In: Computers in Human Behavior, 79, 68–74. DOI: 10.1016/j.chb.2017.10.027.
Döring, Nicola (2015). Die YouTube-Kultur im Gender-Check. In: merz| medien + erziehung, 59 (1), S. 17–24.
Döring, Nicola (2020). Psychologische Zugänge zu Medien und Geschlecht: Medienpsychologie und Sozialpsychologie. In: Dorer, Johanna/Geiger, Brigitte/Hipfl, Brigitte/Ratković,Viktorija (Hrsg.), Handbuch Medien und Geschlecht. Wiesbaden: Springer VS, S. 1–15. DOI: 10.1007/978-3-658-20712-0_32-1.
Gill, Rosalind (2007). Postfeminist media culture: Elements of a sensibility. In: European Journal of Cultural Studies, 10 (2), S. 147–166-
Götz, Maya/Rodriguez, Ana Eckhardt (2019). Geschlechterdarstellung in Musikvideos. Televizion Digital, 1, S. 1–8.
Karsay, Kathrin/Knoll, Johannes/Matthes, Jörg (2018). Sexualizing Media Use and Self-Objectification: A MetaAnalysis. In: Psychology of Women Quarterly, 42 (1), S. 9–28. DOI: 10.1177/0361684317743019.
Luca, Renate (2003). Mediensozialisation. Weiblichkeits- und Männlichkeitsentwürfe in der Adoleszenz. In: Luca, Renate (Hrsg.), Medien. Sozialisation. Geschlecht. Fallstudien aus der sozialwissenschaftlichen Forschungspraxis. München: kopaed, S. 39–54.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2021). JIM-Studie 2021. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Stuttgart. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2021/JIM-Studie_2021_barrierefrei.pdf [Zugriff: 27.01.2022]
Mikos, Lothar (2010). Mediensozialisation als Irrweg – Zur Integration von medialer und sozialer Kommunikation aus der Sozialisationsperspektive. In: Hoffmann, Dagmar/Mikos, Lothar (Hrsg.), Mediensozialisationstheorien. Modelle und Ansätze in der Diskussion. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 27–46.
Prommer, Elizabeth/ Wegener, Claudia/Linke, Christine (2019). Selbstermächtigung oder Normierung? Weibliche Selbstinszenierung auf YouTube. https://www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/publikation/televizion/32_2019_1/Prommer_Wegener-Selbstermaechtigung_oder_Normierung.pdf [Zugriff: 27.01.2022]
Süss, Daniel (2008). Mediensozialisation und Medienkompetenz. In: Batinic, Bernard/Appel, Markus (Hrsg.), Medienpsychologie. Heidelberg: Springer Medizin Verlag, S. 361–378.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Paulina Domdey
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medienreport
Nicole Lohfink: Realität im Film. Starke Dokumentarfilme auf der Berlinale 2022
Nach der zweigeteilten Veranstaltung im Jahr 2021 wurde das internationale Filmfestival dieses Jahr unter strikten Pandemie-Bestimmungen wieder zusammengeführt und in physischer Präsenz mit den Filmemacher*innen vor Ort ausgerichtet. In der Sektion Generation entstand dabei mit Filmen rund um viel Bewegung, Musik und Begegnung ein Gegenprogramm zu inneren und äußeren Pandemie-Einschränkungen, gerade für die jungen Menschen. Dabei zeigte sich auch die Vielfalt und erzählerische Stärke des Dokumentarfilms: So blickt der portugiesische Film ‚Juunt Pastaza entsari‘ (‚Waters of Pastaza’) in die Lebenswelt der Kinder in einem Amazonas-Grenz-Gebiet. Die Bilder und Beobachtung entwickeln einen assoziativen Sog und einen Rhythmus, der die Zuschauer*innen schleichend in seinen Bann zieht und mit sich trägt, gleichsam wie auf dem allgegenwärtigen Wasser im Film. Mit dem niederländischen Film ‚Shabu‘ begegnet das Publikum einer klassischen Helden-Reise, die sich wie ein Spielfilm-Plot auftut und einen emotionalen Zugang zur Geschichte des 14-jährigen Jugendlichen Shabu bietet. ‚Allons enfants‘ (‚Rookies‘) aus Frankreich wiederum nähert sich mit investigativem Blick einer Idee und der daraus resultierenden Modellschule, sowie der Gefühlswelt und den Befindlichkeiten der jugendlichen Protagonist*innen.
‚ALLONS ENFANTS’ (ROOKIES) VON THIERRY DEMAIZIÈRE UND ALBAN TEURLAI
„Keine guten Noten – kein Tanz“ – das ist die Grundlage, die der Lehrer den Schüler*innen gleich zu Beginn in der neuen Schule mitgibt. In der Schule im Pariser Stadtzentrum ist Hip Hop für die aufgenommenen Schüler*innen eine wichtige Disziplin, in der sie mit Training auf Wettbewerbe hin leistungsorientiert herausgefordert werden. Dennoch ist Tanz hier auch als Weg gedacht, ein problematisches Umfeld und familiäre Belastungen zu bewältigen, das Lernen ernst zu nehmen, und Bildung und Zukunftschancen zu erhalten. Hip Hop ist für viele der einzige Weg, sich und alles was in ihrer Welt passiert auszudrücken, wo ihnen sonst die Worte fehlen. In Gesprächen teilen die Jugendlichen nach und nach ihre Geschichten mit, zum Beispiel die Erkenntnis, dass es eine Welt ohne ständig präsente, offensichtliche Gewalt gibt – und das einfach nur jenseits des eigenen Stadtviertels, obwohl noch immer in der gleichen Stadt. Die beeindruckte Verwunderung bei manchen Jugendlichen über den Unterschied zwischen dem, was sie erlebt haben und alternativen Lebensrealitäten regt das Hinterfragen der eigenen Erfahrungen an. Auch stark verwurzelte kulturelle Routinen, die Identifikation über Sprachgewohnheiten, über äußere Erscheinung und ethnische Zugehörigkeit werden durch das – gemeinsame – Tanzen plötzlich einfach nur eine Wahrnehmung, die nicht unbedingt eine Reaktion nach sich ziehen muss. Die Noten sind in der Schule immer noch wichtig, aber es findet ein Paradigmenwechsel statt, was den Weg zu einer guten Leistung angeht.
Thierry Demaizière arbeitete als Auslandskorrespondent für das französische Radio RTL weltweit in Krisengebieten. Alban Teurlai war über zehn Jahre als selbstständiger Editor tätig. 2009 gründeten sie die Produktionsfirma Falabracks und realisieren seither Dokumentarfilme. ‚Allons enfants‘ lief als Eröffnungsfilm in Generation 14plus der diesjährigen Berlinale.
‚JUUNT PASTAZA ENTSARI‘ (‚WATERS OF PASTAZA’) VON INÊS T: ALVES
Der Film begleitet Kinder in einer kleinen Dorfgemeinde, die zu den Achuar-Gemeinden im Regenwald des Amazonas gehört. Hier, in Grenznähe zwischen Ecuador und Peru, blickt das Publikum mit ihnen und durch sie in eine Parallelwelt zu den Erwachsenen. Die Kinder sind hier unter sich und ihre Lebenswelt beinhaltet unaufgeregt Abläufe des täglichen Lebens und der Haushaltsorganisation ebenso wie Schlamm-Fußball während einer Regenphase. Über lange Zeit gehen die Kinder ihren täglichen Arbeiten nach, in der zum Spielen neben selbstgestalteten Spielsachen genauso auch das Holz sammeln, Fischen, Backen, Töpfern und Obst Ernten gehört. Wasser ist ein Bestandteil der Arbeit, der Lebensgrundlage, beinahe der Wohnungseinrichtung. Die Behausung und das Werkzeug, alles ist sehr einfach, und dass es Strom gibt, wissen Zuschauende nur, weil hier und da auch mal ein Smartphone sichtbar wird, das für Hintergrundmusik sorgt oder für ein Spiel genutzt wird. Es sind so gut wie nie Erwachsene zu sehen – erst am Schluss gibt es eine Szene, in der Erwachsene eine Rolle spielen. Doch das wirkt beinahe wie ein Unfall, und wird so zu einer Umkehrung der Lebenswelten. Wenn die Gruppe der Erwachsenen ein frisch aus Holz gefertigtes Boot durch den dichten Regenwald schiebt und zerrt, auf dem Weg zum Fluss-Ufer, dabei lacht und ruft, sind die Gesichter jung und alt zugleich. So entsteht ein fast meditativer Einblick in eine ganz eigene Welt, tief geprägt von der Landschaft und dem Wasser des Amazonas Gebietes.
Inês T. Alves entwickelt Filmworkshops für verschiedene Altersgruppen und experimentiert mit dem portugiesischen Kino-Kollektiv Movimento mit Community-basierter Filmkultur. ‚Juunt Pastaza entsari‘ist ihr Langfilmdebüt undlief in Generation kplus der diesjährigen Berlinale.
‚SHABU‘ VON SHAMIRA RAPHAËLA
Der niederländisch-karibische Shabu ist 14 Jahre alt und lebt in einem der berüchtigtsten Stadtviertel im Süden Rotterdams, im ‚The Paperclip’. Er träumt davon, Musiker zu werden und auf der Bühne zu stehen, inklusive viel Geld und einem schnellen Auto. In seiner Unbedarftheit hat er eine Dummheit gemacht und damit die wichtigste Frau in seinem Leben verärgert, seine geliebte Großmutter. Er muss wieder gutmachen, dass er ihr Auto auf einer Spritztour zu Schrott gefahren hat, während sie auf Verwandten-Besuch in Surinam ist. Die Erwachsenen waschen ihm gründlich den Kopf, machen ihm klar, dass er nun Schulden zurückzuzahlen hat und im Sommer Geld verdienen muss. Wenn sich der fröhliche Shabu mit Percussions-Rhythmen auf allen zur Verfügung stehenden Oberflächen durch seine Tagträume musiziert, ist die Sehnsucht, sich in der heißen Sommerzeit treiben zu lassen und jede Verantwortung zu vergessen, spürbar. Shabu merkt aber, dass es mit einer einfachen Entschuldigung nicht getan ist, als seine Großmutter nicht mehr täglich mit ihm spricht. Mit seiner Musik und der Unterstützung im Viertel will er ein sommerliches Konzert ausrichten, dessen Erlös seine Großmutter erhalten soll. An der Schwelle zwischen Kind und Heranwachsendem erinnert Shabu selbst das Publikum daran, hinter den ersten Eindruck zu schauen, wenn er seinen Freunden beschreibt, dass er aufgrund des Körperbaus immer älter wahrgenommen wird, obwohl er erst 14 Jahre alt ist. Und so erlebt seine Umgebung ihn entweder fröhlich und überschwänglich oder aber verhalten, beinahe distanziert. Dazwischen kämpft er mit der Umsetzung seines Plans, der Dynamik von Beziehungen, insbesondere zu seiner Freundin und zu seinem besten Freund, sowie der Auseinandersetzung mit der eigenen Musik. Erst in einem Schlüsselmoment ist zu erkennen, wie sehr es hinter dem ruhigen Äußeren arbeitet und das Kind und der junge Erwachsene in ihm ihren Weg suchen. Als seine zurück gekehrte Großmutter überraschend wieder vor ihm steht, bricht Shabu in Tränen aus, rennt zu ihr und schluchzt in ihren Armen mit den Worten „Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid!“.
Das Konzert ist ein Erfolg – für den geplanten Zweck ebenso, wie für Shabus Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und seiner Großmutter zu zeigen, wieviel ihm ihre Liebe bedeutet. Eine klassische Helden-Reise, die aus dem Leben gegriffen ist.
Regisseurin Shamira Raphaëla studierte an der ArtEZ Academy of Art & Design in Arnheim. Neben ihrer Arbeit als Filmemacherin ist sie für das Kurzfilmprogramm des Internationalen Film Festivals Rotterdam verantwortlich und Mitbegründerin der Initiative framing of us. Shabu erhielt eine Lobende Erwähnung der Jury und lief in Generation kplus der diesjährigen Berlinale.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Nicole Lohfink
Beitrag als PDFEinzelansichtAnna-Clara Pentz: History Voices. Mit ‚Playbooks‘ die Geschichte der Demokratie erleben
Die Geschichte der Demokratie selbst mitzuerleben, das ermöglichen die Playbooks von History Voices. In der bisher erschienenen ersten Episode ‚Antike‘ tauchen Schüler*innen an der Seite des Protagonisten Tramos in die Entstehung der Demokratie ein und müssen sogar selbst dazu beitragen, dass die politische Reform gelingt. An Tramos‘ Seite erleben sie den Tag, an dem Solon der Weise, ein griechischer Aristokrat, zum Archon gewählt wird. Durch Solons Reformen wurden die Schuldsklaverei abgeschafft, die Volksversammlung und das Mitspracherecht der unterschiedlichen Klassen eingeführt und damit ein wichtiger Grundstein für die Demokratie in Athen gelegt. Er schränkte die Macht des Adels ein und verwandelte die Aristokratie in eine Timokratie. Die fiktive Figur Tramos, der Sohn eines Athener Aristokraten, erfährt an seinem 18. Geburtstag, wie wichtig es ist, die Schuldsklaverei abzuschaffen und auch den Kleinstbäuer*innenn Rechte zuzusprechen. Er überzeugt seinen Vater und weitere wichtige Entscheidungsträger, Solon wiederzuwählen.
Die Handlung beginnt am Morgen von Tramos‘ Geburtstag. Die Spieler*innen begleiten den Protagonisten zu einem Geburtstagspicknick mit seinem besten Freund Heloss in einem Olivenhain vor den Toren Athens. Auf dem Weg dorthin begegnet Tramos Solon und erfährt von seiner Idee einer Reform. Als nach dem Picknick sein bester Freund Heloss, ein Schuldsklave von Tramos‘ Familie, festgenommen wird und Tramos die Ungerechtigkeit gegenüber Sklav*innen mit eigenen Augen mitansieht, beginnt er, sich intensiv mit der Politik auseinanderzusetzen und sich für seinen Freund und die Schuldsklav*innen und Kleinstbäuer*innen einzusetzen und Solons Reform zu unterstützen. In Gesprächen mit Solon, Heloss und später mit seinem Vater und Großvater lernt Tramos viel über die politische Lage in Athen. Das Playbook vermittelt die historischen Ereignisse dieses wichtigen Tages für die Demokratie durch Storytelling und Gameplay-Elemente, zielt dabei jedoch nicht auf das Belohnungssystem im Gehirn ab, sondern weckt durch das Narrativ um Tramos und seinen Freund Heloss die Neugierde der Kinder und Jugendlichen. Sie erfahren nämlich in interaktiven Dialogen von der Ungerechtigkeit und Ungleichheit zwischen den Klassen, die in der Polis Athen besteht. Die Dialoge werden dabei per Multiple-Choice bei Tramos‘ Interaktionsmöglichkeiten gelenkt. So schlüpft die*der Spielende in die Rolle von Tramos und kann, je nach Interesse, tiefer in die Politik Athens eintauchen oder auch nur die grundlegenden Informationen zur Demokratie erfahren. Größere Neugierde wird im Glossar belohnt. Hier kann eingesehen werden, wie viele Informationen zu bestimmten Themengebieten aufgedeckt wurden und eine kleine Eule oben in der Ecke belohnt dies mit dem Bronze-, Silber- oder Goldstatus. Ein weiteres spielerisches Element sind die Gegenstände, die betrachtet oder eingesammelt werden können. Sie liefern zusätzliche Informationen zu der Zeit und den religiösen und politischen Bräuchen. Am Ende gilt es, das Wissen und die gesammelten Argumente einzusetzen, um vor der Wahl weitere wichtige Aristokrat*innen davon zu überzeugen, Solon zu wählen.
Im Playbook begegnet den Spielenden zu Beginn und am Ende der Episode im ‚Tempel des Wissens‘ der ‚Geist der Menschheit‘. Der Geist liegt in Ketten. Man erfährt, dass die Taten der Menschen, wie Kriege, die Ausbeutung der Natur und Ungerechtigkeit, diese Ketten geschmiedet haben und dass mit dieser Episode eine der Ketten gesprengt werden kann. Befreit wird der Geist der Menschheit mit dem Wissen der Menschen um Freiheit und Gerechtigkeit. Die Geschichten, die in fünf Episoden erzählt werden sollen, erklären je eines der fünf Symbole im Tempel des Wissens, die für Gewaltenteilung, Vernunft, Glaubensfreiheit, Humanismus und Säkularisierung stehen. Gemeinsam mit den vier folgenden Episoden, ‚Die Römer‘, ‚Das Mittelalter‘, ‚Die Rennaissance‘ und ‚Die Neuzeit‘ sollen also Demokratie und die Werte der Aufklärung vermittelt werden.
Die Playbooks basieren auf den Lehrplänen der Bundesländer. Mit den Begleitmaterialien, die QR-Codes und weiterführende Rätsel, Hinweise und Tipps enthalten, können sie also adäquat in den Geschichtsunterricht eingebaut werden. Eine entsprechende Schul-Lizenz ermöglicht einen Admin-Modus, in dem Lehrkräfte gezielt zu bestimmten Themen springen können. Doch auch außerhalb des Unterrichts vermitteln die Playbooks spielerisch und spannend Wissen zu Demokratie und den Werten der Aufklärung.
History Voices (2022). Playbook Antike. Bildungssoftware, Altersempfehlung: ab 5. Klasse, browserbasiert. www.history-voices.de. Ab 39,99 €.
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Autor: Anna-Clara Pentz
Beitrag als PDFEinzelansichtAnna-Clara Pentz: Serious Game ‚Spuren auf Papier‘ zu Euthanasie
Bereits seit den 1980er Jahren sind Medien ein wichtiges Mittel der Erinnerungsarbeit bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus‘. Von Dokumentationen über Spielfilme bis hin zu Apps und Games heute – es gibt vielfältige Angebote, die verschiedene Themen und Aspekte der NS-Zeit thematisieren, damit über die Generationen hinweg die Grausamkeit nicht vergessen wird und die Geschichte sich nicht wiederholt. Das Serious Game ‚Spuren auf Papier‘ des Gedenkkreises Wehnen e.V. setzt sich mit der Euthanasie, der systematischen Vernichtung von sogenannten ‚Kranken‘ in der NS-Zeit, auseinander. Dieses dunkle Thema wird am Beispiel der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Wehnen erzählt. Im von der Produktionsfirma Playing History produzierten Game durchlebt die*der Spielende das Geschehene anhand der Geschichte der fiktiven Figuren Anna und Josephine. Josephine erzählt anhand des Tagebuchs ihrer Schwester die tragische Geschichte der Familie, die schon beim Selbstmord des Vaters 1936 beginnt, der von den Nationalsozialisten aufgrund seiner Melancholie, die vermutlich auf Traumata aus dem Ersten Weltkrieg zurückzuführen war, als depressiv und damit als ‚erbkrank‘ eingestuft worden war. Damit wurde ihm nach der Gesundheitspolitik der Nazis seine Kriegsrente entzogen und der Familie somit ein großer Teil ihrer Lebensgrundlage. Anschließend beschreibt Josephine das Schicksal ihrer Schwester Anna, die ebenfalls unter der Diagnose ‚depressiv‘ in der Anstalt in Wehnen untergebracht war und dort letztendlich auf sehr fragliche Weise ‚verstirbt‘. Jedoch ist das Tagebuch zunächst leer. Die Geschichte muss erst ‚erspielt‘ werden.
In zehn Kapiteln erfährt die*der Spielende anhand von Tagebucheinträgen und Dokumenten, wie dem ärztlichen Befund, dem Einweisungsbericht und Auszügen aus der Krankenakte Annas von deren Schicksal. In Zeichnungen hat Anna ihre Gefühle und ihren Alltag in Wehnen festgehalten. In diesen Zeichnungen gilt es, Handlungen durchzuführen, etwa eine Person durch ein vernebeltes Labyrinth zu führen oder die Gitterstäbe vor einem Fenster zu verbiegen. Mit jeder Aktion werden neue Bruchstücke der Geschichte aufgedeckt. Dabei wird die Zwangssterilisation der ‚Kranken‘ in der Heil- und Pflegeanstalt ebenso thematisiert wie die schlimme Versorgungslage und das systematische Aushungern der Patient*innen während der Kriegsjahre. So tauchen etwa Zahlen und Rations-Zuweisungen auf, sowie ein Brief des Verwaltungsleiters der Anstalt Wehnen, Heinrich Siems, der sich in einem Schreiben an die Kreisbauernschaft 1942 seines Sparkurses rühmte. Durch seine Hungerpolitik starben zahlreiche überwiegend nicht arbeitsfähige Patient*innen. Die Dokumente um Annas persönliches Schicksal sind dabei alle Originalakten aus Wehnen nachempfunden, andere Dokumente, wie etwa der Brief, sind realhistorische Zeugnisse der Euthanasie. Die Geschichte Annas steht dabei exemplarisch für die Geschichte der Patient*innen in Wehnen und in anderen Heil- und Pflegeanstalten während der Zeit des Nationalsozialismus‘.
Angelegt ist das Serious Game zur Einbindung in den Schulunterricht. Das Spiel sowie ein dazugehöriges Handbuch, das ebenfalls kostenfrei auf der Website verfügbar ist, sind für eine Doppelstunde für Schulklassen ab der 9. Klasse konzipiert. Das Handbuch liefert zusätzlich zum Spiel Hintergrundinformationen zu den im Tagebuch angesprochenen Themen und verifiziert die Quellen und die Informationen darin. ‚Spuren auf Papier‘ bietet jedoch für alle Geschichtsinteressierten auch außerhalb des Schulkontexts durch das selbstständige Aufdecken und Nachforschen eine kurzweilige Geschichtslektion zu Euthanasie. Das sensible Thema der Krankenmorde wird dabei angemessen behandelt und trotz des Computerspiel-Charakters geht die Ernsthaftigkeit nicht verloren, sondern wird in behutsamer und pietätvoller Weise vermittelt.
Dieses Projekt wurde entwickelt im Rahmen von ‚dive in. Programm für digitale Interaktion‘ der Kulturstiftung des Bundes, gefördert durch das Rettungs- und Zukunftspaket der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Programm ‚NEUSTART KULTUR‘.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Anna-Clara Pentz
Beitrag als PDFEinzelansicht
publikationen
Sebastian Ring: Games im Deutschunterricht
Schöffmann, Andreas (2021). Digitale Spiele aus deutschdidaktischer Perspektive. Herausforderungen für den Unterricht. Heidelberg: J.B. Metzler. 282 S., 54,99 €.
Der wissenschaftliche Diskurs über digitale Spiele differenziert sich zunehmend. Das gilt auch für jene Disziplinen, die sich mit Fragen des spielbasierten Lernens befassen. Insgesamt lässt sich aber nach wie vor ein starker Bedarf an wissenschaftlicher Reflexion und Forschung feststellen – nicht nur hinsichtlich der Breite der Fragestellungen, sondern auch in Hinblick auf die Tiefe der Auseinandersetzung.
Die Dissertationsschrift von Andreas Schöffmann, die er an der LMU München vorgelegt und zum Jahresende 2021 veröffentlicht hat, stellt einen Beitrag zur fachspezifischen Forschung im Bereich der Deutschdidaktik dar – und obgleich der Deutschunterricht als medienkulturwissenschaftliches Fach im Mittelpunkt steht, dient sie sicher auch Fachkräften in Bildungsfeldern außerhalb der Schule als Inspiration. Andreas Schöffmann ist zudem einer der Köpfe der Redaktion der Onlinezeitschrift für Computerspielforschung Paidia, deren Spektrum medien- und kulturwissenschaftliche Perspektiven umfasst.
Die Publikation in zugänglicher Sprache gibt tiefergehende Antworten auf die Frage nach Herausforderungen des Einsatzes von digitalen Spielen im Deutschunterricht. Dabei werden Games mit unterschiedlichen deutschdidaktischen Konzepten in Verbindung gebracht. Sie werden dabei aber nicht verkürzt lediglich als Text oder Erzählung verstanden. Vielmehr wird eine breitere medienwissenschaftliche und ludologische Perspektive eingenommen, die auch Aspekte des Spielens und der Simulation (sowie deren Kombination) berührt und damit der spezifischen Medialität digitaler Spiele Rechnung trägt. Entsprechend ist auch das Verständnis von Games als Bildungsmedien in dieser Publikation durchaus breit angelegt und umfasst auch Fragen des Medienkompetenzerwerbs, der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und Werteentwicklung.
Diese Arbeit bestärkt Lehrkräfte darin, digitale Spiele in der Bildungspraxis einzusetzen. Sie zeigt in einem theoretisch gut begründeten Rahmen Handlungszugänge zum Einsatz von digitalen Spielen auf. Ein zentrales Ziel der Arbeit ist die Herleitung eines Analyseansatzes (Herausforderungsanalyse), der Impulse für den Deutschunterricht gibt, in dem Heranwachsenden Methoden und Werkzeuge zur Verfügung gestellt werden, mit deren Hilfe sie Computerspiele analysieren können. Der Ansatz kann zudem als theoretische Grundlage deutschdidaktischer Forschung herangezogen werden.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Sebastian Ring
Beitrag als PDFEinzelansichtAnna-Clara Pentz: Mediale Stimmentwürfe
Erbe, Marcus/Riffi, Aycha/Zielinski, Wolfgang (Hrsg.) (2022). Mediale Stimmentwürfe. Perspectives of Media Voice Designs. München: kopaed. 199 S., 16,80 €.
‚Künstliche Stimmen‘ sind in unserer heutigen Zeit längst alltäglich: ob das Navi, Smartsystems wie Alexa, Siri, Cortana und Co, oder auch Voice-Filter in den gängigen Social-Media-Plattformen. Computergenerierte Stimmen sind nicht mehr nur Inhalt der Science-Fiction. Das Forschungsprojekt ‚Kulturelle Implikationen medial konstruierter Stimmen‘ des Grimme-Forschungskollegs an der Universität zu Köln hat ganz unterschiedliche mediale Stimmentwürfe unter theoretischen, medienpraktischen und kulturübergreifenden Aspekten in den Blick genommen. Für das Projekt sind Vertreter*innen aus der Musik-, Theater- und Filmwissenschaft, der Computerlinguistik und dem Voice-Design sowie Rundfunkredakteur*innen, Medienautor*innen, Schauspieler*innen und Kommunikationsberater*innen zusammengekommen. In der Publikation ‚Mediale Stimmentwürfe – Perspectives of Media Voice Design‘ nehmen die Autor*innen ganz unterschiedliche Phänomene und Facetten medialer Stimmentwürfe in den Blick und durchleuchten, welche Sozialvorstellungen diesen innewohnen. Die interdisziplinäre Perspektive wird erweitert durch einen internationalen Blick auf das Thema. So betrachten Dumisani und Kundai Moyo aus Südafrika etwa die Radio-Stimme als wichtiges und ausdauerndes Instrument der Macht in Afrika. Die brasilianischen Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Kurator*innen Lílian Campesato und Fernando Iazzetta werfen einen Blick auf Beispiele aus der bildenden Kunst, der Popmusik und des Geisterglaubens, anhand derer sie das Zusammenspiel von Hervorbringung, Repräsentation, Wahrnehmung und Bewertung stimmlicher Laute beschreiben. Die Vielfalt spiegelt wider, dass der Forschungszweig der Voice Studies global aufgestellt ist. Aus diesem Grund sind auch oben genannte und weitere Beiträge des Sammelbands in englischer Originalsprache.
Gegliedert ist der Band in vier Themengebiete. Oben genannter Beitrag von Campesato und Iazzetta bildet gemeinsam mit einem Artikel der Musikwissenschaftlerin Katherine Meizel zu den soziokulturellen Faktoren, die es beim Einsatz aktueller Stimmtechnologien mitzudenken gilt, eine Einführung in die heutige Stimmforschung. Anschließend widmet sich ein Kapitel künstlichen Stimmen, wobei sowohl der technische Aspekt der Erzeugung künstlicher Stimmen als auch sprachwissenschaftliche Perspektiven auf das Phänomen der Konzeption von Geschlechteridentität künstlicher Stimmen abgebildet werden. Bei Christine Bauer und Johanna Devaney geht es um die ‚Vergeschlechtlichung‘ künstlicher Stimmen und inwiefern dies mit der speziellen Funktion der Stimme in einem gegebenen Kontext zusammenhängt. Sie betrachten dabei auch, inwiefern bei ‚Stimme‘ über die binäre Betrachtung von Gender hinausgegangen werden kann und wie etwa eine genderneutrale künstliche Stimme in Sprachassistenten klingen könnte. Komplettiert wird das Kapitel von zwei Interviews mit Praktikerinnen aus der Voice-Branche; der Computerlinguistin Laura Dreessen, die an der Entwicklung intuitiv handhabbarer Assistenzsysteme arbeitet, und Stefanie Ray, die als Autorin im Auftrag von Amazon an der Persönlichkeit der deutschsprachigen Alexa mitgewirkt hat. Im daran anschließenden Teil ‚Künstlerische Stimmen‘ werden vokale Praktiken im Film, in der Popmusik und im Gegenwartstheater behandelt. Hier wird auf das Artifizielle audiotechnisch fixierter Stimmen und frühe Synchronisationsverfahren im Film ebenso eingegangen wie auf die Möglichkeiten und Auswirkungen der Stimmveränderung in der Musik oder den Wandel der Stimme im Theater durch die Mediatisierung. Die drei Beiträge zeigen, wie die Künste mit ‚Stimme‘ arbeiten und nehmen auf unterschiedliche Weise Entwicklungen in den Blick. So führt die Kinematografin Oksana Bulgakowa etwa die ersten nachträglichen Vertonungen von Stummfilmen an und geht auf die Diskussion um die Konstruiertheit filmischer Stimmen ein und betrachtet anschließend nordamerikanische, russische, französische und deutsche Produktionen, in denen gespaltene Persönlichkeiten durch die Trennung von Stimme und Körper künstlerisch umgesetzt wurden. Nach der Betrachtung mehrheitlich neuerer Medientechnologien in den vorangegangenen Beiträgen, schließt das Buch mit einem Blick auf das traditionelle und gleichsam beständige auditive Medium Radio. In ‚Radio-Stimmen‘ wird diese unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet, wobei auch auf die Effekte digitaler Werkzeuge auf den Rundfunk eingegangen wird.
Der Sammelband gibt spannende Einblicke in das Themenfeld der medialen Stimmen und führt viele gesellschaftlichen Diskurse, etwa zur Vermenschlichung der Technik, in den Raum. So geht es ebenso um Geschlechterstereotype wie um Betrugsmaschen und Fake News durch Audio-Klone. Eine Betrachtung Kate Bushs 80er-Jahre-Sound, der mit den damaligen technischen Möglichkeiten gespielt hat, steht hier neben den technologischen Innovationen, die es ermöglichen, dass Computer mithilfe künstlicher Intelligenz menschliche Stimmen klonen können. Die technischen Errungenschaften werden ebenso in den Blick genommen wie die historische Entwicklung medialer Stimmen: von der nachträglichen Vertonung von Stummfilmen bis hin zu vokalen Designs in Applikationen und Betriebssystemen. Die Perspektiven sind vielseitig und zeigen auf, wie omnipräsent künstliche Stimmen sind. Der Band ist in der ‚Schriftenreihe zur digitalen Gesellschaft NRW‛ erschienen.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Anna-Clara Pentz
Beitrag als PDFEinzelansichtKati Struckmeyer: Mini-Handbuch Digitale Resilienz. Herausforderungen einer (hoch)-dynamischen Arbeitswelt
Dreier, Rolf/Kelle-Gilles, Nina Charlotte/Keller, Katrin/Kindt, Angelika/Scheufele, Ines (Hrsg.) (2022). Mini-Handbuch Digitale Resilienz. Herausforderungen in einer (hoch-) dynamischen Arbeitswelt. Weinheim: Beltz. 190 S., 29,95 €.
Was passiert in Zeiten der Krise, Zeiten von Veränderung und in Zeiten der Verflechtung von beruflichen und privaten Aktivitäten? Wie lässt sich mit den Herausforderungen dieser Phänomene umgehen? Bei diesen Herausforderungen, die meist eine Entscheidungs- und Handlungsnotwendigkeit mit sich ziehen, wird oft von ‚digitaler Resilienz‘ gesprochen. Um diesen noch recht neuen Begriff der digitalen Resilienz greifbarer zu machen, betrachten die Autor*nnen des ‚mini-handbuch Digitale Resilienz‘ einige Themengebiete rund um diese Thematik intensiv.
Gegliedert ist der Band in fünf Themengebiete: ‚Auf in eine neue Welt – Herausforderung und Gelegenheit zugleich‘; ‚Wenn das Leben Zitronen reicht, mache Limonade daraus – Annäherungen an Resilienz‘; ‚Herausforderung Führung – weg von der Hierarchie hin zu einer zukunftsorientierten Arbeitskultur 4.0‘; ‚Permanente Veränderung nachhaltig meistern‘ und ‚Wie ich lernte, die Veränderung zu lieben!‘ Gleich zu Beginn des Buches beleuchtet Personalentwicklerin Ines Scheuffele die Veränderungen, die das 21. Jahrhundert für das Arbeitsleben mit sich bringt, kombiniert mit einer Betrachtung der unterschiedlichen Generationen auf dem Arbeitsmarkt und einem Blick auf das, was es mit Krisen im digitalen Zeitalter auf sich hat. Am Ende dieses Kapitels taucht auch die Definition ‚digitaler Resilienz‘ aus Sicht der Autor*innen auf, welche die Basis für das Buch bildet: „Unter digitaler Resilienz werden die Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit von Menschen und Organisationen verstanden, sich digitalen Entwicklungsprozessen anzupassen und digitalen Krisen widerstandsfähig entgegenzutreten, die eigene Handlungsfähigkeit zu erhalten und zu erweitern sowie das eigene Krisenmanagement daran orientiert auszurichten.“ (S. 46). Im zweiten Teil des Buches werden von Katrin Keller (Professorin für Gesundheitspädagogik und Personalentwicklung) verschiedene Facetten von Resilienz vorgestellt und erklärt, wieso Haltung in diesem Kontext von hoher Bedeutung ist. Auch Teamentwicklung und teambasierte bzw. organisationale Resilienz werden erläutert. Im folgenden Kapitel widmet sich Nina Charlotte Kelle-Gilles, Projektmanagerin und Gründerin, den Herausforderungen, denen sich Führungskräfte in einer digitalen Arbeitswelt stellen müssen. Weiterhin gibt sie einen Einblick in die Begrifflichkeit der ‚New Work‘, auch in Bezug auf Digitalisierung und belegt die These: „Resilienz + Führung = zukunftsorientierte Arbeitskultur“ (S. 112). Im vierten Teil des Bandes setzt sich Rolf Dreier, Führungskraft für Hochschuldigitalisierung, damit auseinander, welche Wechselwirkung zwischen Widerstandsfähigkeit und Widerstandstätigkeit herrscht und wieso eine Berücksichtigung beider Begrifflichkeiten so wichtig ist. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, wie durch die Kombination von Widerstandsfähigkeit und -tätigkeit sowie Anpassungsfähigkeit und -tätigkeit die gewünschte Wirksamkeit erzielt wird. Beraterin und Coach Angelika Kindt legt im letzten Kapitel dar, wie man (digitalen) Veränderungen positiv begegnet und sie dadurch leichter annehmen und in das eigene Leben integrieren kann.
Viele grafisch abgesetzte Übungen, Zusammenfassungen, Beispiele und vor allem zahlreiche Literatur- und Linktipps ergänzen die jeweiligen Kapitel und regen dazu an, sich mit dem einen oder anderen Thema noch intensiver zu beschäftigen. Dem interdisziplinären und intergenerationellen Autor*innenteam ist es gelungen, den Begriff ‚digitale Resilienz‘ greifbar zu machen und ihn aus ganz verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Anregungen dürften alle Menschen finden, die in sich verändernde (digitale) Prozesse eingebunden sind, sowie Führungskräfte, die diese Prozesse sinnvoll und nachhaltig in ihren Einrichtungen gestalten wollen.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Kati Struckmeyer
Beitrag als PDFEinzelansichtUlrike Emlinger: Dokumentarisches Erzählen, Oder: Fiktion als Teil von Dokumentation?
Medienradar (2021). Dokumentarisches Erzählen. Dossier. www.medienradar.de/dossiers.
Was haben Reportagen, Livestreams, True Crime und Dokudrama gemeinsam? Welcher Gestaltungsmittel bedienen sie sich zu welchem Zweck? Antworten auf diese und weitere Fragen gibt das neue Dossier ‚Dokumentarisches Erzählen‘ auf der Lernplattform Medienradar.
Neben dem künstlerischen Dokumentarfilm werden Fernsehformate sowie neuere dokumentarische Formate auf Social-Media-Plattformen betrachtet. Dabei zeigt sich, dass sich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zum Teil auflösen. Umso wichtiger ist der Aufbau von Medienkompetenz, um derartige Formate kritisch hinterfragen zu können. Das Dossier gibt daher nicht nur einen Überblick über aktuelle nonfiktionale Formate. Es beschäftigt sich auch mit Rezeptionserwartungen: So berichten beispielsweise Jugendliche im Feature ‚Aber trotzdem geht das ja irgendwie in mein Gehirn!‘, was sie an Reality-Formaten interessiert und welche Wirkungsvermutungen sie aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen haben.
Hinzu kommt umfangreiches Lehrmaterial ab Klassenstufe 5: Neben einem Aufgaben-Set zu Reality-TV wurde in Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) und VISION KINO modular aufgebautes Unterrichtsmaterial zum Dokumentarfilm entwickelt: Schüler*innen lernen dabei unter anderem, wie filmgestalterische Mittel im Dokumentarfilm eingesetzt werden, um Authentizität und Glaubwürdigkeit herzustellen und die Wahrnehmung des Publikums zu lenken. Ergänzend bietet das eigens für das Dossier erstellte Glossar Dok Spot eine Vielzahl gut verständlicher Definitionen und Erklärungen zu verschiedenen Bezeichnungen und Formaten des Dokumentarischen. ‚Dokumentarisches Erzählen‘ ist bereits das sechste Dossier, das auf Medienradar erschienen ist. Erneut gelingt es den Macher*innen, das gewählte Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und so zum Nachdenken anzuregen. Das liegt am Konzept: Zu jedem Thema gibt es nicht nur umfangreiches Hintergrundwissen in Form von Artikeln aus Fachzeitschriften, Essays und Expert*inneninterviews, Videos oder Radio-Features. Medienradar stellt auch didaktisch aufbereitetes Material in Form von Aufgaben-Sets für Unterrichtseinheiten, Arbeitsblättern mit Anregungen für Hausaufgaben, Präsentationen und Lernvideos zur Verfügung. Besonders praktisch ist dabei die Suchfunktion: Lehrende können Inhalte thematisch, nach bundesländerspezifischen Lehrplanvorgaben oder nach Klassenstufen sortieren.
Unter ‚Extras‘ findet sich zudem ein Glossar mit Begriffen rund um Medien, Medienpädagogik und Jugendmedienschutz sowie Empfehlungen anderer medienpädagogischer Angebote. In dieser Rubrik ebenfalls angesiedelt ist das Medienbarometer: In kurzen Video-Statements erklären Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren ihre Sicht auf Medien und die Themen der Dossiers. Das Videoprojekt wird laufend fortgeführt. Eine Online-Variante ist in Planung – mit virtueller Videokabine und Abstimmungstool, die es einem breiteren Personenkreis ermöglichen soll, sich zu beteiligen. Medienradar ist ein Projekt der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und nimmt seit 2020 aktuelle Medienthemen in den Blick. Gefördert wird das interaktive Medienbildungsportal unter anderem durch die Bundeszentrale für politische Bildung. Es richtet sich an Fachkräfte in Schulen und Jugendarbeit.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Ulrike Emlinger
Beitrag als PDFEinzelansichtAnna-Clara Pentz: Kircheldorff, Cornelia (2022). Gut vernetzt oder abgehängt? Gelingendes Altern in der digitalen Welt. Stuttgart: Kohlhammer. 132 S., 19,00 €
Der demografische Wandel in Deutschland ist in vollem Gange. Die Altersstrukturen verändern sich kontinuierlich. So geschieht aktuell eine Überalterung der Bevölkerung. Gleichzeitig wird die Zeit durch die Digitalisierung immer schnelllebiger. Wer hier mithalten will, muss immer offensiver und konstruktiver im Umgang mit Veränderungen sein. Hieraus ergeben sich Handlungsbedarfe: Es gilt die ältere Generation abzuholen und zu begleiten, damit diese mit den digitalen Entwicklungen Schritt halten kann.
‚Gut vernetzt oder abgehängt?‘ beleuchtet die Handlungsoptionen und Herausforderungen im sozialen, pflegerischen und gerontologischen Bereich. Neben allgemeinen Betrachtungen des Lebens im Alter in der digitalen Welt, nimmt die Autorin Cornelia Kircheldorff anhand von Fallbeispielen die Bedarfslage in den Blick. So nimmt sie etwa das Potenzial digitaler Medien bei der Alltagsgestaltung in der nachberuflichen Phase in den Blick, wie Beratungs- und Bildungsangebote sowie die Möglichkeiten zur sozialen Vernetzung. Außerdem geht es auch um die Handlungsmöglichkeiten durch digitale Technologien bei altersbedingten Einschränkungen und in Pflegesettings. Im Folgekapitel werden Denkanstöße gegeben, wie soziale Alterskategorien überdacht, technikorientierte Kompetenzen vermittelt und digitale Souveränität ermöglicht werden sollten. Hier werden auch ethische Fragen und Dilemmata beleuchtet. Das Buch enthält abschließend eine Auflistung von Anlaufstellen und Organisationen. Weiterführende Links verweisen auf Angebote für ältere Menschen im Bereich Technik und Digitalisierung.
Das Buch ist ein hilfreicher Ratgeber für Personen in der Altenpflege gleichermaßen wie Angehörige und ältere Menschen selbst, die mit den Entwicklungen Schritt halten wollen.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Anna-Clara Pentz
Beitrag als PDFEinzelansichtIsabel Klotz: Knaus, Thomas/Junge, Thorsten/Merz, Olga (Hrsg.) (2022). Lehren aus der Lehre in Zeiten von Corona. Mediendidaktische Impulse für Schulen und Hochschulen. München: kopaed. 280 S., 19,80 €.
Wie können die Erkenntnisse aus der digitalen Lehr- und Lernpraxis während der Pandemie für die Zukunft sinnvoll weiterentwickelt werden? Diese Frage stellen sich die Herausgeber*innen des Bandes ‚Lehren aus der Lehre in Zeiten von Corona‘. Um Antworten zu finden, lassen sie Medienpädagog*innen, Lehrkräfte, Forschende und Studierende zu Wort kommen, die ein Sammelsurium kreativer Lehr- und Lernprozesse vorstellen, kritisch reflektieren und weiterdenken. Entstanden sind die Artikel auf Grundlage des Call for Papers der Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik, der im Februar 2021 veröffentlicht wurde und eine enorme Resonanz erhielt.
Die Beträge sind so vielfältig und breit gefächert wie das Themenfeld digitale Lehre selbst: Sie beziehen sich auf die Online-Lehre an Hochschulen, Erfahrungen mit neuen Lehr-Lern-Formaten sowie onlinebasierter Zusammenarbeit und Forschung und nehmen Distanzunterricht in Schulen sowie in der Lehrer*innenbildung in den Blick. Dennoch haben sie alle gemein, dass sie über gelungene Lehre nachdenken und den Leser*innen spannende Anregungen an die Hand geben, wie zum Beispiel zur Umsetzung des Modells ‚Flipped Classroom‘, den Perspektiven von Schulanfänger*innen im Homeschooling oder über das Konzept der Online-Lehre an Hochschulen.
Auf theoretische, empirische oder auch erfahrungsbasierte Weise setzen sich die Autor*innen mit ihren Projekten und Domänen auseinander und legen anschaulich dar, dass sich „in Krisen […] auch kreative Wege zur Weiterentwicklung auftun [können]“ (S. 9). Damit bieten sie Pädagog*innen, Wissenschaftler*innen, Studierenden und allen Interessierten einen Mehrwert für eine Unterrichtspraxis und -forschung in nahenden Post-Corona-Zeiten.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Isabel Klotz
Beitrag als PDFEinzelansichtHeinrike Paulus: Kohout, Annekathrin (2022). Nerds. Eine Popkulturgeschichte. München: C. H. Beck Verlag. 272 S., 16,95 €.
Hornbrille, pickeliges Gesicht, Computergenie, männlich, unsozial und unsportlich – mit diesen Klischees wird der Nerd häufig assoziiert. Doch es braucht mehr als nur viele Stunden vor dem Computer, um ein Nerd zu sein.
Ausgehend von ihrer Dissertation widmet sich Annekathrin Kohout in ihrem facettenreichen Buch dem Sozialphänomen Nerd von den Anfängen bis zur Gegenwart. Die heutige Vorstellung der Figur ist überhaupt erst in Wechselwirkung mit den Medien entstanden, etwa durch US-Teenagerserien oder Filmkomödien wie ‚Der verrückte Professor‘ (1963, 1996, 2008). Schlagartig bekannt wurde die Nerdfigur 1977 durch die Sketche ‚The Nerds‘ der US-amerikanischen Comedyshow ‚Saturday Night Live‘. Weitere filmische Beispiele hat die Kulturwissenschaftlerin, Medienwissenschaftlerin, Bloggerin und Autorin (‚Netzfeminismus‘ 2019) in einem umfassen Filmverzeichnis am Ende des Buchs zusammengetragen. Die wissenschaftlich-unterhaltsame Publikation gibt in ihren 16 Kapiteln darüber hinaus Einblicke in die Geschichte von wachsender und abnehmender Computer- und der Technikskepsis sowie der Mediennutzung.
Vor allem in Deutschland gilt der Nerd als Sinnbild des Internet-Zeitalters. „Der Nerd wurde durch die Entstehung und Etablierung der Computertechnologie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts populär, steht also für den Übergang ins Informationszeitalter, bis er sogar zur stilgebenden Figur eines neuen Technikoptimismus avancierte“ (S. 24). Heute wird der Begriff inflationär und in unterschiedlichen Kontexten verwendet. Deutlich wird dabei, dass die Figur selbst wandlungsfähig ist, ein ‚quecksilbriges Wesen‘, wie Kohout es nennt.
Gleichzeitig ist die Figur nicht unumstritten. Deshalb setzt sich die Autorin auch kritisch damit auseinander, dass der Nerd gemeinhin als männlich, weiß und homosexuell gilt. Frauen und People of Color fällt es schwer, sich mit dem Nerd zu identifizieren. Die Autorin geht davon aus, dass die Figur verschwinden wird, wenn es ihr nicht gelingt, sich zu verändern oder weiterzuentwickeln.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Heinrike Paulus
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kolumne
Klaus Lutz: Schwer erziehbar
Wir Pädagog*innen sollten eigentlich auf jedes Erziehungsproblem eine Antwort haben. Zum Beispiel, wenn es um das Einschlafen geht, die Trotzphase oder um exzessives Computerspielen. Für jedes Problem haben wir eine Antwort oder zumindest einen Rat. Wenn es aber um die Erziehung unseres Computers geht, sind wir oft selbst überfordert.
Wer kennt das nicht, dass er*sie am Morgen den Computer einschaltet – und der will einfach nicht aufstehen. Statt der üblichen Aufforderung zur Eingabe des Passworts erscheinen seltsame Kreise auf dem Bildschirm, die sich in Endlosschleifen um sich selbst drehen. In solchen Momenten erinnere ich mich dann gerne an die Western meinerKindheit: In fast jedem dieser Filme kam einmal die Szene vor, dass ein völlig betrunkener Held mit einem Eimer kalten Wassers wieder einsatzfähig gemacht wurde. Eine 1:1-Anwendung auf den PC verbietet sich leider. Deshalb drücke ich einfach auf den roten Knopf des Dreiersteckers und zähle bis Zehn, bis ich den Computer wieder mit Strom versorge. Und siehe da, wie im Western rappelt sich der technische Mitarbeiter wieder auf und ist einsatzfähig.
Wie in der Erziehung von Kindern gibt es aber auch Probleme, die sich nicht mit so kleinen Tricks beheben lassen. So habe ich mit meinem Computer fest vereinbart, dass er notwendige Updates bitte nur zwischen 23.00 Uhr und 01.00 Uhr ausführen soll. Wie bei vielen Mediennutzungsverträgen, die man – plakativ aber wirkungslos – mit Kindern abschließt, hält er sich leider nicht daran. Mit Computerverbot zu drohen, scheint mir da wenig wirksam. Also versuche ich es mit der Methode der ‚Stillen Treppe‘: Strom ausschalten, den Laptop zuklappen und ihm in seiner Tasche Zeit geben, über sein Verhalten nachzudenken. Ich kann nicht erklären warum, aber manchmal hilft es.
Wenn ich durch die Gänge unseres Büros laufe, merke ich häufig, dass ich mit meinen Erziehungsproblemen nicht allein bin. Das tröstet sehr. Immer wieder sind heftige Streitgespräche von Kolleg*innen mit ihren Computern zu hören: ‚Kannst du nicht endlich mal das machen, was ich von dir will!‘ ‚Ich habe dir jetzt schon fünfmal gesagt, du sollst den Text drucken, also mach endlich.‘ Neulich war eine Auseinandersetzung so lautstark zu hören, dass ich es mir nicht verkneifen konnte, die Tür des Büros zu öffnen und den Kollegen anzufeuern: ‚Ja, gib‘ ihm mal richtig Bescheid. Lass dir das bloß nicht gefallen!‘
In letzter Zeit habe ich das Gefühl, dass meine Erziehungsarbeit fruchtet und die Beziehung zu meinem Computer von gegenseitiger Rücksichtnahme und Respekt geprägt ist. Bis ich letzten Montag ins Büro kam und mich meine Kolleg*innen grinsend mit einem Stapel Papier in der Hand erwarteten: Mein lieber Laptop hatte meine gesamte private Korrespondenz vom Wochenende einfach mal auf unseren Drucker ins Büro geschickt. Ein Termin bei der Erziehungsberatung für Computer ist nun wohl unausweichlich. Oder ich drohe meinem Laptop mit dem Datenschutzbeauftragten – der hat noch ganz andere Mittel zur Verfügung. Denn so geht es nun wirklich nicht.
Beitrag aus Heft »2022/02 Sprache in den Medien – Deutungshoheit und Sprachschlachten«
Autor: Klaus Lutz
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